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Die Stille aushalten

"Tschüs, Mama", ruft Felix. Dann fällt die Tür zu. Felix ist fort. Vermisst zunächst, zehn Wochen später, am 7. Januar 2005, wird er tot aus einem Fluss gezogen. Felix, 8, wurde ermordet.

Seine Mutter, Anja Wille, 38, kämpft seitdem um ihr seelisches Überleben. Sie hat darüber ein Buch geschrieben: über Felix, die Suche, die Wut, das Trauma. Ein Besuch bei Anja Wille, zwei Jahre danach.

Die Straße durch Neu-Ebersdorf ist lang und schmal, feld- und baumgesäumt. Ein paar Gehöfte, rotbackige Häuser, sinnend und einsam. Neu-Ebersdorf ist eines dieser Dörfer, die beides sein können: Idyll oder Abgrund. Es kommt drauf an, wie gut es das Leben mit einem meint und ob Licht oder Schatten auf die Seele fallen.

Neu-Ebersdorf bei Bremen war die Heimat von Felix Wille. Ein Lausejunge, acht Jahre alt, die Zähne schief im Mund. Im Oktober 2004 wurde Felix ermordet. Von einem Pädophilen, der mehrfach wegen solcher Taten aufgefallen war und mehrfach vorbestraft. Er tötete zuvor auch die achtjährige Levke aus Cuxhaven.

Als Felix noch lebte, war Neu-Ebersdorf für Anja Wille ein Idyll.

Deshalb zog sie mit Felix und ihrer vier Jahre älteren Tochter dorthin und mit ihrem damaligen Lebensgefährten. Das Leben auf dem Land, mit Hühnern, Gänsen, Katzen, einem Hund und einem Haus, groß genug für alle Menschen, Tiere und Lebenswünsche. Bis zu jenem Tag, als Felix verschwand und Angst sich breit machte. Neu-Ebersdorf ist nie wieder geworden, was es einmal war. Unbeschwert wächst hier heute wohl kein Kind mehr auf.

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Anja Wille ist zierlich, klein, die blauen Augen stehen dicht beieinander, das Haar fällt mädchenhaft ins Gesicht. Eine Frau mit Willen und Biss, so sagt sie über sich selbst. Mit dem, was man das Herz am rechten Fleck nennt, das merkt man ihr an.

Anja Wille ist bodenständig, eine, die nie diplomatisch den Mund hält, die lieber einmal zu viel ihre Meinung sagt, weil sie findet, dass Schweigen noch nie etwas geändert hat. Das Haus ist renoviert, auf der Fensterbank in der Küche stehen zwei Pflanzen, im Badezimmer sind die Matten bunt, Felix' Zimmer ist noch Felix' Zimmer, und über dem Sofa im Wohnzimmer hängt das Foto eines Tuareg, dessen Kopfbedeckung das Gesicht verbirgt und nur den Blick auf große dunkle Augen freigibt. So, sagt Anja Wille, fühle sie sich heute. Wie eine, die alles sehen und ansehen müsse, aber nichts ändern könne. Wie eine, der man alles nahm, nur den Blick nicht.

Nach Felix' Tod wollte auch Anja Wille sterben. Sie brach zusammen, kam in die Psychiatrie, zog dann rastlos umher, bis man ihr in einer Traumaklinik helfen konnte. Über den langen Weg vom Tag des Verschwindens bis zu jenem Tag, als Anja Wille nicht mehr einfach nur sterben wollte, hat sie ein Buch geschrieben.

Es ist ein Buch darüber, was mit einem Menschen geschieht, wenn sein Kind ermordet wird. Nicht nur auf der emotionalen Ebene, sondern auch auf der tatsächlichen. Wie ist es, wenn man plötzlich täglich die Kripo im Haus hat und die Beamten jedes Detail wissen wollen. Wenn man jeden seiner Bekannten verdächtigen muss, weil es jeder gewesen sein könnte, ja auch man selbst für die Polizei verdächtig ist - und plötzlich muss man Rechenschaft über sich und sein Leben ablegen.

