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Frauen in Afghanistan: "Präsident Karzai ist viel zu nachgiebig"

Am 20. August wählt Afghanistan einen neuen Präsidenten. Frauenrechtlerin Adela Mohseni erklärt im Interview, was afghanische Frauen von der neuen Regierung fordern.

43 Kandidaten stehen in Afghanistan zur Wahl, als aussichtsreichster Bewerber gilt Amtsinhaber Hamid Karzai. Gerade afghanische Frauenrechtlerinnen kritisieren seine Politik jedoch scharf. Anlässlich der Wahl haben sie nun die "50%-Kampagne" gestartet. Die Botschaft: Wir sind die Hälfte der Wählerschaft - hört endlich, was wir zu sagen haben! BRIGITTE.de-Mitarbeiterin Kristina Maroldt hat mit einer der Initiatorinnen, der Juristin Adela Mohseni, gesprochen.

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BRIGITTE.de: Frau Mohseni, im Westen hört man aus Afghanistan fast nur noch Horrormeldungen: Entführungen, Anschläge auf Mädchenschulen, Morde an Politikerinnen. Wie gefährlich ist es zurzeit, in Afghanistan eine Frau zu sein?

Adela Mohseni: Die Lage hat sich in letzter Zeit tatsächlich sehr verschlechtert. Früher war zumindest der Norden sicher, jetzt trauen sich selbst in Städten wie Kundus viele von uns nicht mehr auf die Straße.

BRIGITTE.de: Wovor fürchten Sie sich?

Adela Mohseni: Vor allem vor Entführungen - durch die Taliban oder andere Fundamentalisten. Noch schlimmer als die Angst, dabei ermordet zu werden, ist aber der Gedanke an das Leben nach einer Entführung. Nach unseren Traditionen gilt eine Frau, die mit fremden Männern allein unterwegs war, als "berührt" - selbst wenn sie gar nicht vergewaltigt wurde. Die Familie wird sie deshalb wahrscheinlich verstoßen, sie muss ihr Dasein als Mittel- und Ehrlose fristen. Ich nenne das den "langsamen Tod". Die Angst davor nagelt uns zu Hause fest. Berufstätige trauen sich nicht mehr ins Büro, Mütter schicken ihre Töchter nicht mehr zur Schule. Denn es gibt ja auch immer wieder Säureattentate auf dem Schulweg oder Anschläge auf Schulen...

BRIGITTE.de: Das klingt wie ein Teufelskreis: Ohne Job keine Unabhängigkeit, ohne Bildung keine Zukunftschancen...

Adela Mohseni: Es bedeutet: Die ohnehin starke Position der Männer wird noch mal untermauert. Wenn der Mann der einzige Ernährer ist, gibt ihm das immense Macht. Er bestimmt, welche seiner Kinder eine Ausbildung machen dürfen, an wen die Töchter verheiratet werden, ob eine Zweit- oder Drittfrau in die Familie kommt. Viele Frauen setzt das so unter Druck, dass sie psychisch richtig krank werden. Oft fehlt aber das Geld für eine Behandlung. Dann schlucken sie wahllos Schmerzmittel oder nehmen Drogen, um sich zu betäuben.

BRIGITTE.de: Das Vorhaben von Präsident Karzai, die Lage der Frauen zu verbessern, ist also gescheitert?

Adela Mohseni: Natürlich geht es uns heute besser als unter den Taliban. Damals durften wir ja nicht mal arbeiten! Jetzt sitzen immerhin 28 Prozent Frauen im Parlament, es gibt Frauen in den Medien und Organisationen, die für unsere Rechte kämpfen. Doch die Mehrheit im Parlament haben nun mal Fundamentalisten und Warlords. Und die tun alles, um uns wieder zurückzudrängen. Bestes Beispiel ist der Fall der jungen Abgeordneten Malalai Joya, eine der schärfsten Warlord-Kritiker. 2007 sagte sie in einem Interview, ein Stall sei nützlicher als das afghanische Parlament in dieser Besetzung, dort gebe es wenigstens Esel, die Karren ziehen. Die Warlords tobten. Sie wurde sofort vom Amt suspendiert.

BRIGITTE.de: Setzt Karzai den Fundamentalisten keinen Widerstand entgegen?

