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Düzen Tekkal "Es geht darum, Mensch zu sein"

Düzen Tekkal
© Markus C. Hurek
Teil 21 unserer Serie #dubiststark: Düzen Tekkal ist ein absolutes Multitalent: Sie ist Journalistin, Politologin, Autorin, Sozialunternehmerin, Menschenrechtsaktivistin und hat die Bildungsinitiative GermanDream sowie die Hilfsorganisation HAWAR.help gegründet. Im Interview haben wir mit ihr über ihr Engagement gesprochen.

BRIGITTE.de: Liebe Düzen, du besitzt so viele Berufsbezeichnungen und leitest so viele Projekte gleichzeitig – wie schaffst du es, alles unter einen Hut zu bringen?

Düzen Tekkal: Indem ich das mache, was ich liebe. Ich folge meinem inneren Ruf und der Leidenschaft. Was all diese Berufe verbindet, ist die Liebe zu dem, was ich tue – und was ich tue, hat dann quasi diese verschiedenen Namen bekommen.

Bei GermanDream handelt es sich um eine gemeinnützige und überparteiliche Bildungsinitiative, die Schüler*innen zu Wertedialogen einlädt, in denen sie darüber diskutieren, wie wir als Gesellschaft in Deutschland zusammenleben wollen. Unterstützt werden sie dabei von prominenten und nicht-prominenten Wertebotschafter*innen, die aus ihrem Leben berichten und zum Beispiel erzählen, wie sie als Mensch mit Migrationshintergrund ihren German Dream verwirklicht haben.

Düzen, kannst du einmal erklären, woher die Idee für GermanDream stammt und was genau ihr dort macht?

Für mich war da immer schon so eine Lücke, weil ich das Gefühl hatte, dass es noch mehr gibt zwischen "Hier wird diskriminiert" und "Ausländer müssen raus". Mir gefielen diese extreme Diskussion und die Art und Weise, wie teilweise auch mit viel zu viel Schaum vorm Mund und ohne gesunden Menschenverstand über die Themen Migration, Identität und gesellschaftlicher Zusammenhalt diskutiert worden ist. Für mich hat der Teil gefehlt, den ich in diesem Land erlebt habe als Kind von Flüchtlingen, nämlich ein Deutschland der Chancen – trotz aller Herausforderungen. Ein Deutschland der Möglichkeiten, ein Deutschland der Partizipation, der Möglichkeit an Selbstbestimmung und Freiheit für mich als kurdisch-jesidisches Mädchen.

Ich wollte schon immer meinen German Dream erzählen und befand mich dann plötzlich in so einer Schwarz-Weiß-Debatte. Das war der Grund, warum ich gesagt habe: "Jetzt wird es Zeit für den German Dream." Und die Resonanz zeigt, dass es eine Menge Menschen gibt, die viel zu sagen haben über ihre Vita und über ihren deutschen Teil in diesem Land. Was wollen erzählen, dass wir alle ein Teil dieses Landes sind und dass wir alle dazugehören, egal wie wir aussehen und wo wir herkommen. Und diese Verbindung wird über die Werte hergestellt und nicht über die Herkunft.

Hast du das Gefühl, dass Corona die Ungleichheit von sozial benachteiligten Schüler*innen noch weiter verstärkt?

Total. Deswegen hat mich auch dieses Gerede um "Die Krise macht gleich" von Anfang an extrem gestört. Denn ich habe es genauso empfunden, dass die Krise ungleich macht und dass sie die Möglichkeitsunterschiede noch tiefer zementiert und dass es ein großer Unterschied ist, ob ich ein Kind von deutschen Akademikern bin oder von bildungsfernen Migranten, denn da gibt es die Möglichkeiten gar nicht.

Hinzu kommt, dass man auch wirklich abdriften kann, wenn die Struktur der Schule wegfällt und das Gefährliche ist auf Dauer, dass ein Gefälle entsteht, das ganz schwer nachzuholen ist. Zudem ist die Schule ja auch eine Kontrollinstanz, das heißt diejenigen, die zum Beispiel von Gewalt betroffen sind, die fallen durchs Raster, weil es nicht mehr kontrollierbar ist.

Insofern mag ich mir gar nicht vorstellen, was in machen Kinder- und Wohnzimmern in den letzten Wochen und Monaten los war. Zumal die meisten, die davon betroffen sind, gar nicht in die Sichtbarkeit kommen. Denen versuchen wir natürlich auch einen Raum zu geben und uns damit auseinanderzusetzen. Wir sind sehr dankbar, dass uns da auch viele junge Menschen vertrauen und uns anschreiben, wenn sie Hilfe suchen. Aber das ist nur ein geringer Prozentsatz.

