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Eve Ensler Ein Leben für eine Welt ohne Gewalt

Eve Ensler: Autorin, Feministin und Aktivistin: Eve Ensler
Autorin, Feministin und Aktivistin: Eve Ensler
© Adil Razali
Die amerikanische Aktivistin Eve Ensler ist eine der bekanntesten Kämpferinnen für Frauen und gegen Gewalt. Im Interview spricht sie über ihre neue Kampagne, ihren eigenen Missbrauch und Tanzen als Protestform.

Schmerz in Stärke verwandeln - das hat sich die Autorin und Feministin Eve Ensler zur Lebensaufgabe gemacht. Bekannt wurde die New Yorkerin 1996 mit ihrem Theaterstück "Die Vagina Monologe". Sie gründete die Frauenrechts-Organisation "V-Day" und baute im Kongo ein Dorf für vergewaltigte Frauen auf, in dem diese zu neuer Stärke finden können. Ihr größtes Projekt startete die 60-Jährige 2013: Mit der Kampagne One Billion Rising rief sie Frauen auf der ganzen Welt auf, am 14. Februar auf die Straße zu gehen und tanzend gegen Gewalt zu protestieren. Millionen Menschen in 190 Ländern folgten ihrem Aufruf. 

Wir sprachen mit Eve Ensler in Berlin, wo sie sich mit deutschen Aktivistinnen traf, um ihre neue Kampagne zu planen.

BRIGITTE: Sie haben es geschafft, aus einer Idee die größte Protestaktion aller Zeiten zu machen. Warum ist One Billion Rising so ein Erfolg?

Eve Ensler: Ich glaube, dass die Kombination aus Tanz und dem Wunsch, etwas gegen Gewalt an Frauen zu tun, eine Saite in den Menschen berührt hat. Es gibt so viele Frauen, die Gewalt erfahren haben und seitdem die Verbindung zu ihren Körpern verloren haben, die isoliert sind und sich nicht mehr frei bewegen können. One Billion Rising hat in Frauen aus jedem Kulturkreis den Wunsch ausgelöst, mitzumachen und zu tanzen. Es hat mich sehr berührt, das zu sehen. Das Besondere am Tanzen ist, dass es gleichzeitig feierlich ist und gefährlich, freudig und irritierend. Das macht es zur perfekten weiblichen Protestform.

Eve Ensler: Am Tag von "One Billion Rising" war Eve Ensler (im schwarzen T-Shirt) im Kongo, wo sie mit der "City of Joy" ein Hilfs- und Therapieprojekt für vergewaltigte Frauen aufgebaut hat.
Am Tag von "One Billion Rising" war Eve Ensler (im schwarzen T-Shirt) im Kongo, wo sie mit der "City of Joy" ein Hilfs- und Therapieprojekt für vergewaltigte Frauen aufgebaut hat.
© Paula Allen

Sie haben monatelang auf den Tag hingearbeitet. Wie fühlten Sie sich, als es endlich soweit war?

Der Tag selbst war völlig verrückt. Ich war gerade im Kongo und konnte nicht online gehen, die Internetverbindungen im Kongo sind sehr unzuverlässig. Ich bekam ständig Anrufe von Leuten, die mich fragten, ob ich schon die Videos von den Aufständen weltweit gesehen hätte. Aber ich sah nichts! Also ließ ich mir von den Menschen am Telefon erzählen, was sie gerade auf den Bildschirmen beobachteten. Das war auf eine Weise sogar bewegender, weil es über Emotionen an mich vermittelt wurde. Als ich dann schließlich doch die Bilder von den Aktionen sah und die Massen an Menschen, war ich natürlich überwältigt. Die Welt und die Frauen waren so vereint an diesem Tag.

Kritiker sagen, One Billion Rising sei nur eine große Show. Danach würden alle nach Hause gehen und weitermachen wie bisher. Was hat One Billion Rising Ihrer Ansicht nach geändert?

Ich glaube, die Aktion hat Auswirkungen auf jeden Einzelnen und auf uns als weltweite Gemeinschaft. Für mich ist Gewalt gegen Frauen ein energetischer Zerstörer. Unser Körper ist das Tor zu unserem Bewusstsein, zu unserer Intelligenz, zu Ideen, zu unserer Seele. Jedes Mal, wenn wir traumatisiert werden, blockiert ein neuer Nagel dieses Tor. Wir haben weniger Zugang zu unserem Wissen, zu unserer Kraft und unserer Energie. Tanzen sprengt diese Nägel heraus, es befreit uns. Wir wissen wieder, was wir fühlen und was wir denken. Ich würde sogar behaupten, dass Tanzen eines der mächtigsten Dinge überhaupt ist, die wir tun können. Es erzeugt eine ungeheure Energie und wir können nur erahnen, was diese Kräfte alles anstellen können.

Welche konkreten Veränderungen gab es?