Es ist kein Buch, das man nebenbei liest. Es bewegt durch die direkte Sprache der Autorin. Da gibt es keine poetische Verklärung, auch keinen Abstand, keine Atempause. Manchmal hat man den Eindruck, die Wut ist bei ihr größer als der Schmerz, die Mutter ist noch gar nicht angekommen bei der Trauer um den Sohn. Am Grab von Felix ist sie seit der Beerdigung nicht mehr gewesen, über den Mörder nachzudenken gestattet sie sich nicht.

"Dieses Monster soll keinen Platz in meinem Leben haben", sagt sie.

In der Klinik hat sie angefangen zu schreiben, Tagebuch hatte sie seit Felix' Verschwinden, dem 30. Oktober 2004, geführt. "Ich glaube, es ist ein ehrliches Buch", sagt Anja Wille. "Ich wollte erklären, dass es Lebenssituationen gibt, in denen Menschen von heute auf morgen in die Psychiatrie kommen. Wenn ihnen so etwas passiert, werden sie in eine fremde Welt geworfen."

Für Anja Wille war das Buch eine Befreiung. Dafür hat sie es geschrieben. "Ich möchte ganz einfach, dass man versteht, was mit mir los ist", sagt sie.

Sie meint es auch als Anklage, an jene, die schweigen, wenn jemand sich an Kinder heranmacht. "Die Gesellschaft, in der ich lebe, erschreckt mich zu Tode. Überall sind Kinder in Not, und überall wird weggesehen. Wo leben wir, dass man sich über die Täter einen Kopf macht, sie rehabilitiert, wieder in die Gesellschaft integriert. Die Täter werden gehätschelt. Und was ist mit den Opfern? Wer rehabilitiert uns?"

Während die Polizei Felix suchte, fand Anja Wille zu ihrer Fassungslosigkeit heraus, dass ihr Lebensgefährte im Internet mit Kinderpornos handelte. Der Mann ist heute verurteilt, gesehen hat sie ihn nicht mehr, seit sie ihn rauswarf. Mit Felix' Verschwinden hatte er nichts zu tun.

Die Tiere, die sie damals hielt, sind weggegeben worden oder geschlachtet. Die Tochter, Felix' Schwester, lebt in Hamburg bei ihrem Vater und kommt an den Wochenenden zu Besuch. Anja Wille fühlt sich der Erziehung des Mädchens nicht mehr gewachsen. Ihre Kraft reicht gerade für sie selbst und den Kampf um die eigene Existenz. Ihre Ersparnisse hat sie längst verbraucht.

Arbeiten kann die gelernte Krankengymnastin nicht mehr, zumindest nicht in ihrem Beruf. "Ich kann kein Leid mehr ertragen. Und ich kann den Menschen keine Partnerin mehr sein. Soll ich sagen, wenn eine Mutter sich beklagt, dass ihr Kind nicht richtig isst, nicht richtig schluckt: Was willst du denn, du hast dein Kind schließlich noch?"

Vor Felix' Tod hat sie Schwerbehinderte betreut: Kinder mit Down-Syndrom, Wachkoma- und Schlaganfallpatienten. Damals hatte sie Mitarbeiter, Sicherheit, einen Lebenspartner, zwei Kinder. Mit dem lieben Gott hatte sie ihre Rechnung gemacht. Sie engagierte sich, sie lebte menschlich, sie war für andere da. Und Gott hielt seine Hand über sie. So dachte sie. "Ich habe in diese Gesellschaft investiert. Ich bin nie feige gewesen. Und dann kommt einer und zerstört einfach alles." Heute fragt sie sich: "Was hat der gute Mann da oben mit mir vor, dass er mir so etwas zumutet?" Es ergibt keinen Sinn, und es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Warum.

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Immer wieder hat sich Anja Wille den Tag von Felix' Verschwinden ins Gedächtnis gerufen, vor allem aber jene Momente, in denen sie das Schicksal vielleicht noch hätte umlenken können. "Wenn du besser aufgepasst hättest, würde Felix heute noch leben. Warum hast du ihm erlaubt, mit dem Fahrrad wegzufahren?" Solche Fragen!

Nachts lag sie wach und malte sich aus, wie Felix gelitten hat, schlief sie doch ein, rief der Junge nach ihr.

