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Von Sex, Kampf und großen Gefühlen Erica Fischer: Die große Liebe kam erst nach 60 Jahren Leben

Erica Fischer
Erica Fischer
© Jennifer Endom
Der Feminismus und die Frauenbewegung haben sie zu der gemacht, die sie heute ist, sagt Erica Fischer. Aus dem zurückhaltenden Mädchen wurde eine Kämpferin. Manchmal ein wenig zu versteift, sagt sie jetzt. Trotzdem war es die beste Zeit ihres Lebens. Die heute 80-Jährige beweist: Veränderungen sind nichts Schlechtes, sie gehören zum Leben dazu. Vorwärtsgewandt in die Zukunft, das scheint ihr Lebensmotto.

Es ist 10 Uhr morgens in Berlin, in einem Café in Mitte herrscht reges Treiben. Birchermüsli, Pariser-Frühstücke und alle möglichen Kaffeevarianten werden hin und her getragen. Als Erica Fischer den Raum betritt, blickt sie sich suchend um. Als erstes fällt ihre knallrote Brille zu den kurzen grauen Haaren auf. Sie lächelt, als sie findet, wen sie sucht, und sofort umgibt sie eine freundliche Aura. Sie bahnt sich einen Weg durch das Stimmengewirr, setzt sich und bestellt eine Kanne schwarzen Tee mit kalter Milch: "Ein Überbleibsel aus meiner Englandzeit", sagt sie lächelnd.

Erica Fischer ist am 1. Januar 2023 80 Jahre alt geworden. Im vergangenen Oktober brachte sie ein neues Buch auf den Markt – "Spät lieben gelernt. Mein Leben". Während das Treiben um den kleinen Tisch am Fenster weiterläuft, taucht Erica Fischer wieder ein in ihr damaliges Leben, nimmt noch einmal am Tisch ihrer Mutter platz, erinnert sich an die psychischen Probleme ihres Bruders und den frühen Tod ihres Vaters. Es geht um Heimat, Rastlosigkeit, Kampf und die ganz große Liebe.

Fehlende Liebe in der Kindheit beeinflusst das ganze Leben

Eines wird deutlich – in ihren Erzählungen und im Buch: Das Verhältnis zu ihrer Mutter war angespannt. "Eigentlich bin ich mein Leben lang hinter ihrer Liebe und Anerkennung hinterhergelaufen", sagt sie. Warum sie sie nicht bekam? "Das kann ich gar nicht genau sagen." Eine Antwort wird sie darauf nicht mehr bekommen. Zumindest eines weiß sie: Sie war ein Wunschkind beider Eltern. "Ich habe Briefe gefunden von meinen Eltern, in denen beide von einem gemeinsamen Kind sprachen". Und die ersten Fotos mit ihr als Baby und Kleinkind wirken glücklich. Die späteren Aussagen ihrer Mutter, sie hätte die Kinder nur des Vaters zuliebe bekommen, konnte sie so zumindest widerlegen. Als hübsches und braves Kleinkind noch geliebt kam der Bruch mit der Pubertät. "Sie wussten mit mir als rebellierender Teenager nichts mehr anzufangen".

Erica Fischer wurde 1943 in St Albans bei London geboren. Ihre Eltern waren vor den Nationalsozialist:innen aus Wien geflohen. Mit fünf Jahren folgten Erica Fischer, ihre Mutter und ihr Bruder dem Vater aber wieder zurück in die Heimat. "Mein Vater hatte die Hoffnung, ein neues Österreich mit aufbauen zu können", erzählt sie und lächelt über den naiven Gedanken. "Ich dachte damals auch: Wir stürzen das Patriarchat nach einem Jahr", schiebt sie lachend hinterher. In Wien wuchs sie auf. Dass es tatsächlich eine jüdische Kultur in ihrer Familie gab, merkte sie erst, als sie viele Jahre später in Israel war. "Es war wie zu Hause", und damit meint sie vor allem die Menschen. Sie selbst bezeichnet sich als Jüdin, aber nicht als religiös. Sie fühlt sich den Menschen zugehörig.

