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Fotografin Antine Yzer "Vollzeit arbeiten geht nicht, wenn du Personen pflegst"

Fotoprojekt "Das Fenster zur Hecke": Antine Yzer und ihr Opa
© Antine Karla Yzer / Privat
Fotografin Antine Karla Yzer hat ihre Großeltern regelmäßig im Alltag unterstützt. Daraus entstand ein Fotoprojekt, das sich sowohl mit dem Altwerden, aber auch mit Kindheitserinnerungen befasst. Warum diese Zeit so wertvoll für sie war, erzählt Antine im Interview.

BRIGITTE.DE: Wie bist du auf die Idee zu dem Projekt "Das Fenster zur Hecke" gekommen? 

Antine Karla Yzer: Alles fing zu Beginn der Pandemie an. Meine Großeltern haben zu dem Zeitpunkt sehr einsam auf dem Land in Ostfriesland gelebt und wir haben dann als Familie beschlossen, dass sie mehr Unterstützung brauchen. Ich wollte mich gern aktiv einbringen und habe einen Pflegeauftrag für meine Großmutter übernommen. Sie hat Pflegegrad zwei. Das bedeutete vor allem Unterstützung beim Einkaufen, bei Arztbesuchen, bei der Gartenarbeit und auch einfach da sein. Ich habe irgendwann gemerkt, die Welt, dreht sich so schnell weiter und die beiden kommen gar nicht mehr hinterher. Da ist es ist gut, jemanden zu haben, der ein bisschen übersetzen kann. Ich bin ein zwei Mal im Monat für ein paar Tage hingefahren. Beim Laufen durch das Haus, kamen dann die ganzen Kindheitserinnerung wieder hoch. Das Gefühl fand ich so stark – und so entstand dann nach und die Idee, das visuell zu begleiten und festzuhalten. 

Pflegeauftrag heißt, du wirst dafür von der Pflegekasse entlohnt, oder was steht dahinter?

Ja, ich habe einen Teil von diesem Geld bekommen. Das ist auf keinen Fall eine richtige Entlohnung, eher eine Aufwandsentschädigung. Aber für mich als Studentin, war das damals notwendig, um die Zeit frei zu machen, nach Ostfriesland fahren zu können. Es wird aber auch sehr streng geprüft. Das kriegt man gar nicht so einfach. Meine Oma ist körperlich eingeschränkt und beide Großeltern sind über 80. Trotzdem mussten wir zwei Mal beantragen, bis es bewilligt wurde.

Wie finden deine Großeltern die Aufnahmen und waren sie sofort einverstanden? Die Aufnahmen sind immerhin auch sehr intim.

Ich habe da schon häufig Fotos gemacht, einfach weil man auch mal seine Familie fotografiert. Es gab da also gar nicht den Moment, wo ich sie konkret gefragt habe, das hat sich eher so entwickelt. Erstmal habe ich ein Projekt zum Thema Schönheit gemacht und da ist dieses Akt-Porträt von meiner Oma entstanden – da hat sie sofort ja gesagt. Das fand ich richtig cool. Das Foto gefällt ihr auch total gut und sie findet sich richtig schön. Sie wollte das Foto unbedingt ausgedruckt haben, damit sie das zu Hause ihren Freundinnen zeigen kann. Ich glaube, sie wollte auch ein bisschen schocken. Dort ist alles sehr konservativ und man macht sowas ja eigentlich nicht. Aber auch die anderen Fotos habe ich ihnen immer gezeigt und die beiden freuen sich vor allem, dass ich so viel da bin und mich mit ihnen beschäftige.

Wie hat sich das Verhältnis zu deinen Großeltern im Laufe der Zeit gewandelt?

Erstmal war das total schwierig, von den beiden ernst genommen zu werden. Bisher waren sie es immer, die sich um mich gekümmert haben, jetzt kümmere ich mich um sie. Ein paar Sachen waren für sie leichter abzugeben, so wie einkaufen oder Geld holen, andere schwieriger. Die Beziehung verschiebt sich, aber in Teilen ist sie noch immer wie früher, wenn mein Opa mir bei der Autowäsche hilft zum Beispiel. Und ihre Eigenständigkeit ist für sie total wichtig. Ich glaube, wir verstehen uns gegenseitig jetzt viel besser. 

Inzwischen wohnen deine Großeltern nicht mehr in ihrem Haus. Wo leben sie jetzt und wie habt ihr euch als Familie organisiert. 