Auch davon erzählt das Buch und wie die Mutter langsam begreift, dass sie dem Sohn nicht hilft, wenn sie sich im Kreis dreht. Ja, sagt sie, es geht ihr besser als vor zwei Jahren. Nicht, dass sie glücklich ist. Aber manchmal zufrieden.

Eine Weile hat Anja Wille sich gewünscht, einfach abzuhauen, nach Italien, das Land liebt sie. Aber dann war sie in Italien, und der Schmerz wurde nicht weniger. "Ich habe begriffen, dass man seine eigene Biografie überallhin mitnimmt. Ich kann ihr nicht entkommen", sagt sie und lacht dabei ein Pergamentpapierlachen, das zerfällt, sobald sie den Mund nach oben zieht. Sie könnte noch mal studieren, denkt Anja Wille manchmal. "Logistik. Das hat nichts, gar nichts mit Menschen zu tun."

Fragt man sie, was sie den Tag so tut, sagt sie: "Nichts." Das Haus hat sie einmal durchrenoviert, nun ist nichts mehr zu tun. Sie raucht, sie denkt, sie kämpft ums Geld vom Versorgungsamt. Vor einigen Wochen endlich wurde es bewilligt. Fragt man Anja Wille, ob sie glaubt, ihr Leben werde je wieder normal, sagt sie: "Nein. Niemals. Meine Lebensplanung ist außer Kraft gesetzt und mit ihr alle anderen Dinge. Aber ich schaffe es inzwischen, mich allein zu ertragen. Ich kann die Stille jetzt wieder aushalten."

Manchmal kommen Freunde, oder Anja Wille macht Besuche. Wann, das plant sie bewusst. Verspätet sie sich beim Einkaufen und gerät zwischen die Kinder, die aus der Schule kommen, steht sie wieder am Abgrund. Sie meidet den Anblick von Kindern, meidet Familien, meidet alles, was sie davon abbringen könnte, nach vorn zu schauen und nur nach vorn. Das zumindest hat sie gelernt: dass die Erinnerung nicht immer gut ist.

Was hat sie hinübergerettet aus ihrem alten Leben? "Die Bindung an die Familie: Vater, Brüder, meine Tochter. Die ist wieder enger geworden. Einige Freunde, die, die wirkliche sind." Ist das viel? Anja Wille lächelt. "Es ist besser als nix."

"Der Tag, an dem mein Sohn verschwand" - Auszug aus dem Buch

Anja Wille führte Tagebuch über Felix' Verschwinden. In diesem Auszug aus "Und trotzdem lebe ich weiter" beschreibt sie den letzten Tag mit ihm.

30. Oktober 2004, Samstag: Wo ist Felix?

Felix sprudelt über. "Mama, ich und meine Kumpels, wir wollen morgen BMX-Rad fahren, darf ich da hin?" Sie haben sich an der Schule verabredet um 14.30 Uhr. Auf dem Schulhof sind so schöne Hügel, andere gibt es hier ja auch nicht. Und seine Kumpels, das verstehe ich doch gleich, dass das wichtig ist. Ich erlaube es ihm. Erst später fällt mir ein, dass es ja ein Samstag ist. Eigentlich gibt es am Wochenende keine Verabredungen, die Wochenenden gehören der Familie, aber nun kann ich keinen Rückzieher mehr machen. Ich hab es einmal erlaubt, und dann muss ich zu meinem Wort auch stehen. Was ich meinen Kindern beibringe, das gilt natürlich erst recht für mich.

Ein schöner Herbsttag kündigt sich an, es wird noch einmal warm. Felix darf mit und gegen Matthias Autorennen am Computer spielen. Er fährt mit großem Enthusiasmus, lange hat Matthias mit ihm überlegt, wie man die Pedale der Spielkonsole auf eine Höhe bekommt, dass er sie mit seinen kurzen Beinchen erreichen kann. Nun gibt es ein kleines Podest für ihn, darauf die Pedale, dennoch "klemmt" er sich regelrecht hinter das Lenkrad. (. . . )

Wir essen spät zu Mittag, am Wochenende will ich keinen Stress haben, da erhole ich mich mit meiner Familie. Während des Essens fällt Felix die Verabredung wieder ein. "Mama, meine Freunde warten auf mich, wie spät ist es?" Es ist halb drei. Felix muss los und sich beeilen. Er fragt mich noch, ob ich ihn bringen kann, aber das sehe ich nicht ein. Es ist zu umständlich, Fahrrad rein in den Kofferraum, raus aus dem Kofferraum. Schnell isst er zu Ende, flitzt in sein Zimmer, holt seine Armbanduhr. "Wann soll ich wieder da sein, Mama?" Um fünf, sage ich ihm, es wird mir zu früh dunkel, ich möchte, dass er im Hellen wieder zu Hause ist. Schuhe werden angezogen, dann höre ich ihn die Treppe runterpoltern, "Tschüs, Mama." - "Viel Spaß", rufe ich ihm hinterher. Die Tür knallt, und ich sehe noch, wie er sich auf den Weg macht und kräftig in die Pedale tritt.

Wir verbringen einen ruhigen Nachmittag. Meine Tochter hilft mir, sauber zu machen. Wir trinken Kaffee. Es wird 17 Uhr. Magdalena ist die Erste, die sagt, dass doch der Felix nun wiederkommen müsste. Na ja, ein paar Minuten geben wir ihm noch, meistens erscheint er genau in dem Moment auf dem Hof, wo ich daran denke loszufahren. Aber er kommt nicht. Um 17.15 Uhr beschließe ich, ihn aufzusammeln. Wahrscheinlich ist mal wieder die Kette abgesprungen, und er muss schieben. Er wird fluchen wie ein Großer und sich riesig freuen, wenn ich ihn hole. Ich fahre los zur Schule, langsam natürlich, aber auf dem Radweg sehe ich keinen blonden, fluchenden Jungen. An der Schule ist er auch nicht. Wahrscheinlich war er exakt zur gleichen Zeit an der "Hindenburgkurve", als ich dort vorbeifuhr. Es ist die einzige Stelle, an der der Radweg von der Straße aus nicht einsehbar ist. (. . . )

Langsam fahre ich zurück, wieder kein blonder, fluchender Junge, bestimmt hat er noch einen Abstecher zu Peter gemacht. Der wohnt direkt am Weg, und bei ihm ist es immer sehr spannend. Peters Mutter ist etwas irritiert, aber weder sie noch eines ihrer Kinder haben Felix gesehen. Er ist bestimmt in der Zwischenzeit zu Hause angekommen, ich fahre auf den Hof.

"Na und, ist er da?" Meine Tochter schüttelt den Kopf. Das gibt es doch gar nicht, wo steckt er denn? Das sieht ihm so gar nicht ähnlich. Gerade will ich seine Kumpels anrufen, da klingelt mein Vater durch. Ich habe keine Zeit, wie sonst mit ihm zu plauschen. Ich erkläre ihm, dass ich erst mal Felix auftreiben muss und wir uns morgen zum Aufbauen des Hochbetts sehen werden. "Das ist immer Mist, ein Kind zu suchen", sagt er. Ja, da hat er wohl recht. Ich rufe Lukas an, Felix' engsten Freund, und die Mutter antwortet irritiert: "Wir waren beim Fußballturnier und gar nicht da. Mein Sohn hat nichts vom BMX-Fahren gesagt, er hat es wohl vergessen." Mein Kleiner wird ganz schön sauer gewesen sein. Ich befürchte, dass sein Freund sich da einiges am Montag in der Schule anhören darf. Felix erwähnte, als er mich fragte, ob er am Samstag zur Schule fahren dürfe, aber nur Lukas. Welche anderen Jungen waren noch mit ihm verabredet? Mit wem könnte er noch gespielt haben? Irgendjemanden muss er noch getroffen haben, sonst wäre er jetzt hier. Ich rufe alle Jungen an, die in der Nähe der Schule wohnen und als Spielkameraden möglich sind. Aber mit wem ich auch spreche, keiner hat Felix gesehen oder mit ihm gespielt. Also, so langsam weiß ich nicht mehr weiter. Vielleicht ist er ja bei jemandem, der nicht in seine Klasse geht.

Es ist inzwischen 18 Uhr, als ich zur zweiten Fahrt aufbreche, diesmal mit Matthias. Wir treffen eine andere Frau, die auf der Strecke mit ihren Kindern spazieren geht, auch sie hat meinen Sohn nicht gesehen. Wir fahren wieder zur Schule, rufen nach Felix, uns antwortet nur ein Hirsch. Brunftzeit. Wir fahren zu Madita, sie spielt auch immer wieder draußen im Dorf, sie kennt Felix, vielleicht weiß sie was. Aber auch sie hat ihn nicht gesehen. Ihre Mutter aktiviert die Telefonketten aller Klassen, ihr Mann begleitet Matthias, um den Weg noch mal zu Fuß abzusuchen. Vielleicht ist Felix hingefallen und liegt nun im Graben.

Ich fahre wieder zur Schule, vielleicht wollte er auf die Toilette und ist in dem Gebäude eingeschlossen worden, vielleicht ist er in der Turnhalle. Ich klingele die ganze Nachbarschaft durch, immer die gleiche Antwort. "Nein, wir haben Felix nicht gesehen." Ratlos fahre ich durch das Dorf und schaue, ob sein Fahrrad irgendwo steht.

In der Kirche gibt es gleich ein Konzert. Der Pastor wird den Zuhörern Bescheid geben, dass wir Felix suchen. Die Veranstaltung ist ideal, um dies mitzuteilen: Jetzt weiß es schon mal das halbe Dorf.

Ich fahre nach Hause, vielleicht ist der Kleine ja inzwischen da. Aber meine Tochter wartet immer noch allein. Matthias geht jetzt noch einmal los, um mit dem Rad die Waldpfade abzusuchen. Ich fahre auch wieder weg, meine Tochter bewacht das Telefon. Mein Weg führt mich jetzt in den nahe gelegenen Siedlungsteil. Dort wohnt noch ein weiterer Freund von Felix, der schon etwas älter ist. Der Vater hat einen blonden Jungen auf einem Rad gesehen, er ist sich aber nicht sicher, ob es Felix war. Er fragt seinen Sohn Charly, und der weiß es aber ganz genau. "Ja, das war Felix, und ich habe mit ihm noch auf dem Schulhof gespielt, bis halb sechs." Immerhin, er war an der Schule. Die Uhrzeit irritiert mich allerdings sehr, sie passt einfach nicht.

Vielleicht ist er auf dem Rückweg noch beim Bauernhof mit den kleinen Katzen vorbeigefahren und darf helfen, die Tiere zu füttern. Aber es würde mich wundern, wenn er dort noch so spät aufgekreuzt wäre. Dennoch fahre ich hin, sicher ist sicher. Aber auch hier hat man ihn den ganzen Tag nicht gesehen. Inzwischen ist es stockdunkel, auf der Heimfahrt drehe ich meine Überlegungen hin und her.

Wohin könnte Felix nach dem Spielen gegangen sein? Wo habe ich noch nicht gesucht? Wieso ist er noch nicht zu Hause?

Wenn er könnte, wäre er schon da. Was für Gründe kann es geben, dass er nicht da ist? Offensichtlich kann er nicht. Was für Gründe kann es geben, dass er nicht kann? Ein Gedankenblitz: Felix hatte vielleicht einen Unfall, liegt im Krankenhaus, und man wartet sehnsüchtig, dass sich die Familie des Kindes endlich meldet.

Ich fahre nach Hause und rufe die Polizei an. Es ist 18.50 Uhr.

"Polizei Rotenburg/Wümme, guten Abend." - "Guten Abend, Wille. Ist Ihnen ein Unfall mit einem unbekannten Jungen gemeldet worden?" - "Nein, warum?" - "Mein Sohn ist seit zwei Stunden überfällig. Ich weiß nicht mehr, wo ich ihn noch suchen soll." - "Wie alt ist Ihr Sohn denn?" - "Acht, er ist doch erst acht."

Es herrscht einen Moment Stille am Telefon.

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Das Buch von Anja Wille: "Und trotzdem lebe ich weiter. Mein Leben ohne Felix" ist als BRIGITTE-Buch im Diana-Verlag erschienen. Es hat 304 Seiten und kostet 17,95 Euro. Sie können es bequem im Brigitte.de-Shop bestellen.

Text: Andrea JeskaFotos: Odile Hain

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