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Meine Freundin, die Migräne Das bisschen Kopfweh heilt sich von allein …

Frau mit Migräne im Bett
© Vitalii Demin / Shutterstock
Unsere Autorin leidet an Migräne. Wer diese Art von Kopfschmerz nicht kennt, kommentiert dafür umso lieber: Das bisschen Kopfweh, das heilt sich von allein …

Manchmal wache ich auf und sie ist schon da. Sie sitzt auf mir, ich stehe neben mir. 

Manchmal schaut sie erst im Laufe des Tages vorbei. Sie klopft kurz an, wartet dann vor der Tür, bis ich Zeit für sie habe. Höflich ist sie meist, das muss man ihr lassen. Sehr strebsam noch dazu, denn während der Arbeit stört sie mich selten – erst dann, wenn der Stress endet und die Freizeit beginnt. Sie mag auch Sprichwörter: „Freu dich nicht zu früh“ nimmt sie ähnlich ernst wie „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ und von Letzterem hat sie eine ganz eigene Auffassung. 

Ich spreche von ihr wie von einer guten Freundin, einer alten Bekannten. Ich erkenne sie schon von Weitem, wenn mich der Blick in die Sonne ihr plötzlich zuzwinkern lässt. Ich weiß um ihre Geduld, mit der sie meine Ungeduld herausfordern kann. Und ich respektiere ihre Macht, mit der sie mir jederzeit alle Kraft rauben kann. 

Ich lebe seit meiner Kindheit mit ihr. Genau genommen war die Migräne schon immer ein Teil unserer Familie – nur scheint es, als hätte sie beschlossen, mit meiner Geburt einen Umzug zu vollziehen, vom Körper meiner Mutter in meinen. Ein Ortswechsel, wie nett! Mal sehen, wie ich mich hier so einrichten kann, mag sie gedacht haben. 

Was jetzt irgendwie nett und versöhnlich klingt, ist nur die halbe Wahrheit, die lustige Anekdote, die man in guten Phasen auspackt, um sich, wie es bei chronischen Krankheiten immer so schön heißt, "miteinander anzufreunden". Auch eine beliebte Formulierung: sich zu "versöhnen", am liebsten gleich umarmen. Würde ich ja gerne, würde mir die Migräne dabei nicht immer rücklings mit dem Hammer den Schädel einhauen.

Ich habe lange gebraucht, um die Migräne zu akzeptieren, ehrlich gesagt scheitere ich noch heute regelmäßig daran. Das liegt zum einen an ihrer Unberechenbarkeit und an meiner aufsteigenden Wut, wenn sie mir wieder einmal Pläne zerschlägt. Zum anderen liegt es an ihrem Image. In Gesellschaft ist die Migräne nämlich deutlich freundlicher als alleine. Da hat sie den Ruf eines leichten Kopfwehs, keine Schönheit, aber doch ein willkommener Besuch, wenn man sich vor einem Techtelmechtel drücken will. 

Wer die Migräne nur als Freundin von Freund:innen kennt, sie aber noch nie bei sich zu Hause hatte, tut sich schwer damit, ihr wahres Ich zu erkennen. Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich zwar mitleidige Blicke, aber auch gänzlich falsche Ratschläge bekomme. Ich nehme es den Menschen nicht übel, man kann etwas nun einmal schwer fassen, was man selbst nicht kennt. Trotzdem merke ich, wie das gesellschaftliche Ansehen der Migräne meinen Umgang mit ihr erschwert, wie ich anfange, mich für sie zu schämen, sie zu verstecken, mich und sie nicht mehr ernstzunehmen, mir Vorwürfe zu machen und mich nach und nach selbst davon überzeugen zu wollen, mich bloß ein wenig zusammenreißen zu müssen, dann würde sich das bisschen Kopfweh doch von allein heilen.

Es hat Jahre gedauert, bis ich bereit dazu war, zu Ärzt:innen zu gehen, mir eine Neurologie zu suchen, mir zuzugestehen, starke Schmerzmittel zu nehmen, deswegen nicht schwach zu sein und die Migräne als das anzuerkennen, was sie ist, eine "komplexe neurologische Erkrankung, eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns", wie die "Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft" schreibt.

Was Menschen mit Migräne nicht hören möchten

Deswegen hier ein kleiner Auszug an Dingen, die ich wirklich, wirklich nicht mehr über meine Migräne hören möchte – in der Hoffnung, dass es vielleicht auch anderen hilft. Ich weiß, dass die meisten dieser Ratschläge gut gemeint sind. Nur ist die Migräne eben mehr als ein bisschen Kopfweh, sie verschlimmert sich bei Bewegung, sie geht mit Licht- und Lärmempfindlichkeit einher, sie erzeugt Übelkeit, Hitze- und Kälteschauer, manchmal kannst du nicht mehr richtig sehen oder fühlen, manchmal ist der Schmerz so stark, dass du an nichts anderes mehr denken kannst. Manchmal ist der Schmerz vorbei, doch die dunkle Wolke ist noch da, die dir tagelang Gedanken und Stimmung trübt. Dann sind folgende Kommentare ein Schlag in die noch angeschlagene Magengrube:

  • Nimm doch einfach 'ne Ibu, dann kannst du noch bleiben.
  • Hattest du nicht gestern erst Kopfschmerzen?
  • Das kommt aber häufig vor.
  • Hast du heute schon etwas getrunken?
  • Hast du viel Stress? 
  • Vielleicht hilft dir Yoga.
  • Du brauchst einfach mal Urlaub.
  • Ich hab auch oft Kopfweh, aber ich nehme ja nie Tabletten. 
  • Diese Tabletten sind aber auch nicht gesund.
  • Du musst mehr an die frische Luft gehen.
  • Überhaupt, machst du genug Sport?

Ihr Menschen, die euch bei diesen Sätzen jetzt ertappt gefühlt habt, seid mir bitte nicht böse – ich bin es euch auch nicht. Aber glaubt mir: Wer Migräne hat, wird sich selbst viele Gedanken darüber machen, woher sie kommt, was sie lindert, ob man wohl wegen ihr zu oft fehlt und wieso man denn jetzt schon wieder Kopfschmerzen bekommt. Wenn wir dann auch noch von außen gespiegelt bekommen, dass alles gar nicht so schlimm sei, wie es sich für uns anfühlt, wir nur ein wenig Stress reduzieren oder meditieren müssten – dann wartet zu Hause bereits unsere Freundin auf uns, die übrigens auch gerne tobt, tanzt und schrill in den Ohren klingt, wenn sie, völlig unbeeindruckt vom Feedback der Außenwelt, in Dauerschleife singt: Das bisschen Kopfweh heilt sich von allein, sagt die Welt? Na, das wollen wir doch mal sehen. 

Brigitte

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