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Essstörungen: Schöne schlanke Welt?

Magersucht, Bulimie, Binge Eating: Daniela Kühne kennt all diese Esstörungen aus eigener Erfahrung. Sie ist mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit gegangen - um zu warnen und aufzurütteln.

Körperlich und psychisch am Ende, ausgemergelt, verzweifelt und einsam: Dies war der Zustand der 29-jährigen Daniela Kühne, als sie sich im Mai 2001 für ihre Kampagne "Schöne schlanke Welt?" fotografieren ließ. Weit mehr als die Hälfte ihres Lebens hatte sie damit verbracht, ihr Gewicht zu kontrollieren: Mit elf wurde sie magersüchtig, mit 17 kamen die Essanfälle, mit 19 wurde sie bulimisch. Zehn Jahre später zeigte die Waage nur noch 35 Kilo an. Höchste Zeit, umzukehren.

Stummer Hilfeschrei

Ein verhungerter Körper in einer Überfluss-Gesellschaft ist ein Paradox, das nicht allein der erbarmungslosen Diktatur der Schönheitsideale zuzuschreiben ist. Die Ursachen für Ess-Störungen sind vielfältig - immer aber sind sie Ausdruck psychischer Konflikte, die selbstzerstörerisch über den eigenen Körper ausgetragen werden. Maja Langsdorff, Autorin des Buches "Die heimliche Sucht, unheimlich zu essen", beschreibt die psychosomatische Erkrankung als den stummen Hilfeschrei derjeniger, "die nicht auffallen wollen, Konflikte scheuen und sich abhängig machen von der Meinung anderer". Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Ernährungsmedizin und Diätetik (DIET) sind allein in Deutschland 600.000 Menschen von Magersucht (Anorexie) oder Ess-Brech-Sucht (Bulimie) betroffen.

Totale Selbstkontrolle

Daniela Kühnes Krankheitsverlauf ist kein ungewöhnlicher. Jahrelang treibt sie exzessiven Sport, sie leidet unter Magersucht, "Fressanfällen" (Binge Eating) und Bulimie. "Ich aß kontrolliert. Ich lebte kontrolliert. Sport und Essen, das waren meine Lebensinhalte", beschreibt die Stuttgarterin ihre Jugend. Schon als Elfjährige trainiert sie täglich Eiskunstlauf. Als ein Arzt Untergewicht diagnostiziert, sorgen ihre Eltern dafür, dass sie drei Kilo zunimmt. Das Mädchen beginnt, sich vor ihrem Körper zu ekeln und macht trotzig ihre erste Diät. Erfolgreich, denn die drei Kilo sind nach zehn Tagen wieder runter. Doch es ist der Einstieg in einen Teufelskreis: "Das Thema Diät begann, mein Leben zu dominieren. Es wurde neben dem Eiskunstlauf meine zweite Welt, mein Lebensinhalt". Kalorientabellen statt Eis essen, Selbstkontrolle statt Ausgelassenheit also.

Lebensziel: Abnehmen

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Als die Eltern dahinter kommen, erpressen sie die Tochter: Ohne Therapie kein Training mehr. Doch der Psychologe kann nicht helfen. Fressanfälle ersetzen die Hungerkuren. Tennis ersetzt den Eiskunstlauf. Vergeblich versucht die 16-Jährige, ihr Gewicht durch übermäßigen Sport unter Kontrolle zu halten. Dann, kurz vor dem Abitur, findet sie die "Lösung": Bulimie. Die Rechnung scheint aufzugehen, denn überall erntet sie Anerkennung für den "'Traumkörper', den sie sich erkotzt". Der Preis ist ein Leben in Isolation und Depression, ohne Freunde, Beziehungen, Nähe.

Supermarkt und Kloschüssel

Mit 25 folgt ein verhaltenstherapeutischer Klinikaufenthalt, dann eine eineinhalbjährige Psychoanalyse, die sie auf 40 Kilo abmagern lässt. Aber endlich lernt sie, ihren eigenen Weg zu gehen. Gegen den Willen ihrer Eltern setzt sie ihren Berufswunsch durch und wird Werbetexterin. Trotzdem: "Wie ein Diabetiker, der sich dreimal am Tag spritzen muss, musste ich mich nach dem Essen übergeben. Mahlzeit für Mahlzeit. Tag für Tag. Woche für Woche. Jahr für Jahr. Mein Leben spielte sich zwischen Schreibtisch, Supermarkt und Kloschüssel ab."

Nackte Tatsachen

Irgendwann realisiert sie, dass ihre Umwelt sie nicht mehr ernst- und wahrnimmt. Diese schmerzhafte Erkenntnis bewegt die 29-Jährige dazu, sich selbst und die Öffentlichkeit mit den "nackten Tatsachen" ihrer Krankheit zu konfrontieren. Ihre Kampagne "Schöne schlanke Welt?", für die sie sich von dem Fotografen Chon Choi ablichten ließ, hilft ihr nun dabei, unter ärztlicher und psychotherapeutischer Aufsicht ihr Leben so weit wie möglich zu normalisieren. Sie ist auf dem besten Wege, knapp 15 Kilo hat sie zugenommen. Doch es gibt keine Standardtherapien für Menschen mit Essstörungen. Für Daniela Kühne ist es die kreative "Kampagne ihres Lebens", die ihr Kraft auf dem langen Weg zur Genesung gibt.

Hilfe im Internet

Der erste und schwierigste Schritt ist - wie bei anderen Süchten auch - sich einzugestehen, dass man krank ist und Hilfe braucht. Verschiedene gemeinnützige Organisationen (siehe unten) informieren über Ess-Störungen und deren Therapiemöglichkeiten. Es werden Selbsthilfegruppen, Einzel- und Gruppentherapien, Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken und therapeutische Wohngemeinschaften angeboten.

Internet-Adressen Infos und Adressen therapeutsch betreuter Wohngemeinschaften. Mit Test: Bin ich essgestört?: www.anad.de Internet-Seite für Menschen mit Ernährungs- und Essproblemen:www.essprobleme.de Site für Betroffene und Angehörige. Tipps, Hilfe und Infos rund um die Krankheit: www.magersucht.de Der Verein "Hungrig-Online e.V." betreibt informative Websites zum Thema Magersucht und Bulimie:www.hungrig-online.de

Susanne Arndt

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