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Ein Fanbrief an Silvia Neid

BRIGITTE-Autor Stephan Bartels hat von der Fußball-Trainerin Silvia Neid etwas fürs Leben gelernt - und möchte ihr nun endlich dafür danken.

Liebe Silvia Neid,

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von Ihnen, und das kann ich wirklich nicht von vielen Menschen behaupten, habe ich etwas fürs Leben gelernt. Als Sie 2007 die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft (damals amtierende Weltmeisterinnen) erstmals als Cheftrainerin auf ein Turnier vorbereiteten, wurden Sie in einem Interview gefragt, wie das denn sei, wenn man einen Titel verteidigen müsse. "Ach, müssen wir das?", haben Sie da geantwortet. "Nein. Und verteidigen müssen wir auch nichts, das klingt mir zu defensiv. Wir dürfen ihn wieder gewinnen!" Dieser Satz hat auf mich Eindruck gemacht. Und, wirklich: ein bisschen mein eigenes Denken verändert. Durch Sie weiß ich, dass es sehr viel freudvoller ist, in den Gelegenheiten des Lebens die Chancen zu sehen und nicht ständig auf das zu schauen, was man zu verlieren hat. Danke dafür. Und danke auch für etwas anderes. Maßgeblich Sie waren es nämlich, die mich von Anfang an davon überzeugt hat, was für eine attraktive Veranstaltung Frauenfußball doch sein kann.

Ich bin 1967 geboren, seit der WM 1974 bin ich amtlich fußballverrückt. Ich bin, rein sportlich, von kantigen Schnauzbartträgern mit Dauerwelle sozialisiert worden, die in Interviews keinen geraden Satz zustande gebracht haben. So war der Männerfußball in den 70ern nun einmal. Und vor allem war er hart und rücksichtslos. Kurz nach meinem 15. Geburtstag sah ich zufällig einen Bericht über das allererste Länderspiel einer deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft. Alles war viel langsamer als bei den Männern, selbst langsamer als in meiner eigenen Jugendmannschaft. Das bildete ich mir zumindest ein. Es war sogar teilweise unbeholfen. Aber es gab auch verblüffend schöne Spielzüge. Und vor allem: Fairness und Respekt für den Gegner. Das hat mir gefallen. Dass Sie, gerade 18 Jahre alt, damals eingewechselt wurden und sogar zwei Tore gegen die Schweiz schossen - zugegeben, daran kann ich mich leider nicht mehr erinnern.

Dafür sind Sie mir in den folgenden Jahren umso mehr im Gedächtnis haften geblieben. Seit 29 Jahren gibt es die Fußballnationalmannschaft der Frauen, und Sie waren eigentlich immer dabei. In den 80ern und 90ern als beste und auffälligste Spielerin des Teams - männliche Journalisten haben Sie auf der verzweifelten Suche nach Referenzgrößen in ihrer Welt oft mit Lothar Matthäus verglichen (Ihre Antwort damals: "Kann nicht sein. Dazu fehlen mir die entscheidenden fünf Gramm") -, danach als Trainerin. Denn 1996, direkt nach dem Ende Ihrer Karriere mit 111 Länderspielen, drei Europameistertiteln, sieben deutschen Meisterschaften und sechs Pokalsiegen, wurden Sie Assistentin von Tina Theune-Meyer, der Trainerin der deutschen Mannschaft. Das hatte eine gewisse Logik. Sie waren damals das Gesicht des Frauenfußballs, sein Glamourgirl, der Star mit der größten Strahlkraft: klug, temperamentvoll, mit trockenem, beinah britischem Humor, bissig bei Bedarf, ein kongenialer Gegenpol zur stillen Cheftrainerin.

Das sind Sie ja inzwischen selbst. Seit 2005 stehen Sie diesen jungen, talentierten Fußballerinnen als Übungsleiterin vor. Und gewinnen seitdem, na ja, nicht alles. Aber das meiste. Der deutsche Frauenfußball ist führend in der Welt. Das hat viel mit Ihnen zu tun. Und er hat sich verändert, seit Sie dabei sind. Ist professioneller, athletischer, schneller geworden. Auch Ihr Verdienst - völlig zu Recht sind Sie von der Fifa im Januar zur Welttrainerin 2010 gekürt worden.

Und jetzt kommt eine Zeit, in der Sie schon wieder etwas tun können für Ihren Sport. Im Juni beginnt die Weltmeisterschaft der Frauen, zum ersten Mal in Deutschland. Es wird das größte Sportereignis des Jahres, so viel Aufmerksamkeit wie dann wird dem Frauenfußball noch nie zuteil geworden sein. Von Ihnen wird nun erwartet, das Spiel auf eine neue Ebene zu heben. Denn die deutschen Frauen sind zwar seit Jahren viel erfolgreicher als die Männer, aber trotzdem fehlt ihnen noch immer die verdiente Anerkennung, jedes Zweitliga spiel der Herren hat mehr Zuschauer als ein Spitzenspiel bei den Frauen. Sie sollen im Sommer einen Boom für diesen Sport auslösen, das wünscht man sich beim Fußball-Bund. Und Sie brauchen dafür nicht einmal den Titel zu verteidigen, aber natürlich dürfen Sie ihn mit Ihren Mädels auch wieder gewinnen. Aber kein Stress, liebe Silv (so nennen Sie Ihre Freunde, und ich tue mal so, als wäre ich einer) - Sie müssen nichts mehr beweisen. Egal wie viel Druck so eine WM im eigenen Land automatisch produziert. Aber ich bin ganz sicher: Wenn jemand damit klarkommt, dann Sie.

Ihr Stephan Bartels

Text: Stephan Bartels BRIGITTE WOMAN 03/2011

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