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Der schwierige Kampf gegen Kinderpornografie

Die Zahl der Kinderpornos im Netz steigt. Staatsanwältin Sabine Hantel-Maschke jagt die Täter - und gerät dabei oft an ihre Grenzen.

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Sie macht Brote für die Kinder, schenkt ihnen Kakao ein, sich selbst und ihrem Mann einen Tee. Sie sitzen kurz zusammen, dann holt sie die Ranzen herunter, um halb acht gehen alle aus dem Haus. Ihr Mann bringt die jüngere Tochter zur Grundschule und die Hündin in die Hundetagesstätte. Sabine Hantel-Maschke fährt ihre ältere Tochter zum Gymnasium und dann weiter Richtung Innenstadt. Sie sucht einen Parkplatz, findet einen mit begrenzter Parkzeit, ahnt, dass es wieder ein Knöllchen gibt. Parkt den Volvo. Sie ist morgens um acht die Erste. Sie geht die Gänge der Staatsanwaltschaft entlang, ein hohes, altes Gebäude, schließt ihr Büro auf. Manchmal hat sie frische Blumen dabei, die stellt sie in einer Vase auf den Schreibtisch, damit etwas Schönes dasteht. Sie macht den Computer an. Dann geht sie in die Geschäftsstelle und holt die Post, die neu eingegangenen Akten, Ermittlungsstände der Polizei, Schreiben von Anwälten, Gutachten der Forensiker, Leitz-Ordner voll mit Bildern.

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Sie setzt sich, vor sich einen Miniatur-Zen-Garten zum Harken, vier Kunststoff-Frösche darin, zwei kleine und zwei große, Vater, Mutter und zwei Kinder. Sie blättert einen der Leitz-Ordner auf. Abgeheftete Prints, schwarz-weiß und farbig. Kinder in gekachelten Räumen, in der Badewanne, am Strand, vor einer Hütte. Nackte Kinder. Sie sieht ein Mädchen, etwa acht, das mit einem Besenstiel missbraucht wird. So beginnt dieser Tag.

Sabine Hantel-Maschke ist 46 und seit 16 Jahren Staatsanwältin. Seit drei Jahren arbeitet sie im Bereich Kinderpornografie. Sie klagt Männer an, die sich Bilder und Filme aus dem Internet herunterladen, auf denen kleine Kinder auf jede erdenkliche Weise missbraucht und erniedrigt werden. Für den Besitz solcher Bilder gibt es bis zu zwei Jahre Haft.

Die Staatsanwältin muss für ihre Anklage die Bilder sehr genau ansehen. Sind die Kinder unter 14? Nur dann sind sie laut Gesetz noch Kinder. Wenn sie nicht sicher ist, muss sie das Alter schätzen: Wie stark ist die Beckenentwicklung, die Schambehaarung? Und sie muss entscheiden: Zeigt das Foto eine konkrete sexuelle Handlung? Nur die ist nach dem Gesetz Pornografie. "Die wenigsten Bilder sind völlig harmlos", sagt sie. "Aber wir dürfen die Fotos nicht aus Sicht des Betrachters beurteilen." Wenn ein Kind aufreizend posiert oder die Beine spreizt oder auf sein Geschlecht schaut, ist das Foto ohne juristische Relevanz. Auch wenn das Kind dabei verloren aussieht, ängstlich und schamhaft; wenn man sieht, dass die Nacktheit erzwungen ist; wenn man merkt, dass dem Foto ein anderer Blick zugrunde liegt, dass da jemand keinen freundlichen Schnappschuss machen wollte, sondern ein Kind preisgeben. Sabine Hantel-Maschke muss die seelische Vergewaltigung von der tatsächlichen trennen.

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Sie sagt: "Da muss man rational rangehen." Und weil sie das kann, auf Routine schalten, zumindest bei Bildern, die sie hunderte Male gesehen hat - "es gibt Standardbilder, die gehören zum Grundstock eines jeden Sammlers" -, muss sie sich nicht langsam herantasten. Sie kommt zur Arbeit und steigt ein. Sie sagt: "Das geht ganz gut." Wenn ein neuer großer Fall vor ihr liegt, mit 2000 Bildern und mehr, dann kann es sein, dass sie den ganzen Tag Bilder sichtet, fünf, sechs Stunden am Stück und darüber hinaus. Sie trägt ein graues Kostüm, die braunen Haare lang und offen. Manchmal streicht sie sie mit der rechten Hand in einer langen Bewegung über die Schulter. Sie hat eine tiefe Stimme und eine nachdrückliche Art zu sprechen, sie nuanciert fein, und wenn sie zornig wird, grollend, dann bekommen jene Worte eine Betonung, die die Angeklagten am wenigsten hören wollen.

Das passiert häufig in ihren Prozessen, dass sie donnert, und man braucht dann Mut, etwas Aufrechtes, um ihr standzuhalten. Warum Kinder? "Die Frage", sagt sie, "schwingt immer mit: Warum hat der Mann Kinderpornografie gesammelt und nicht etwa Erwachsenen-Pornografie? Was war der spezielle Reiz?" Ist das Zuschauen, der passive Missbrauch, bei ihm der Schritt vor dem aktiven? Will er, was er auf den Bildern sieht, eines Tages auch real erleben? "Das", sagt sie, "würde ich mir nie verzeihen: dass ich hier mal einen Täter vor mir habe, der sich eines Tages an einem Kind vergreift, und ich habe es nicht rechtzeitig gemerkt." Also geht sie sorgfältig vor.

Sie sagt, dass sie sich manchmal vor Gericht zusammennehmen muss, "ich bin durchaus auch emotional, man kann nicht alles versachlichen". Manche Anwälte werfen ihr das vor: mehr ausloten zu wollen als nur das Strafmaß. Wenn sie anklagt, dann klagt sie an: den Menschen, der vor ihr steht. Wenn sie plädiert, dann dafür, dass nun, in dieser Stunde vor Gericht, alles auf den Tisch kommt. Sie hat nur diese eine Stunde, so lange dauern die Hauptverhandlungen in der Regel. Eine Stunde, in der sie einen zu fassen hat, der sonst nur heimlich, zu Hause, online, anonym agiert. Und diese Stunde nutzt sie.

Drei Fälle sind es an diesem Dienstag, um neun Uhr der erste, Sitzungssaal 181, Hamburger Strafjustizgebäude, ein schlossähnlicher Bau im Stil der deutschen Renaissance. Der Saal ist schmal, dunkles Holz, fast intim. Drei Männer, drei ähnliche Aussagen, so ist das immer, es gibt ein Schema: "Keiner will nach den Bildern gesucht haben; keiner weiß, warum er sie gesammelt hat. Alle gestehen schnell, um Nachfragen zu vermeiden." Einer der Angeklagten hat 12 056 Dateien besessen, gespeichert auf 22 Datenträgern, darauf schwerster Missbrauch mit Kleinkindern, er ist 44, ein Mann mit unruhigen Augen, er sitzt nach vorn gebeugt, horchend, ungläubig, dass ihm der Prozess gemacht wird, er gesteht, er bedauert. Er behält die Jacke an. Sein Anwalt verweist darauf, dass Kinderpornografie zu sammeln vom Strafmaß her auf einer Stufe mit Sachbeschädigung steht. Da müsse man, er schaut zur Staatsanwältin, nicht moralisch werden. Der Nächste. Ein Mann, Ende 50, zerzaust und grau. Er hat die Hände übereinandergelegt, der Kiefer mahlt unentwegt. Er sitzt da, ein leerer Mensch, beschämt, verstrickt.

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Sie trägt die Anklage vor, listet auf, was sie auf den Bildern gesehen hat. Die Polizei fand bei ihm 1528 Dateien, aus dem Internet beschafft zwischen 2006 und 2007. Sie hießen "Pädoland" oder "Miguel fucked in bed". Sabine Hantel-Maschke benennt die Szenen exemplarisch, drei, fünf, ein dutzend Szenen. Sie versucht es monoton, möglichst unberührt herunterzulesen, aber es kriegt eine Wucht, weil sie diese tiefe, modulierte Stimme hat. "Ein Mädchen, weit vor der Geschlechtsreife, gefesselt auf einem Bett, ein Dildo wird vaginal eingeführt. Ein Baby, anal missbraucht." Solche Sätze. Es gibt keine neutrale Sprache dafür, allenfalls eine sachliche.

Er sagt, es war das Abgründige, das Böse, das ihn fasziniert hat, das Böse an sich und nicht, dass es Kindern geschah. Er sei kein schlechter Mensch. Er würde niemals einem Kind etwas antun. Er sagt: "Von mir ist doch noch nie die geringste Gefahr ausgegangen. Ich hatte ja jeden Tag mit Kindern zu tun, wie könnte ich da." Der Mann ist Lehrer. Sabine Hantel-Maschke sagt: "Gerade deshalb. Weil Sie Lehrer sind. Sie haben eine besondere Verantwortung. Gerade deshalb hätten Sie etwas unternehmen müssen, als Sie merkten, die Bilder ziehen Sie an. Aber Sie haben nichts getan, Sie sind passiv geblieben. Sie haben gewartet, bis Sie aufflogen."

Er rutscht auf seinem Stuhl umher, schiebt die Brille hoch. Er sagt: "Ich war persönlich seit Jahren an einem toten Punkt. Ich wollte die innere Blockade wohl mit dem Sexuellen auflösen. Die Gewalt sollte mich berühren." "Aber warum Kinderpornografie? Wenn es Ihnen um Gewalt geht, reicht es doch, die Nachrichten zu sehen." Warum Kinder?

"Ich kann es nicht sagen, wirklich nicht, ich war wohl bekloppt." Sabine Hantel-Maschke hält jetzt inne, sie schaut ihn an, dann blickt sie auf den Tisch vor sich, auf die roten Aktendeckel, zwischen denen die Bilder liegen. Zwei Sekunden, in denen ihr klar wird, dass hier die Grenze liegt, dass sie nicht näher an diesen Mann herankommt. Zwei Sekunden Stillstand, zu denen es in fast jedem dieser Verfahren kommt. Sie greift ihren Stift, schmale, gepflegte Hände sind das, dann atmet sie wieder durch. "Die Bilder lagen in Ordnern gespeichert, die 'Müll' und 'Schrott' hießen. Warum haben Sie sie nicht gelöscht?" - "Dann hätte ich sie wieder ansehen müssen, das wollte ich nicht. Ich habe sie nur buchhalterisch verwaltet."

Er hat eine Therapie angefangen, sie läuft seit sieben Wochen, und er geht in eine Selbsthilfegruppe für Online-Sexsüchtige. Das ist mehr, als die meisten freiwillig tun. Das hält Sabine Hantel-Maschke ihm im Schlussplädoyer zugute und sein straffreies Leben, sein sofortiges Geständnis, auch gegenüber der Schulleitung, er durfte noch die letzten Hefte fertig korrigieren, dann war er entlassen. Sie hält ihm zugute, dass er einer Speichelprobe für die DNA-Datenbank des BKA zustimmt. Sie wirft ihm vor, außergewöhnlich grausame Bilder gesammelt zu haben und dass er verantwortungslos war, gerade er.

Sie fragt, wie es für ihn weitergeht, er sagt: "Ich kann mir vorstellen, wieder mit Kindern zu arbeiten, weil von mir nie eine Gefahr ausgegangen ist. Aber ich werde keine Gelegenheit dazu bekommen." Er bekommt sechs Monate auf Bewährung, und er muss alle drei Monate nachweisen, dass er noch zur Therapie geht. "Diese Verfahren bedeuten für die meisten Angeklagten das Ende eines Lebensabschnitts", sagt sie später, in ihrem Büro, die Robe der Staatsanwältin auf einem Bügel an den Aktenschrank gehängt. "Die meisten sind Ersttäter, sie verlieren ihre Jobs, gerade wenn einer Lehrer oder Kindergärtner ist. Wir sind schon aus Jugendschutzgründen verpflichtet, den Arbeitgeber zu informieren."

Ihre Töchter sind acht und zehn Jahre alt, sie wissen, dass ihre Mutter Staatsanwältin ist, sie sagt ihnen, dass sie Leute mit der Polizei jagt und die, die sie fangen, dann vor Gericht bringt. Was die Leute getan haben, sagt sie ihnen nicht. Die Kinder fragen nicht. "Mit acht", sagt sie, "ist Kriminalität, wenn jemand was im Laden klaut. Der Bereich, mit dem ich es zu tun habe, ist für sie unfassbar." Das Private trennt sie ab, so gut es geht. Auch ihrem Mann erzählt sie selten Details, allenfalls, wenn sie am nächsten Tag eine Hauptverhandlung hat. Die meisten ihrer Freunde wissen nicht, in welchem Bereich der Hamburger Staatsanwaltschaft sie arbeitet.

"Es gibt Bilder", sagt sie, "die über das hinausgehen, was wir normalerweise hier sehen, die sich einbrennen, jederzeit abrufbar im Kopf." Manchmal holt sie eine Kollegin dazu - fünf Staatsanwälte arbeiten in der Abteilung 71, vier Frauen und inzwischen auch ein Mann. Und sie schauen zusammen weiter, dann ist es leichter. Manchmal schaltet sie aus, "wenn man sieht, wie ein Kind wie Fleisch, wie eine Ware behandelt wird. Wenn es einen tränenüberströmt anguckt. So ein Video eine Stunde zu gucken, das übersteigt auch unsere Grenzen". Es gibt Szenen, sagt sie, "da sind uns hier allen die Tränen gekommen".

Die lässt sie nicht so einfach im Job, auch wenn sie es versucht: durchzuatmen nach der Arbeit, den Kopf freizumachen, möglichst schnell die Tür hinter sich zuzumachen. An solchen Tagen denkt sie, dass es ein Segen ist, Teilzeit zu arbeiten und gegen zwei Uhr gehen zu können. Sie sagt sich dann: Das Gebäude ist die Grenze, dahinter beginnt der Alltag, das normale Leben, "wenn einem wieder der Wind ins Gesicht weht, geht's besser".

Sabine Hantel-Maschke wurde in Eckernförde geboren, sie hat in Münster studiert und zog 1992 nach Hamburg, weil ihr Mann, heute Personalchef, in einem Hamburger Unternehmen angefangen hatte. Sie ging in den Bereich Allgemeine Strafsachen, für viele junge Staatsanwälte die erste Station, bevor sie in eine Fachabteilung wechseln. Nach drei Jahren wechselte sie in die Abteilung für Staatsschutz, war zuständig für politisch motivierte Straftaten, für Krawalle in der Hafenstraße oder das Nazi-Gegröle bei NPD-Demos. Als sie 2003 aus dem Mutterschutz kam, hatte der Staatsschutz eine neue Unterabteilung, die wuchs und wuchs, weil das Internet und mit dem Angebot die Nachfrage wuchs: die Kinderpornografie. Zunächst ging sie in eine Abteilung, die auf Fälle von sexuellem Missbrauch spezialisiert ist, 2005 war dann in der Abteilung 71 eine Stelle frei. Sie hat nicht gezögert, "weil Spezialabteilungen spannend sind, man intensiver an den Fällen arbeiten kann, mehr ermitteln. Man entwickelt eine andere Verfolgermentalität". Die Bezahlung erfolgt nach dem Beamtenbesoldungsgesetz, rund 2500 Euro brutto verdient eine Halbtags-Staatsanwältin.

Manchmal melden sich Privatleute, die im Internet auf verdächtige Seiten gestoßen sind, oder Reparaturfirmen, weil sie auf einem Rechner eindeutige Dateien gefunden haben. Im Prinzip reicht ein einziges eindeutiges Bild, um einen Anfangsverdacht zu begründen. Sabine Hantel-Maschke sagt: "Die Leute haben immer noch mehr. Das Sammeln ist eine Sucht, die sich immer weiter steigert. Manche haben bis zu 20 000 Bilder." Sie beantragt dann einen Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht, der ans Landeskriminalamt, Abteilung 42 geht. Dann wird sofort durchsucht und alle Datenträger, die die Polizei vorfindet, mitgenommen: Rechner, Laptops, Videos, CDs, USB-Sticks, Kameras, DVDs. Das LKA wertet kleinere Datenträger selbst aus. Rechner und Festplatten gehen per Spedition an eine Münchner ITFirma für digitale Forensik, mit der die Hamburger Ermittler seit einiger Zeit zusammenarbeiten. Sie lassen eine Art Suchmaschine über die Rechner laufen und finden auch verschlüsselte und gelöschte Daten und Datenwege. Sie verfolgen Internet-Kennungen zurück und stöbern so User auf, die in den Foren anonym ihre Bilder anbieten und tauschen. "Technisch sind wir auf demselben Stand wie die Täter", sagt sie.

Dann erstellen sie ein Gutachten, listen auf, welches Material sie auf welchen Datenträgern gefunden haben, und schicken Sabine Hantel-Maschke die Leitz-Ordner mit den ausgedruckten Bildern. Die, die sie in ihrer Anklage verwendet, in der Regel sind es 20 bis 30, gibt sie an das Gericht weiter - nicht an die Verteidiger, sie erhalten nur die Anklagepunkte, können die Bilder aber bei der Staatsanwaltschaft direkt einsehen.

