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Düzen Tekkal "Das Wir definieren, das Ich nicht verlieren"

Düzen Tekkal
Aktivistin und Unternehmerin Düzen Tekkal
© Bernd Elmenthaler / imago images
"Das Wir definieren, das Ich nicht verlieren": Das war die große Herausforderung der Aktivistin und Unternehmerin Düzen Tekkal, die heute sehr erfolgreich mit ihren Schwestern zusammenarbeitet. Das war nicht immer so.

Sollte man die Geschichte von Düzen Tekkal, 45, in drei Sätzen erzählen, könnten sie so klingen: Das Wir-Gefühl hat ihr das Leben in die Wiege gelegt. Das Ich-Sein musste sie sich erkämpfen. Um später zu einer neuen, selbstbewussten Gemeinsamkeit zurückzukehren. "So, wie ich heute mit meinen vier Schwestern zusammenarbeite, das ist ein Luxus. Ein Geschenk", sagt sie.

Journalistin, Politikwissenschaftlerin, Menschenrechtsaktivistin, Sozialunternehmerin, Demokratieverfechterin – es braucht einige Begriffe, um zu beschreiben, wer Düzen Tekkal ist. Geboren wurde sie in Hannover, als drittältestes von elf Geschwistern, als Tochter von Eltern mit kurdisch-jesidischen Wurzeln. "Ich habe zu Hause früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen, und auch, dass ich für alles, was ich will, eine Gegenleistung erbringen muss – so funktioniert das in einer Großfamilie, pragmatisch und ergebnisorientiert."

Als "Insel des Urvertrauens" beschreibt sie die wuselige Wärme, als Sicherheitsnetz, aber auch mit einer toxischen Seite: "Als ich erwachsen wurde, nicht die traditionelle weibliche Rolle ausfüllen wollte, war es ein Kampf, das Wir nicht zu verlieren, das Ich zu definieren. Denn wenn Gemeinsamkeit an Bedingungen geknüpft ist, kann sie auch einsam machen."

Schwestern sein – dazu braucht es nicht notwendigerweise gemeinsame Gene

Am Ende setzte sie sich durch, auch wenn sie dafür eine Weile die Rolle des schwarzen Schafs der Familie spielen musste. Ging ihren eigenen Weg, studierte, wurde TV-Journalistin bei RTL, beschäftigte sich immer wieder mit Themen wie Kultur und Integration. Dann der Wendepunkt 2014, als sie in den Irak reiste und über den Genozid des IS an den Jesid:innen berichtete. Die Recherche traf sie tief, berührte ihre eigene Biografie. Und die ihrer Familie. Zuschauen und berichten reichte ihr nicht mehr – sie wollte eine Hilfsorganisation gründen, "HÁWAR.help".

Dabei wandte sie sich an jene, von denen sie wusste, dass sie mit demselben Herzblut dabei sein würden und dass sie ihnen zutiefst vertrauen konnte: ihre Schwestern. So wuchsen sie als Erwachsene wieder sehr eng zusammen, über die Jahre kam eine Reihe gemeinsamer Initiativen und Projekte dazu: die Bildungsinitiative "German Dream" mit Empowerment für migrantische Jugendliche, die Organisations- und Personalberatung "Mut:Republik", und das Sportprojekt "Scoring Girls", ins Leben gerufen von Düzens Schwester Tuğba, einer ehemaligen Profifußballerin. Und überall mischen die Schwestern mit. "Jede von uns trägt bei, was sie am besten kann", beschreibt Düzen Tekkal die Aufgabenteilung. Tezcan in der Geschäftsführung, Tuna in der HR, Tuğba mit ihrem Sportprojekt, Tülin macht die Öffentlichkeitsarbeit. Dass es bei so viel geballter Leidenschaft manchmal knallt, ist unvermeidlich, aber nie unverzeihlich. "Manchmal schlägt unser Kindheits-Ich voll durch, etwa wenn ich Tülin bitte, dass sie mir einen Kaffee bringt, und sie sagt: Mach doch selber! Eine Zeit lang haben wir versucht, das gegenüber Mitarbeitenden nicht so zu zeigen, uns nach außen deutscher zu geben, kontrollierter. Aber dann haben wir gemerkt: Wir wollen das Laute, das Intensive, das Tiefe gar nicht unterdrücken." Weil das gegenseitige Wohlwollen, aber auch die knallharte Ehrlichkeit ihre gemeinsame Superpower ist.

Und am Ende umfasst die Verbundenheit nicht nur die Tekkal-Schwestern, sondern viel mehr, sagt sie: "Für mich gilt das auch im spirituellen Sinne, für alle Menschen, die mit mir an einem Strang ziehen. Wir sind als kurdische Frauen von den starken Vorbildern unserer Geschichte geprägt, das möchte ich auch meinen deutschstämmigen Freundinnen vorleben: Sei selbstbewusst, komm in deine Kraft, und gib anderen davon ab!" Sich als Schwestern zu fühlen – dazu braucht es nicht notwendigerweise gemeinsame Gene. Auch wenn es manchmal hilft.

Brigitte

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