Anzeige

Queer gewinnt Nemo holt den ESC-Sieg für die Schweiz

Nemo gewinnt ESC
© IMAGO/TT / imago images
Der Eurovision Song Contest ist eine Mega-Institution, die auch dieses Jahr wieder bewiesen hat, wie politisch sie ist. Nicht nur, weil zum ersten Mal eine nicht-binäre Person gewinnt.

In der Nacht zu Sonntag, den 12. Mai 2024, steht er fest, der Siegsong des Eurovision Song Contest 2024: Nemo aus der Schweiz holt die begehrte Trophäe nach Hause – das erste Mal, seit Céline Dion 1988 gewann. Unter Jubelrufen überreicht die schwedische Sängerin und Vorjahressiegerin Loreen den Pokal, der vor lauter Freude in die Brüche geht.

Es ist eine besondere Nacht. Nicht nur für Nemo und die Schweiz, sondern auch für die queere Community. Denn mit Nemos Sieg fährt zum dritten Mal in der ESC-Geschichte eine queere Person den Pokal ein. Nemo identifiziert sich als nicht-binär, also weder nur dem weiblichen noch nur dem männlichen Geschlecht zugehörig und möchte am liebsten nicht mit "er" oder "sie" angesprochen werden. Wir sagen daher einfach Nemo.

Ein Sieg für die queere Szene: Nemo knackt den Code

Gegenüber "taz" erzählt Nemo, dass der Name aus dem Lateinischen kommt und 'niemand' bedeutet. "Meine Eltern dachten, wenn ich niemand bin, kann ich alles werden", so Nemo. Ein Gedanke, der wohl auch den Siegsong inspiriert hat. "In 'The Code' geht es um die Reise, die ich mit der Realisation begann, dass ich weder ein Mann noch eine Frau bin", erklärte Nemo im Vorfeld des Wettbewerbs gegenüber "nau.ch". Der Song thematisiert den Weg einer nicht-binären Person zu sich selbst mit allen Höhen und Tiefen und zerschlägt das Dogma der Geschlechterbinarität – dem entweder/oder – um endlich frei leben zu können. 

Der bedeutungsschwere Songtext, die markante Hook, die schwierigen Opernparts – Nemo liefert nicht nur gesanglich ab, auch die Performance überzeugt die Jury. Nemo stürmt die Bühne mit einer ansteckenden Energie und legt Moves auf einer Drehscheibe hin, die den Gleichgewichtssinn fordern. All das in einem Bühnen-Outfit, das nicht besser auf Künstler:in und Song abgestimmt hätte sein können. In Minirock und opulenten Tüllbolero verdeutlicht der Schweizer Star, dass auch Kleidung kein Geschlecht kennt und wie befreiend es sein kann, sich nicht (mehr) von diesen vermeintlichen Regeln einschränken zu lassen.

Mehr Sichtbarkeit gegen Queerfeindlichkeit

Nemo ist die dritte queer zu lesende Person, die einen ESC-Pokal in den Händen hält und die erste nicht-binäre. Den Stein brachte 1998 Dana International ins Rollen: Die Transfrau aus Israel gewann mit "Diva" den ESC in Birmingham. 2014 holte die Dragqueen Conchita Wurst mit "Rise Like A Phoenix" die Trophäe nach Österreich. 

Die Vergangenheit zeigt, dass der ESC ein Austragungsort für Politik ist und daher nicht unwichtig für die Repräsentation vielfältiger – insbesondere nicht-heterosexueller – Lebensstile und -realitäten. In diesem Jahr gab es mehr queere Performances als sonst, wie beispielsweise die schwule Umkleiden-Show des Engländers Olly Alexander oder Bambie Thug aus Irland, eine ebenfalls nicht-binäre Person, die sich in ein Transflaggen-farbiges Wesen verwandelte. 

Auch Nemo erhofft sich durch den Sieg mehr Sichtbarkeit für die queere Community. Dennoch sind es Baby-Steps, die hier gewürdigt werden. Denn auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, dass "sex sells" immer noch das Motto von jedem dritten ESC-Auftritt ist, bei dem Frauen in knappen Röcken mit lasziven Blicken das männliche Publikum bezirzen. 

Der ESC als politische Bühne

"United by Music" ist das Motto der Finalshow des ESC 2024. Dennoch spaltet die Politik die Fangemeinde in diesem Jahr wohl mehr als je zuvor. Zwar war der ESC immer schon politisch, seit die erste Show im schweizerischen Lugano am 24. Mai 1956 stattfand, aber die Schwere, die am vergangenen Wochenende in der Luft lag, kannte man bislang nicht. Das Geschehen in Gaza, pro-palästinensische Demos und die Forderung des Ausschlusses von Israel überlagerten die Show. Die Israelin Eden Golan musste Buh-Rufe einstecken, während am Rande des Wettbewerbs viele Menschen gegen den Krieg in Gaza protestierten. 

2022 waren die Umstände zwar durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ähnlich bedrückend, der Sieg von Kalush Orchestra (Ukraine) setzte aber zumindest ein Zeichen der Hoffnung und Solidarität. Da fragt man sich, ob Nemos zerbrochener Pokal ein Sinnbild dafür ist, wie es um den ESC steht. Zumindest das Motto "United by Music" scheint nicht mehr ganz aufzugehen. Nemo bringt es mit seiner Äußerung auf den Punkt: "Die Trophäe kann repariert werden – vielleicht braucht der ESC auch ein kleines bisschen Instandsetzung."

Verwendete Quellen: spiegel.de, ard.de, zeit.de, taz.de 

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel