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Frank-Walter Steinmeier: "Ich werde mich nicht verbiegen"

Die K-Frage in der SPD ist entschieden: Der amtierende Außenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier geht bei der Bundestagswahl 2009 als Kandidat für die SPD ins Rennen. Mit BRIGITTE.de sprach er über die neue Herausforderung, sein Verhältnis zu Kanzlerin Merkel und das Privatleben eines Politikers.

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BRIGITTE.de: Sind Sie erleichtert, dass Ihre Kanzlerkandidatur nun endlich öffentlich ist?

Frank-Walter Steinmeier: Erleichtert bin ich, weil ich die Frage jetzt klar beantworten kann. Was den Alltag angeht, kann ich nicht von Erleichterung sprechen, ich weiß, was auf mich zukommt. Ich habe Respekt vor dem Amt, um das ich mich bewerbe, aber ich habe auch das Selbstbewusstsein, es mir zuzutrauen.

BRIGITTE.de: Richtig triumphal war das Wochenende am Schwielowsee nicht, Sie haben sich Ihre Kandidaten-Kür sicherlich anders vorgestellt.

Frank-Walter Steinmeier: Wir hatten es anders geplant, das ist richtig, und ich bedauere, dass das Verfahren, das mit Kurt Beck und Franz Müntefering abgestimmt war, nicht getragen hat. Es bleibt in solchen Situationen nichts anderes, als nach vorn zu schauen. Mit dieser Neuaufstellung bin ich zuversichtlich, dass wir mit guten Chancen in das Wahljahr gehen werden.

BRIGITTE.de: Im Moment regieren Sie ja mit der Kanzlerin zusammen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Angela Merkel?

Frank-Walter Steinmeier: Wir gehen professionell miteinander um, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich denke, das ist es, was die Leute erwarten. Ich habe kein Problem damit, jetzt mit der Kanzlerin zusammen zu regieren und in der Bundestagswahl gegen sie anzutreten - auch wenn das natürlich eine etwas ungewöhnliche Konstellation ist. Obwohl: Auch das hat es schon einmal in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben, mit Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt in der Großen Koalition von 1966 bis 1969.

BRIGITTE.de: Hat die Kanzlerin mit ihrer nüchternen Art dazu beigetragen, dass jetzt mehr pragmatische Politiker-Typen gefragt sind?

Frank-Walter Steinmeier: Bestimmt hat sie das. Aber unterschätzen Sie die Inszenierungskraft von Frau Merkel nicht.

BRIGITTE.de: Man liest immer wieder über Sie, Sie seien nicht sonderlich kämpferisch. Werden Sie jetzt einen Gang zulegen?

Frank-Walter Steinmeier: Es gibt einen oberflächlichen Kampfgeist, der sich durch laute Worte oder große Gesten zum Ausdruck bringt. Da bin ich in der Tat etwas nüchterner - wenn auch nicht weniger entschlossen.

BRIGITTE.de: Aber es gibt doch noch viele andere Möglichkeiten?

Frank-Walter Steinmeier: Wissen Sie, ich habe mit Klarheit und Bestimmtheit auf meinem bisherigen Lebensweg Erfolg gehabt. Aber es ist mir wichtig, halbwegs authentisch zu bleiben, stimmig mit mir selbst. Krakeeler mag ich nicht. Und ich wünsche mir, dass in der Öffentlichkeit mehr Bereitschaft aufgebracht wird, mit unterschiedlichen Typen in der Politik zu leben.

BRIGITTE.de: Das heißt, Sie werden sich jetzt nicht großartig verändern?

Frank-Walter Steinmeier: Ich werde mich nicht verbiegen.

BRIGITTE.de: Bis jetzt ist es Ihnen ja gut gelungen, Ihr Privatleben unter Verschluss zu halten. Ist das noch möglich, nachdem Sie Kanzlerkandidat geworden sind?

Frank-Walter Steinmeier: Ich will das jedenfalls versuchen. Das Interesse an meiner Frau und meiner Tochter nimmt erkennbar zu. Beide wollen aus guten Gründen keine öffentliche Rolle spielen, was ich verstehe und respektiere. Ein bisschen kann man die Berichterstattung aber auch beeinflussen - das ist zumindest meine Erfahrung.

BRIGITTE.de: Frau Merkel und ihr Mann, Joachim Sauer, machen Ihnen ja ganz gut vor, wie man Öffentlichkeit abschirmt.

Frank-Walter Steinmeier: (lacht) Ich bin auch seit 15 Jahren in der Politik. Ich habe nie einen Vorteil darin gesehen, meine Familie zum Gegenstand der Berichterstattung zu machen. Das werde ich weiter so halten.

BRIGITTE.de: Aber Sie haben es noch nicht als Kanzler erprobt.

Frank-Walter Steinmeier: Das stimmt.

BRIGITTE.de: Was sagt denn Ihre Frau zu Ihrer Kanzlerkandidatur?

Frank-Walter Steinmeier: Sie ist natürlich nicht überrascht, sie hat den schwierigen Entscheidungsprozess der SPD mit verfolgt. Da ich weiß, was auf uns zukommt, haben wir uns so eng wie möglich besprochen. Sie trägt das mit, obwohl sie weiß, dass es auch für sie eine größere Belastung ist. Dafür bin ich ihr dankbar.

BRIGITTE.de: Bleibt Ihnen überhaupt noch Zeit für ein Familienleben?

Frank-Walter Steinmeier: Kaum. Ich habe in den unterschiedlichen Phasen meiner beruflichen Laufbahn gedacht: Schlimmer geht's nicht, und dann ist die Belastung immer noch größer geworden.

BRIGITTE.de: Haben Sie Ihrer zwölfjährigen Tochter gegenüber ein schlechtes Gewissen?

Frank-Walter Steinmeier: Auf jeden Fall. Zum Beispiel wenn ich verspreche, mit ihr am Wochenende ein Reitturnier zu besuchen, und dann klappt es wieder nicht. Eigentlich ist es furchtbar, so wenig Zeit zu haben. Trotzdem kriegen wir die Situation, wie ich finde, immer noch sehr ordentlich hin.

BRIGITTE.de: Was tun Sie eigentlich, um mit dem permanenten Stress klar zu kommen?

Frank-Walter Steinmeier: Zu wenig. Ab und zu gehe ich zu Hause auf meinen Crosstrainer. Ich lese. Oder ich wandere in den Dolomiten.

BRIGITTE.de: Reicht Ihnen das?

Frank-Walter Steinmeier: Nein. Vor allem ist es schwer, mit so wenig Schlaf auszukommen. Für diesen Job braucht man eine gute körperliche Verfassung, sonst klappt es nicht.

BRIGITTE.de: Passiert es Ihnen auch mal, dass Sie die Nerven verlieren?

Frank-Walter Steinmeier : Eigentlich nicht. Ich gehöre glücklicherweise nicht zu denen, die zappelig jeder Schlagzeile hinterher hechten.

BRIGITTE.de: In Ihrem Job als Außenminister werden Sie ständig mit Krisen und Kriegen konfrontiert, aktuell die Kaukasuskrise, ein anderes Mal Afghanistan, vor zwei Jahren der Libanon-Krieg. Muss man in Ihrem Job lernen, gezielt zu verdrängen?

Frank-Walter Steinmeier : Ich glaube, anders als Journalisten, die über Krisenregionen schreiben, sie also vor allem beobachten, ist es meine Aufgabe, immer schon in konkreten Handlungsoptionen zu denken: Welche Möglichkeiten haben wir, eine Krise in den Griff zu bekommen, die Konfliktparteien dazu zu bringen, die Waffen nieder zu legen? Das klappt nicht immer, in vielen Fällen zu spät. Aber im Falle Libanons vor zwei Jahren ist es zum Beispiel mit internationaler Anstrengung gelungen, den Krieg nach mehr als fünf Wochen zu beenden.

BRIGITTE.de: Das heißt, die Notwendigkeit zu handeln, schafft eine Distanz, mit der man die Situation psychisch besser verkraftet?

Frank-Walter Steinmeier : Ich weiß nicht, ob es Distanz ist, ich verliere ja nicht das Mitgefühl, den Schrecken, das Entsetzen, wenn ich Bilder aus Krisenregionen sehe. Aber die Professionalität ist sicher hilfreich, um in solchen Situationen angemessen zu reagieren.

BRIGITTE.de: Sie sind nicht nur Außenminister, sondern auch Vizekanzler. Haben Sie für Deutschland so etwas wie eine politische Vision?