Erica Fischer hatte nie ein starkes Verlangen danach, Mutter zu werden

Von ihrer Mutter lernte sie über die jüdischen Adern fast nichts. Das meiste brachte sich Fischer selbst bei und nutzte ihre Recherchen, um das Buch "Aimée und Jaguar" zu schreiben – ein Welterfolg. Trotz aller Differenzen hat ihr ihre Mutter aber dennoch einiges mitgegeben. "Die liebe zur Mode und zur Kunst", sinniert sie. Aber auch der Hang zum Feminismus steckte ihr im Blut. Ihre Mutter war Frauenrechtlerin, erzählt Fischer. Sie gab ihr schon früh eine Botschaft mit auf den Weg: "Erlerne einen Beruf, der dir ökonomische Unabhängigkeit sichert, und bekomme keine Kinder." Für sie bedeutete Mutterschaft den Verlust von Freiheit, erinnert sich Fischer. "Ich habe ihren Auftrag erfüllt", sagt sie mit einem leicht hämischen Grinsen.

"Es war keine klare Entscheidung gegen Kinder." Aber ein großes Verlangen danach Mutter zu werden, hatte sie nie. Außerdem passte das nicht so recht zum feministischen Kampf. Die Zeit der Frauenbewegungen war nicht nur vom Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit geprägt, sie wurden auch gelebt. Hatte man eine:n Partner:in war Treue nicht das höchste Gut. Das erste Mal traten auch gleichgeschlechtliche Paare offen auf. "Ich hatte auch die eine oder andere Freundin", sagt Fischer, "aber am Ende bin ich dann doch bei den Männern geblieben". Auch wenn viele von ihnen in dieser Zeit nur Sex von ihr wollten und sich mit ihr als Feministin an ihrer Seite brüsteten.

Die Entnahme ihrer Gebärmutter empfand Fischer als Erleichterung

Mit 39 Jahren wurde ein Myom bei ihr festgestellt. Die Gebärmutter musste entnommen werden. "Für mich war das eher eine Erleichterung. Ich musste mir um Verhütung keine Sorgen mehr machen." Während zwei Freundinnen im gleichen Alter mit 38 und damit für damalige Verhältnisse spät noch Kinder bekamen, genoss sie ihre Freiheit und schrieb mit 40 ein offenes Buch über das Altern: "Jenseits der Träume" – mit Erfolg.

Durch fehlende Zuneigung und Liebe in der Kindheit hatte Erica Fischer aber stets diese Sehnsucht nach der wahren Liebe. Sie wollte heiraten, um die Gewissheit zu haben, dass dieser eine Mann blieb. "Doch sie verließen mich alle." Heute, sagt sie, sehe sie ihre Mitschuld. Sie habe damals zu viel verlangt, der Mann sollte ihren Feminismus so leben wie sie, genauso kämpferisch. Das hielten viele jedoch nicht lange aus. "Mit dem Alter habe ich eine gewisse Gelassenheit entwickelt". Der menschliche Umgang untereinander ist ihr wichtig, da können auch mal konträre Meinungen auf den Tisch kommen: "Männer sind nun mal keine Frauen."

Das Alter hat mit der großen Liebe überhaupt nichts zu tun

Heute hat sie ihre "späte Liebe" gefunden. Er kommt aus Italien, zusammen leben sie in Berlin. Gesprochen wird Italienisch. Und vielleicht geht es für beide bald auf in ein neues Abenteuer – dafür müsste Erica Fischer allerdings einen Spanischkurs belegen. Nach zwei Stunden, einer Kanne schwarzem Tee und einer Apfelschorle nimmt Erica Fischer ihren Fahrradhelm von der Anrichte, verabschiedet sich und tritt ins Berliner Leben unter eine bereits sehr warme Februarsonne. Es geht zur Physiotherapie: "das Bein", sagt sie, mit einem Blick nach unten. Die ersten Schritte nach dem Aufstehen wirken tatsächlich etwas steif. Danach wird an einem neuen Auftrag gearbeitet und abends steht noch eine Lesung an. Arbeit ist ihr Leben, sagt sie, damit aufhören will sie erst mal nicht.

Von Sex, Kampf und großen Gefühlen: Erica Fischer: Die große Liebe kam erst nach 60 Jahren Leben
© Berlin Verlag

Erschienen am 13. Oktober 2023
Sachbuch, gebunden, 22 Euro
Berlin Verlag

Brigitte

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