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"Armutseinwanderung?" Wie Rumäninnen Deutschland erleben

Junge Frauen aus Rumänien berichten über ihre Erfahrungen mit Deutschland und was sie über die aktuelle Debatte über "Armutseinwanderung" denken.

Rumäninnen in Deutschland: Ist "Armutseinwanderung" ein Problem?

Seit Januar gilt die "Arbeitnehmerfreizügigkeit" innerhalb der EU auch für die Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien - Auslöser für eine erneute Diskussion über "Armutseinwanderung" nach Deutschland und mäßig freundliche Begrüßungsparolen ("Wer betrügt, der fliegt"). Die Europäische Union versucht gegenzusteuern: Am Montag stellte Sozialkommissar László Andor Kriterien für die Gewährung von Sozialleistungen für EU-Bürger vor, die Missbrauch und Betrug verhindern sollen.

Und was sagen die Rumänen selbst zur Diskussion? Wir haben Studentinnen und berufstätige Frauen gefragt, wie sie über die neue Mobilität, Deutschland und Europa denken.

"Es liegt an uns Rumänen, mit unserer Arbeit das Gegenteil zu beweisen"

"Armutseinwanderung?" Wie Rumäninnen Deutschland erleben
© T.Pfützner

"Ich hatte immer den Wunsch, andere Sprachen zu lernen und Kulturen zu entdecken. Darum bin ich froh, dass Rumänien Mitglied der EU ist. Die Möglichkeit, ohne Visum zu reisen, hatten meine Eltern in meinem Alter nicht. Ich kann mir gut vorstellen, für einige Zeit in Deutschland zu arbeiten. Die deutsche Automobilindustrie fand ich schon immer spannend. Leider glauben viele Deutsche, dass rumänische Zuwanderer lediglich vom deutschen Sozialsystem profitieren wollen. Aber Deutschland ist konkurrenzfähig und stark genug, um mit der Herausforderung umzugehen. Natürlich gibt es Vorurteile gegenüber Rumänen, die nicht über Nacht verschwinden werden. Aber es liegt an uns, mit unserer Arbeit das Gegenteil zu beweisen. Auch die ausländischen Medien sollten uns in unserem Kampf gegen Vorurteile unterstützen."

Sonia, 23, Anwältin in Bukarest

"Unbegründete Hysteriewelle"

"Armutseinwanderung?" Wie Rumäninnen Deutschland erleben
© privat

"Ich kann mir gut vorstellen, für einige Zeit in Deutschland zu arbeiten. Ich habe mich auf Kulturpolitik spezialisiert und in diesem Bereich gibt es in Deutschland viel mehr berufliche Möglichkeiten als hier. Aber langfristig würde ich die Erfahrungen, die ich in Deutschland gesammelt habe, gern in Rumänien einsetzen. Ich finde es wichtig, dass junge Menschen die Initiative ergreifen, um den Fortschritt voranzutreiben. Die Debatte um die Arbeitnehmerfreizügigkeit wurde meiner Meinung nach politisch zugespitzt. In Politik und Medien wird oft vergessen, dass es viele qualifizierte und gut ausgebildete rumänische Arbeitskräfte wie Ärzte oder Ingenieure gibt. Ich finde, dass eine unbegründete Hysteriewelle entstanden ist."

Alexandra, 23, Studentin (Europapolitik)

"Ich habe mich in den letzten Wochen angegriffen gefühlt"

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© privat

"Ich könnte mir zwar auch vorstellen, nach dem Examen nach England oder Frankreich zu gehen, aber Deutschland steht ganz oben auf meiner Liste. Die Arbeitsbedingungen sind besser und ich habe dort gute Freunde, die mir den Start erleichtern könnten. Darum versuche ich, neben meinem Studium Deutsch zu lernen. Bisher wurde ich kaum mit Vorurteilen gegen Rumänien konfrontiert, und wenn, dann nur im Spaß: "Ach, gibt es bei euch wirklich Vampire? Und habt ihr eigentlich schon Strom und Internet in Rumänien?" Auch darum war ich so schockiert, wie unverhältnismäßig die Medien in verschiedenen Ländern über die Arbeitnehmerfreizügigkeit berichtet haben. Warum muss man grundlos so eine Panik verbreiten? Wenn ich in den letzten Wochen die Zeitungen aus dem Ausland gelesen habe, habe ich mich oft angegriffen gefühlt und ich wurde wütend. Ich persönlich glaube an die europäische Idee und an die Europäische Union. Vielleicht ist das naiv, aber ich hoffe, das wir in Europa einen Weg finden können, voneinander zu lernen und uns gegenseitig zu helfen, statt unsere Zeit und Energie mit Vorurteilen zu verschwenden." Paula, 26, Medizinstudentin

"Mir gefällt die Gleichberechtigung in Deutschland"