"Die Gutachten sind enorm teuer", sagt sie, "aber nur so können wir die Verfahren zügig abarbeiten, und durch die Strafgelder holen wir bis zu 90 Prozent der Kosten wieder rein." Zwischen Durchsuchung und Verhandlung liegen oft nur drei, vier Monate. Früher, als das LKA noch alles selbst auswertete, dauerte es bis zu zwei Jahre. Rund 200 Ermittlungsverfahren laufen in Hamburg pro Jahr, zur Anklage kommt rund die Hälfte.

Die meisten Täter fliegen nach dem Schneeballsystem auf: Hat man einen identifiziert, kann man über die IP-Adresse - die Kennung, die jeder Nutzer im Internet hat - ermitteln, mit wem er Bilder ausgetauscht hat. So kommen Kettenreaktionen zustande, die großen Razzien, vor einem Jahr die "Operation Himmel", ausgelöst durch eine Berliner Internetfirma, die auf ihren Servern riesige Datenmengen bemerkte und das der Polizei meldete. Gegen rund 12 000 Verdächtige wurde danach in ganz Deutschland ermittelt, allerdings war das Ergebnis insgesamt enttäuschend, weil, so Sabine Hantel-Maschke, "das Bildmaterial häufig nicht ausreichte, um eine Durchsuchung anzuordnen".

Bei den meisten Prozessen ist sie inzwischen einer Richterin zugeteilt, die ebenfalls auf Internet-Kinderpornografie spezialisiert ist. "Frauen gehen tougher mit dieser Thematik um", sagt sie, "sie sprechen Sachen offener an. Vielleicht berühren Sexualdelikte und Pädophilie Männer anders." Manche Richter wollen schnell über das Strafmaß reden und bei einem geständigen Angeklagten das Bildmaterial gar nicht erst ansehen. Sie insistiert dann, "ich sage: Doch, ich möchte, dass wir das gesehen haben. Das ist mir wichtig". Manchmal denkt sie: Vielleicht strafen männliche Richter härter, weil sie sich gerade in diesem Bereich keine Milde nachsagen lassen wollen.

Die Täter ziehen sich durch alle Schichten, "bis hinauf zum Arzt und dem Bürgerschaftsabgeordneten. Es sind Familienväter, es sind Homosexuelle. Mein jüngster Angeklagter war 16, der Älteste weit über 80, er schaute sich im Schlafzimmer kleine Jungs auf dem Laptop an, während seine Frau fernsah". Die Durchsuchung fand im Alten- und Pflegeheim statt.

Immer schauen sie bei Hausdurchsuchungen, ob es Anhaltspunkte für praktizierten Missbrauch gibt. "Wenn ein Lediger Playmobil im Schlafzimmer hat, geht bei uns der Alarm an", sagt sie. "Leben in dem Haushalt Kinder, gleichen wir die Fotos ab, immer. Wir haben gerade einen Fall, bei dem wir anhand der Bilder gesehen haben, dass der Verdächtige sich an seinem eigenen Kind vergriffen hat. Nur so kriegen wir auch mal jemanden zu fassen, der die Pornos herstellt. Die meisten Produzenten sitzen in Russland, Asien, den USA, an die kommen wir nicht ran." Sie legen ihr Material auf riesige Server, die nur für wenige Stunden freigeschaltet werden, und die Pädophilen- Szene erfährt durch ihre geschlossenen Foren, wo und wie sie Zugriff erlangt. Die Bilder werden dabei immer härter. "Man muss davon ausgehen, dass einige der Kinder die Praktiken nicht überleben", sagt sie. "Wenn ein Säugling vergewaltigt wird, dann ist innendrin einfach alles kaputt."

Das wirft sie den Männern, die sie anklagt, vor: dass sie diese Industrie mit ihrer Gleichgültigkeit, ihrer heimlichen Lust anheizen. Die Kinder ausnutzen. Glauben, dass es ja nicht schlimm sein kann. Dass man damit ja niemandem weh tut. "Die meisten Täter", sagt sie, "haben überhaupt kein Unrechtsbewusstsein." So, wie die meisten die Bilder nur zufällig angeklickt haben wollen, obwohl man sie im Internet nur findet, wenn man auch die entsprechenden Suchbegriffe kennt. So, wie sie die Ordner mit den Bildern Müll nennen und nicht verstehen wollen, dass erst sie aus diesen Kindern Müllkinder gemacht haben. So, wie sie ihre Tat bagatellisieren.