Sie haben selber entschieden, dass ihnen das Haus zu anstrengend ist. Es hatte einen großen Garten, im Sommer muss man alle zwei Wochen den Rasen mähen. Wir haben das Privileg, dass meine Eltern ein Haus haben, wo eine kleine Wohnung drin ist, da wohnen sie jetzt. Es war für uns alle schwierig, als die beiden aus dem Haus ausgezogen sind. Mama und ich vermissen das auch immer noch, aufs Land zu fahren. Aber ich kann jetzt viel häufiger bei ihnen in Bremen sein und meine Mama ist viel entspannter, weil sie da ist, wenn irgendwas ist. Wir verabreden uns jetzt regelmäßig, machen mehr als Familie, mein Papa hilft auch mit. Wir verteilen es jetzt anders. Es ist gut. Und ihnen geht es auch gut.

Und wenn sie sich nicht mehr so eigenständig sein können?

Solange wir das schaffen, würden wir das über die Familie regeln. 

Wie alt sind die beiden jetzt?

86 und 90.

Wie ist es für dich, beim Altern zuzuschauen? 

Ich hatte ganz lange Angst davor, mich damit auseinander zu setzen. Alter und Krankheit ist auf jeden Fall schon immer ein Angstthema gewesen. Ich glaube, das geht vielen so, deswegen blenden wir das auch grundsätzlich eher aus. Aber ich finde es auch schön zu sehen, was im Alter wichtig ist oder wird. Das ist wie eine Klammer für das Leben, so kann man sich ein bisschen vorstellen, wie das irgendwann mal wird. Das kann nicht schaden, glaube ich.

Was ist das, was im Alter wichtig wird?

Es reduziert sich am Ende. Wenn so viel geht, wie Freunde und die gewohnte Umgebung und irgendwie auch die Konstanten in der Welt, die man so kennt, alles verändert sich, dann habe ich das Gefühl, dass Familie – und damit meine ich Familie im allerweitesten Sinne – das Wichtigste wird. 

Fotografin Antine Karla Yzer
Fotografin Antine Yzer hielt die Besuche bei ihren Großeltern auf dem Land in Ostfriesland fest und weckt damit Kindheitserinnerungen.
© Ilja Rossbander / Privat

Aus deinen Bildern spricht ein Gefühl der Wehmut. Ich kenne das auch, wenn ich zu meinen Großeltern fahre. 

Ja, ich glaube Wehmut trifft es ganz gut, mich rührt das auch immer, wenn ich ältere Menschen in Filmen beispielsweise sehe. Da könnte ich immer heulen. Ich weiß auch nicht wieso. 

Gibt es etwas, von dem du sagen würdest, das hast du von deinen Großeltern gelernt oder das haben sie dir mitgegeben?

Ja, ich finde es total gut, die Welt aus ihren Augen gesehen zu haben oder sehen zu können. Ich habe mir wirklich keine Gedanken darüber gemacht, wie schwierig es ist, barrierefreie Wege zu ergründen. Oder wie Menschen reagieren, wenn man sich beim Arzt nicht in der Schlange anstellt, sondern sich schon mal reinsetzt, weil man nicht so lange stehen kann. Über diese Schwierigkeiten habe ich vorher nicht nachgedacht und auch nicht reflektiert, wie ich selbst handle. Das ist jetzt ein physisches Beispiel, aber ich glaube, das kann auch für alles stehen. Auch wie wir digital durch die Welt gehen, wie wir die Welt ganz anders erleben und das als normal sehen. Wir vergessen dabei, dass ein ganzer Teil der Gesellschaft da gar nicht mitkommt und das vielleicht auch gar nicht mehr wird. Wie groß die Hürden innerhalb der Gesellschaft sind.

Das fängt schon bei Überweisungen in Papierform, die gebührenpflichtig sind und Parkautomaten, die zum Teil nur noch per App bedienbar sind, an. Viele Senioren haben nicht mal ein Handy.

Das ist doch krass, wie man dann ausgeschlossen wird. Ich finde schon, dass man in Deutschland ein bisschen mehr machen könnte, damit sich die Generationen auch untereinander mehr austauschen. Es ist nicht überall so wie bei uns, dass man die älteren Personen so ausgrenzt und wegschiebt. Wir sind eine Gesellschaft, die sehr leistungsorientiert ist. Aber Vollzeit arbeiten geht nicht, wenn du alte Personen pflegst.

Eine letzte Frage habe ich noch: In der Beschreibung deines Projekts sprichst du metaphorisch auch von der "blauen Stunde". Was hat es damit auf sich?

In der Fotografie ist das ein Begriff für ein ganz bestimmte Lichtstimmung wenn der Tag schwindet. Die Fotos sind ja gar nicht in diesem Licht entstanden, aber ich fand die Metapher so schön. Weil es den Lebensabend von zwei Menschen beschreibt: das Ende des Tages, der Abend des Lebens sozusagen. Das finde ich schön.

Antine Karla Yzer ist 1993 in Bremen geboren. Sie studierte Fotografie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW) und ist nebenbei als freie Fotografin mit den Schwerpunkten Künstlerportraits und künstlerische Dokumentarfotografie tätig. 

Brigitte

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