Adela Mohseni: Er ist viel zu nachgiebig. Er will sie nicht beleidigen, sie haben ja Macht und Geld. Wozu das führt, sieht man am Familiengesetz für die schiitische Minderheit, das im April verabschiedet wurde: Zwei Jahre lang haben wir uns bemüht, dass auch Frauen daran beteiligt werden. Man hat uns nicht erhört. Das Gesetz ist ein totaler Rückschritt: Unter anderem schreibt es Frauen vor, die sexuellen Bedürfnisse des Ehemanns zu erfüllen, wann immer der will. 200 von uns sind daraufhin auf die Straße gegangen, haben protestiert. Auch das Ausland hat interveniert. Jetzt wird zum Glück nachgebessert.

BRIGITTE.de: Mit Erfolg?

Adela Mohseni: Na ja, in der aktuellen Version ist die Frau zwar nicht mehr gesetzlich zum Geschlechtsverkehr verpflichtet, aber der Mann darf ihren Unterhalt kürzen, wenn sie sich ihm verweigert. Es gibt noch einige weitere Punkte, die wir bedenklich finden. Wir werden das Thema auf jeden Fall im Auge behalten.

BRIGITTE.de: Auch um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden, haben Sie die "50%-Kampagane" gestartet: Sie wollen die Präsidentschaftskandidaten schon im Vorfeld darauf abklopfen, wie wichtig ihnen Frauenrechte sind. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Adela Mohseni: Eine Empfehlung für einen bestimmten Kandidaten geben wir ganz bewusst nicht. Wichtiger ist uns, unsere Forderungen in diesem Wahlkampf überhaupt erst mal zum Thema zu machen. Selbst die Frauen haben von ihren Rechten ja meist keine Ahnung, dabei hätten sie eine echte Chance, durch ihre Stimmen etwas zu bewegen. Wir haben deshalb die Kandidaten in Interviews und auf Veranstaltungen immer wieder zu ihrer Frauenpolitik befragt und dokumentiert, wie sie sich dazu äußern.

BRIGITTE.de: Was kam heraus?

Adela Mohseni: Sehen wir uns mal die drei aussichtsreichsten Kandidaten an: Karzai hat weder ein richtiges Wahlprogramm, in dem man nach Frauenrechten suchen könnte, noch wurden wir bisher zu einem Gespräch mit ihm vorgelassen. Das war zu erwarten. Der ehemalige Außenminister Abdullah vertritt zwar eine fortschrittliche Frauenpolitik, doch er will auch die Ehre der Mujaheddin, also der Fundamentalisten, wiederherstellen. Das macht uns Angst. Ashraf Ghani schließlich, den frühereren Finanzminister, halten wir für relativ demokratisch. Er hat uns zudem versichert, sich besonders für die Rechte der Frauen stark machen zu wollen. Ob er dieses Versprechen auch einlösen würde, steht natürlich in den Sternen.

BRIGITTE.de: Hätte er denn überhaupt eine Chance auf das Amt?

Adela Mohseni: Nicht wirklich: Umfragen zufolge wollen nur 3 Prozent für ihn stimmen. Für Karzai ist fast jeder Dritte.

BRIGITTE.de: Das heißt: Karzai wird wiedergewählt und alles bleibt beim Alten?

Adela Mohseni: Seine Wiederwahl ist wahrscheinlich. Aber: Das muss nicht heißen, dass sich nichts ändert! Das Familiengesetz zeigt, wie wichtig für uns die Unterstützung durch das Ausland ist. Von dieser Seite sollte es noch viel mehr Druck auf die Regierung geben. Auch wir Aktivistinnen können jede Hilfe von außen gebrauchen. Wir haben so viele Ideen: Zum Beispiel würde wir gern auf mehr unabhängige TV-und Radiosender zurückgreifen. 90 % der Frauen können weder lesen noch schreiben, die können wir nur so erreichen. Wenn wir ihnen über solche Medien klar machen könnten, dass gerade der Islam ihnen doch so viele Rechte zugesteht und dass die Taliban den Koran bewusst einseitig interpretieren, um ihre Macht zu vergrößern - dann wäre das ein großer Schritt nach vorn.

Wie Sie die 50%-Kampagne unterstützen können

Die 50%-Kampagne will die Forderungen der afghanischen Frauen ins Zentrum des Wahlkampfs rücken (z.B. die nach mehr Sicherheit in der Ehe und am Arbeitsplatz). Über 15 Organisationen und rund 3000 Einzelpersonen haben den Aufruf in Afghanistan bereits unterzeichnet, unterstützt wird die Initiative von der Heinrich-Böll-Stiftung. Auch Ausländer können ihre Solidarität zeigen. Einfach eine Mail mit Namen und Staatsangehörigkeit an folgende Adresse schicken: campaign50darsad@gmail.com. Weitere Infos finden Sie auf der Website der 50%-Kampagne.

Interview: Kristina Maroldt Foto: iStockphoto.com

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