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Schlankheitswahn: Wie schütze ich meine Tochter?

Grundschülerinnen, die in der Pause "Germany's Next Topmodel" spielen und abends einer sehr dünnen Lena Meyer-Landrut als Jurorin in der Casting-Show "The Voice Kids" zusehen: All das macht es Mädchen schwer, sich zu mögen. Eine Mutter erzählt, wie sie ihre Tochter davor bewahren will, essgestört zu werden.
Schlankheitswahn: Wie schütze ich meine Tochter?
© Yuri Arcurs/istockphoto.com

Meine Tochter ist 13. Ich liebe den Schalk in ihren Augen, ihren Gerechtigkeitssinn, die Grübchen, die auf ihren Wangen erscheinen, wenn sie gegen ihren Willen lachen muss. Ich liebe ihre Schüchternheit und ihren Bauch, der weich und rund ist, obwohl sie viel Sport macht. Ich liebe es, wie sie sich lustvoll alles Leckere einverleibt, und ich liebe ihre Lebendigkeit, ihre schnellen Beine. Ich liebe einfach alles, was sie ausmacht. Ich finde sie wunderschon. Ich will, dass auch sie sich schon und liebenswert findet. Darum habe ich allen Menschen und Bildern den Kampf angesagt, die ihr weismachen wollen, dass das Aussehen wichtiger sei als Herz und Verstand - und dass ein Mädchen mit rundem Bauch und kräftigen Beinen nicht vollkommen sein kann. Ich war nie eine Mutter, die hinter jedem Gebüsch einen Mitschnacker witterte. Ich habe Angst vor Heidi Klum.

Meine Tochter war acht, als sie erzählte, sie habe in der Pause "Germany's Next Topmodel" gespielt. Sie kannte "GNTM" nicht, sie musste früh ins Bett. Viele Mitschülerinnen aber machten sich mit ihrer Mutter und Heidi Klum "einen schönen Frauenabend". Sie hatten meiner Tochter erklärt, was sie tun müsse: mit wackelnder Hufte und in die Taille gestemmter Hand über den Schulhof stelzen. "Und dann hat Anna gesagt, meine Oberschenkel sind zu dick. Stimmt das?" - "Quatsch!", rief ich, "Anna ist eine hohle Nuss!" In dem Moment habe ich beschlossen: Ich muss mein Mädchen, so gut ich kann, vor einem Schönheitswahn beschützen, der dazu führt, dass Achtjährige nicht mehr Ponyhof spielen, sondern an den Körpern ihrer Mitschülerinnen rumkritteln.

Kurz danach fragte meine Tochter, ob sie auch mal "GNTM" schauen dürfe. Ich sagte Nein und erklärte, warum ich diese Sendung für dumm und gefährlich halte. Einmal ging ich mit ihr zu einer Verkäuferin bei H&M und beschwerte mich, weil es in der Mädchenabteilung nur hautenge Hüfthosen in Größe 128 gab: "Diese Zehnjährige braucht was zum Klettern und Rennen, nicht für den Babystrich!" Wir kauften schließlich eine Cargohose, in der Jungenabteilung. Als meine Schwiegermutter bemerkte, der Appetit meiner Tochter sei wirklich groß, ob man ihr nicht mal sagen müsse, sie solle ein bisschen auf ihr Gewicht achten, wurde ich wütend. "Nie werde ich ihr sagen: ,Iss nicht so viel, sonst wirst du zu fett!'", wetterte ich. "Und auch du wirst nichts sagen, denn das verbiete ich dir! Statt zu fürchten, dass deine Enkelin zu viele Käsebrote isst, solltest du dir Sorgen machen, dass sie eines Tages aufhört, gern zu essen!"

Germany's Next Topmodel verändert die Wahrnehmung

Die Wissenschaftlerin Maya Götz fand heraus, dass sich das Schönheitsideal von Kindern und Jugendlichen, die regelmäßig "GNTM" sehen, deutlich vom Schönheitsempfinden jener unterscheidet, die diese Sendung nicht gucken. Gut tausend Youngster wurden befragt: "Hier siehst du verschiedene Frauenkörper. Welcher ist deiner Meinung nach der schönste?" Bei den "GNTM"-Vielseherinnen landete der normal gebaute Körper auf dem letzten Platz - hinter der Untergewichtigen, der Sexbombe und der professionell inszenierten Übergewichtigen. Seriöse Zahlen darüber, wie viele Mädchen und junge Frauen an Magersucht und Bulimie leiden, gibt es nicht. Eine Studie der Universität Jena ergab jedoch: Jede dritte Schülerin leidet an Frühformen von Essstörungen und sorgt sich um ihre Figur. Ich bin alarmiert, manch andere Mutter hält mich für hysterisch: "Kein Mädchen wird magersüchtig, nur weil es ‚Germany's Next Topmodel' guckt." Stimmt, es gibt keine Zwangsläufigkeit. Wenn ein Kind einmal pro Woche bei Rot über die Straße läuft, muss es nicht überfahren werden. Aber niemand wird leugnen, dass sich das Unfallrisiko erhöht.

Würde meine Tochter morgen fragen, ob sie "GNTM" gucken darf, ich würde es ihr nicht mehr verbieten. Dafür ist sie zu groß. Aber sie fragt nicht. Sie sagt, "der Tussi-Scheiß" interessiere sie nicht. Sie trägt meist bequeme Jeans, neuerdings ab und zu Röcke. Sie strahlt, wenn ihr Vater ihr Komplimente macht. Sie kocht gern. Sie liegt auf dem Sofa, streichelt ihren Bauch und sagt: "Ich weiß nicht, warum alle immer so dünn sein wollen. Ich mag meinen Bauch." Ich küsse sie auf den Nabel und bin so froh, wie man nur sein kann, wenn man das Gefühl hat, etwas Entscheidendes richtig gemacht zu haben. Ich hoffe, sie ist stark genug, um zu bleiben, wie sie ist.

Zum Weiterlesen: • Auf der Homepage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (www.bzga.de) gibt es viele Infos und Hinweise auf verschiedene Broschüren für junge Leute zum Thema Schönheit und Essstörungen, unter anderem auch einen Bodycheck, mit dem man sein Essverhalten überprüfen kann.

• Auf www.hungrig-online.de können sich Betroffene und Angehörige austauschen.

• Als Graphic Novel hat Lesley Fairfield ihr Buch für Heranwachsende zum Thema Magersucht gestaltet: "Du musst dünn sein - Anna, Tyranna und der Kampf ums Essen" (120 S., 12,90 Euro, Patmos).

Text: Nicole Frohme Ein Artikel aus BRIGITTE

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