Frank-Walter Steinmeier : Für mich war immer das Engagement in der Bildungspolitik wichtig. Das hängt auch mit meiner Biografie zusammen, ich komme aus einer Familie, in der berufliche Karriere nicht unbedingt angelegt war. Glücklicherweise gab es Lehrer und andere, die sich darum gekümmert haben, dass ich eine weiterführende Schule besuchte. Und hier finde ich, dass in unserer Gesellschaft im Verlauf der letzten Jahrzehnte etwas Wesentliches verloren gegangen ist: Die Durchlässigkeit hat nachgelassen und damit auch die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Jedes Jahr bleiben 80 000 Jugendliche ohne Hauptschulabschluss. Deshalb meine ich, dass wir müssen eine neue Bildungsanstrengung unternehmen und uns bemühen müssen, keinen am Rand liegen zu lassen.

BRIGITTE.de: Wurden Sie selbst von Ihren Eltern in Ihren Begabungen gefördert, oder mussten Sie sie davon überzeugen, dass Sie durchstarten wollten?

Frank-Walter Steinmeier : Ich würde nicht von mir behaupten, dass ich mir in meiner Schulzeit Gedanken über Karriere gemacht habe. Ich habe glücklicherweise zunächst einmal die vorhandenen Möglichkeiten genutzt. Was man daraus machen kann, hat sich eigentlich erst später im Studium ergeben.

BRIGITTE.de: Und dann haben Sie sehr schnell Karriere gemacht. Einer Ihrer Spitznamen lautet "Seine Effizienz". Nervt Sie das? Können Sie privat auch mal nicht effizient sein?

Frank-Walter Steinmeier : Bei den beruflichen Aufgaben, die ich in der Vergangenheit hatte und jetzt habe, ist es natürlich von Vorteil, effizient zu sein. Aber privat kann ich auch faul sein.

BRIGITTE.de: Wie soll man sich das vorstellen?

Frank-Walter Steinmeier : Ich ziehe mich mit Zeitungen, einem guten Buch und einem Glas Rotwein stundenlang in den Wintergarten zurück. In der letzten Zeit war das allerdings selten. Und wenn ich mal zu Hause bin, hat meine Frau zuweilen den Eindruck, dass der Kopf noch nicht angekommen ist.

BRIGITTE.de: Von engen Mitarbeitern aus Ihrem Ministerium hört man, Sie würden manchmal bei Terminen mit Engelsgeduld Leuten zuhören, die Ihnen etwas aus ihrer Region erzählen. Dadurch kann der ganze zeitliche Ablauf durcheinander geraten.

Frank-Walter Steinmeier : Das mag sein, aber häufig lohnt sich das intensive Zuhören auch. Neulich hat mir in Frankfurt an der Oder jemand lange von einem grenzüberschreitenden Projekt zwischen Deutschland und Polen erzählt, dem Wiederaufbau der alten Stadtkirche von Guben. Das hatte insofern Langzeitwirkung, als ich jetzt gemeinsam mit dem polnischen Außenminister die Schirmherrschaft für den Wiederaufbau der Kirche übernommen habe. Neugier kann sich also durchaus lohnen.

BRIGITTE.de: Sie sind als Außenminister und bald auch Wahlkämpfer viel unterwegs. So alltägliche Dinge wie Brot kaufen, den Garten umgraben oder das Auto waschen bleiben dabei auf der Strecke. Das sind Rituale, die unspektakulär sind, einen aber erden können. Fehlt Ihnen der Alltag?

Frank-Walter Steinmeier : Ganz habe ich ihn glücklicherweise nicht verloren. Auto waschen habe ich sowieso nie so gern gemacht. Brot und Brötchen kaufe ich immer noch relativ regelmäßig am Sonntag. Und in unserem Stadtteil leben wir vergleichsweise normal - abgesehen davon, dass ständig Polizei vor der Tür steht. Und wenn wir es schaffen, kaufe ich auch mit meiner Frau zusammen ein. Die Straße sage ich Ihnen jetzt aber nicht - sonst kriege ich Ärger mit dem BKA.

Zur Person

Frank-Walter Steinmeier wurde 1956 in Detmold geboren, sein Vater war Tischler, die Mutter Fabrikarbeiterin. Nach dem Abitur studierte Steinmeier Jura und lehrte eine Zeitlang an der Universität Gießen. 1993 wurde er Büroleiter des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, später Leiter der Staatskanzlei. Von 1999 bis 2005 war er unter Schröder Chef des Bundeskanzleramtes. Seit 2005 ist Steinmeier Außenminister im Kabinett Merkel und seit 2007 auch Vizekanzler. Der Minister ist mit der Verwaltungsrichterin Elke Büdenbender verheiratet und hat eine zwölfjährige Tochter.

Interview: Franziska Wolffheim Foto: Getty Images

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