Da könnte ich Ihnen eine lange Liste geben. In vielen Ländern führte One Billion Rising dazu, dass Gewaltverbrechen an Frauen erstmals vor Gericht kamen. In Somalia zum Beispiel gingen die Frauen zum ersten Mal überhaupt gemeinsam auf die Straße - und nun werden dort immer mehr Vergewaltigungen angezeigt. Ich war gerade in Budapest, wo es zum ersten Mal eine nationale Frauenkonferenz gab. Viele sagten mir, das wäre ohne One Billion Rising nie passiert. Neue Gesetze werden auf den Weg gebracht, etwa der "Violence against Women Reauthorization Act" in den USA. Wir sehen überall auf der Welt Frauen, die jetzt mutig genug sind, ihre Stimme zu erheben.

Die Welt tanzt: Kurzfilm über One Billion Rising

Glauben Sie, dass die feministische Bewegung insgesamt neuen Schwung bekam?

Unsere Aktion hat viele neue Frauen in diese Bewegung gebracht. Ich weiß nicht, wie viele uns geschrieben haben, dass sie gerade eine eigene Organisation gestartet oder eine andere Rolle im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen übernommen haben. Frauen aus Syrien und Palästina haben gerade angekündigt, dass sie im nächsten Jahr bei One Billion Rising mitmachen wollen. Was diese Frauen so begeistert, ist, dass sie zu einer globalen Bewegung gehören. Das verleiht ihnen Schutz und Legitimität. Wenn wir diese Bewegung weiter wachsen lassen und uns mit anderen Bewegungen zusammenschließen, könnten wir eines Tages Gewalt gegen Frauen wirklich beenden.

Sie selbst haben Gewalt erfahren: Ihr Vater hat Sie vergewaltigt, als Sie noch ein Kind waren. Wie sähe Gerechtigkeit für Sie persönlich aus?

Mein Vater ist bereits gestorben. Aber säße er nun vor mir, würde ich mir wünschen, dass er meinen Schmerz fühlt und sich entschuldigt. Das wäre genug. Ich würde meinen Vater nicht für alle Ewigkeit im Gefängnis sehen wollen. Ich würde wollen, dass er seine Untat erkennt und meinen Kummer spürt. Das ist meine Vorstellung von Gerechtigkeit, aber es gibt so viele andere, die wir aus aller Welt einsammeln. Für Einige ist Gerechtigkeit, dass die Vergewaltiger verurteilt werden. Viele wünschen sich ein Justizsystem, dass Menschen aller Kulturen und Klassen fair und gleich behandelt. Andere denken darüber nach, wie wir eine Gesellschaft schaffen können, in denen Männer eine andere Vorstellung von Männlichkeit erlernen. Denn ein Klima, in dem Gewalt keine Konsequenzen hat, ist so gefährlich. Es erzieht Männer allgemein zu einem räuberischen, rücksichtslosen Verhalten.

Sie haben gesagt, wie wichtig es ist, dass Frauen ihre Geschichten erzählen. Sie haben den ersten Schritt gemacht und Ihre eigene Gewalterfahrung in einem Buch* aufgeschrieben. Inwiefern hat Ihnen das geholfen?

Es hat mich befreit. Ich glaube, uns ist nicht bewusst, dass wir Gefangene unserer Geheimnisse sind. Wir erzählen sie nicht, weil wir uns schämen. Weil wir insgeheim glauben, dass wir etwas falsch gemacht haben. In dem Moment, in dem wir das Schweigen brechen, befreien wir uns vom Schmerz. Und es hat den Effekt, dass sich andere Frauen auch trauen, ihre Geschichte zu erzählen. So schaffen wir eine Umgebung des Vertrauens, die frei ist von Vorurteilen.

Ihr ganzes Leben ist Frauen gewidmet, die Gewalt erfahren haben. Aber können Ihre eigenen Wunden heilen, wenn jede Geschichte an Ihr eigenes Leid erinnert?

Es gab eine Zeit, da lösten die Geschichten erneut Schmerz in mir aus, aber sie waren auf eine harte Weise auch heilsam. Denn eine der schlimmsten Folgen eines Traumas ist die Isolation. Man fühlt sich so allein mit dem, was man erlebt hat. Wenn wir unsere Geschichten teilen, verschwindet das Gefühl der Isolation. Aber um ehrlich zu sein, habe ich in den letzten 16 Jahren wohl zu viele Geschichten gehört. Vor allem im Kongo, wo der Krieg so viele Körper von Frauen zerstört hat. Das Leid der Frauen überschwemmte mich regelrecht, es war mehr, als mein Hirn und meine Seele ertragen konnten. Ich erfuhr von solchen Grausamkeiten, dass ich eine zeitlang den Glauben an die Menschheit verloren hatte. Aber ich musste da durch, und es hat mich auch stärker gemacht. Es hat mich sehr motiviert, ein Ende der Gewalt, der Gier und des Raubbaus zu kämpfen.

* "In the Body of the World: A Memoir" von Eve Ensler (240 S., Metropolitan Books, 15,38 Euro)

Brigitte

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