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© privat

"Nachdem ich während meines Bachelorstudiums ein Auslandssemester in Magdeburg absolviert hatte, habe ich mich entschlossen, für mein Masterstudium in Sozialwissenschaften ganz nach Magdeburg zurückzukommen. Insgesamt habe ich so drei Jahre lang in Deutschland gelebt und kann sagen: Ich mag das Land und die Menschen sehr. Natürlich kann man nichts verallgemeinern, aber die Deutschen, die ich kennengelernt habe, schätze ich für ihre Ehrlichkeit und ihre Hilfsbereitschaft. Am besten gefällt mir an Deutschland die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die in Rumänien nicht so ausgeprägt ist. Trotzdem bin ich nach meinem Masterabschluss nach Cluj-Napoca im Norden Rumäniens zurückgekehrt und arbeite jetzt im Finanzbereich eines multinationalen Unternehmens. Ich möchte erstmal mehrere Jahre Arbeitserfahrung in meinem Heimatland sammeln, bevor ich wieder ins Ausland gehe. Das muss dann nicht zwingend Deutschland sein, auch Amerika oder Asien kann ich mir gut vorstellen." Veronica, 25, Angestellte

"Das macht mich wütend und traurig"

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© privat

"Bei Reisen im Ausland stoße ich oft auf Vorurteile gegen mein Heimatland. Neulich war ich mit einer Freundin in Spanien im Urlaub. Da hat uns ein Barbesitzer mit den Worten "Go out!" rausgeworfen, nachdem er mitbekommen hatte, dass wir Rumäninnen sind. Danach haben wir dann "Ungarn" als Staatsbürgerschaft angegeben, wenn wir eine Pension buchen wollten. Sowas macht mich unheimlich wütend und traurig. Ich bin daran interessiert, neue Kulturen kennen zu lernen und habe sechs Monate in den USA gearbeitet. Auch nach meinem Studienabschluss möchte ich im Ausland leben, ich träume davon, nach Frankreich zu gehen. Meine Familie warnt mich zwar davor, vielleicht mein ganzes Leben als Fremde behandelt zu werden. Aber ich gehe lieber dieses Risiko ein, als in Rumänien zu bleiben. Durch den Beitritt zur EU hat sich in unserem Land zwar viel verändert, es gibt zum Beispiel weniger Korruptionsfälle. Trotzdem sind die Löhne so niedrig, dass ich mir hier nicht das Leben aufbauen könnte, das ich mir wünsche."

Vera, 26, Studentin der Zahnmedizin

"Ich wurde kaum mit Vorurteilen konfrontiert"

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© privat

"Während meines Bachelor- und Masterstudiums habe ich anderthalb Jahre in Deutschland gelebt - zurzeit absolviere ich ein Auslandssemester in Dresden. Trotzdem plane ich nicht, für längere Zeit in Deutschland zu arbeiten. Ich möchte das Fachwissen, was ich mir angeeignet habe, zurück nach Rumänien bringen. Eine andere Option für mich wäre es, Rumänien im Ausland zu vertreten und auf diesem Wege etwas für mein Land zu tun. Da ich mich hauptsächlich im akademischen Umfeld bewege, wurde ich kaum mit Vorurteilen gegen Rumänien konfrontiert. Trotzdem finde ich, dass wir uns weniger mit Vorurteilen aufhalten und dafür mehr über das Thema "Arbeitskultur" diskutieren sollten. Es stimmt, dass Rumänen und Deutsche verschiedene Mentalitäten haben, die sich auch im Arbeitsleben wiederspiegeln. Aber das kann auch positiv sein!" Raluca, 23, Studentin "Geschäfts- und Industrieverwaltung"

"Es wird in Deutschland leichter sein, eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu bekommen"

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© privat

"Es ist nicht immer leicht, als Migrantin mit den deutschen Studenten mitzuhalten. Aber ich wünsche mir, nach dem Studium in Deutschland zu arbeiten und versuche jetzt schon, in unterschiedlichen Bereichen Erfahrung zu sammeln. Ich möchte in Deutschland leben, weil ich die Sprache gut beherrsche und weil ich mich durch das Aufwachsen in Siebenbürgen an die deutsche Kultur gebunden fühle. Außerdem wird es in Deutschland leichter sein, eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu bekommen. Meine Familie ermutigt mich, hier zu bleiben und mein Freund ist meine Kraftquelle, obwohl er weit weg ist. Es macht mich traurig, in den deutschen Zeitungen über eine "Armutszuwanderung" zu lesen. Es stimmt zwar, dass viele Rumänen in Deutschland auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Aber deshalb wollen sie noch lange nicht auf Kosten des deutschen Staates leben. Sie kommen nach Deutschland, um hart zu arbeiten und sind sich bewusst, dass die Anforderungen hoch sind." Anamaria-Alexandra, 23, Politikwissenschaft-Studentin

Teresa Pfützner

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