Im August 2014 verübte der sogenannte Islamische Staat im Irak einen Genozid an der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden, bei dem über 5000 Jesid*innen starben, mehr als eine halbe Million Menschen mussten vor den Terroristen flüchten. Düzen Tekkal, die selbst Tochter jesidischer Flüchtlinge ist, reiste als Kriegsreporterin in das Gebiet und gründete daraufhin den Verein HAWAR.help.

Düzen, kannst du einmal erklären, was genau ihr bei HAWAR.help macht?

Mit HAWAR.help tragen wir unseren Beitrag zu einer friedlichen Welt bei, weil die Gründung dieses Vereins auf der Asche eines Völkermords basiert. Mit HAWAR konnten wir beweisen, dass trotz Krieg Perspektiven, Chancen und Leben möglich sind. Es gibt mehrere Sport-, Bildungs- und Frauenprojekte, wir haben zum Beispiel Frauenhäuser im Irak, wo wir uns um Opfer aus IS-Gefangenschaft kümmern. Ich bin wahnsinnig stolz darauf, dass es multiethnische und multireligiöse Projekte sind, das war nicht einfach, aber wir haben uns durchgesetzt. Und es geht darum, dass wir den Frauen vor Ort Chancen geben wollen, damit sie sich nicht irgendwann auf den Weg machen wollen, es geht um Fluchtursachenbekämpfung. 

HAWAR hat mein ganzes Leben verändert. Diese ersten vier Tage im August 2014, als ich mein sicheres Deutschland verlassen habe und in einen Krieg aufgebrochen bin, der so gefährlich war, dass es gar keine Flüge mehr in das Gebiet gab, hat mir selber als Mensch gezeigt, dass es etwas gibt, was stärker sein kann als die Angst. Es war wie eine Wiedergeburt, ein life changing moment in meinem Leben, weil es sozusagen auch meine Einstellung zum Leben noch einmal komplett auf den Kopf gestellt hat. Und ich glaube, diese Kraft, diese DNA, die schießt heute in alles, was wir tun. 

Was läuft deiner Meinung nach bei der Integration in Deutschland aktuell falsch, was kann man besser machen?

Meine Haltung diesbezüglich ist, dass wir noch sehr viel Platz nach oben haben und dass ich immer den Punkt verfolgt habe, dass wir Migrationspolitik für Deutschland machen und nicht für Migranten. Und dass es immer noch nicht institutionell verankert und verordnet ist, legt auch die ganzen Konflikte offen. Denn wenn ich nicht das Gefühl bekomme, dass ich Teil dieses Landes bin, wenn ich nicht mitgenommen werde, dann entsteht da ein Vakuum an Frustration, Trauer und Wut, das hochgefährlich ist. Mir war immer klar, dass neben den extremen Rändern dieses Vakuum in der Mitte endlich wieder besetzt werden muss.

Natürlich gibt es dann auch Anfeindungen und natürlich wird man angegriffen, aber ich habe ja gerade meine Kriegserlebnisse geschildert: Nachdem ich diese HAWAR-Geschichte durchlaufen habe, hatte ich kein Problem, mich in Deutschland über Identität zu streiten. Das ist so ein bisschen die story of my life, weil ich immer von mehreren Seiten bedroht wurde und das manchmal auch ein Zeichen ist, dass es gar nicht so falsch ist, was man macht. Wer um die Liebe von Menschen buhlt, wer gefallen will, der ist in meinem Beruf falsch. Und trotzdem wollen wir am Ende des Tages natürlich alle geliebt werden, aber zu welchem Preis?

Gibt es in deinem Leben auch eine starke Frau, die dein Vorbild ist?

Ja natürlich, das ist meine Oma Nessima, die 107 Jahre alt geworden ist. Sie hatte knallrote Haare, war volltätowiert und hat als Minderheit in der Minderheit an der türkisch-syrischen Grenze ihre Rechte behauptet. Sie war Medizinerin, Hebamme, Bäuerin – daher stammen also auch die ganzen Jobs bei mir. Sie hat auch schon immer gezeigt, dass ganz viel möglich ist, viel mehr als wir glauben. Sie war furchtlos und voller Kraft, gerecht und sie hat ein großes Herz gehabt. Ich feiere diese Frau! Sie ist übrigens auch mein Ankerzentrum – wenn ich Phasen habe, in denen es mir nicht gut geht, denke ich an sie und dann leuchtet das Feuer wieder. So eine Person kann sich übrigens jeder suchen, sie muss ja nicht zwangsläufig aus der eigenen Familie kommen, es gibt schließlich viele Frauen, die als Vorbild dienen können.

Da hast du absolut recht. Vielen Dank für das Interview, liebe Düzen!

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