So wie der nächste Angeklagte. Er ist Mitte 30, hellblaues Hemd, Stoffhose, blass, ein bisschen fahrig, die Stimme tief, verquollen, wie nach zu wenig Schlaf. Er hat 81 Dateien besessen, Bilder und Videos. Er ist IT-Fachmann, er kannte sich aus. Er flog auf, weil er Bilder im Internet kaufte und dafür seine Kreditkartennummer gab.

"Keiner will hier pädophil sein", ruft Sabine Hantel-Maschke. Sie schleudert ihm das entgegen, von der Bank der Staatsanwältin hinüber zur Bank des Beschuldigten, quer durch den schmalen Sitzungssaal. Der Mann blickt zu Boden, aber der Raum ist zu eng, er kann nicht ausweichen. Saal 181 ist für diesen Moment die Bühne eines Kammerspiels. Das immergleiche Stück, Schuld und Leugnung und Selbstentlarvung, und die Rolle der Staatsanwältin ist es, den Angeklagten anzugehen, ihn in Frage zu stellen. Seine Lügen anzukratzen. "Ich habe nicht darüber nachgedacht, was das für die Kinder heißt", sagt er. "Ich war einsam. Es war dumm."

"Warum Kinderpornografie? Warum nicht Pornografie mit Erwachsenen?" "Neugier, Dummheit, Ignoranz. Es gibt keinen Grund." "Ein Kind, das gefesselt von der Decke hängt und vergewaltigt wird. Warum empfanden Sie keine Abscheu?" "Ich weiß es nicht." "Warum haben Sie die Bilder nicht gelöscht? Niemand sammelt solche Bilder ohne Grund." "Ich habe da keine Neigungen, wenn Sie das meinen." "Sie sahen massivste Misshandlungen. Diese Kinder sind zerstört an ihrem Leib und in ihrer Seele. Sie müssen etwas dabei empfunden haben." "Das war mir nicht bewusst. Ich hatte viel Zeit, im Internet zu surfen, man kann im Netz so viel finden. Ich habe wohl nicht richtig getickt." "Haben Sie gezielt nach Kinderpornografie gesucht?" Er zögert. "Nein." "Niemand kommt über Spam auf diese Bilder. Da stößt man allenfalls auf Vorschaubilder. Sie haben einen Hardcore-Film mit 46 Minuten Abspieldauer."

Er ist seit fünf Jahren verheiratet, "fünf Jahre?" Er schaut im Ehering nach, "ja, stimmt", sagt er, die Füße unter dem Tisch wippen. "Gleich nach der Hochzeit wurde ich in eine andere Stadt versetzt. Ich war viel allein, da hat es angefangen. Ich habe wohl nicht richtig getickt." Der Mann schämt sich. "Weiß Ihre Frau Bescheid?", fragt Sabine Hantel-Maschke. "Ja,", sagt er. "Was sagt sie?" - "Sie ist erschüttert." - "Haben Sie Kinder?" - "Nein", sagt er, "aber wir wollen welche."

Sabine Hantel-Maschke hält ihm zugute, dass er seine Frau informiert hat und dass der Zeitraum des Sammelns begrenzt und besonders war. Sie wirft ihm vor, nicht erklären zu können, woher sein sexuelles Interesse speziell an Kindern kommt und dass er auch hartes Videomaterial gekauft hat, nicht nur Bilder heruntergeladen. Er bekommt 90 Tagessätze zu 50 Euro. Am Ende sagt er, "ich bin froh, wenn hier alles erledigt ist".

Sie sagt, man muss aufpassen in diesem Job, dass man auch weiterhin realistisch bleibt. Neutral auf Männer zugehen kann. Und nicht vor der Schule steht und die Väter beobachtet, ob sie sich auffällig verhalten. Sie sagt, dass sie manchmal fast überängstlich ist mit ihren Kindern, sie lieber mit dem Auto fährt, und die Freundinnen sagen ihr dann: Du musst sie mehr laufen lassen, du musst loslassen. Weil sie nicht wissen, woher diese Sorge kommt. "Ich weiß, ich muss mehr Vertrauen haben", sagt sie. "Aber jeden Mittag kurz nach eins machen sie sich von der Schule auf den Heimweg, und ich gucke auf die Uhr und habe ein mulmiges Gefühl." Ihre größte Angst ist es, dass sie mal eine Akte aufschlägt und Bilder sieht von einem Kind, das sie kennt.

Informationen zur Kinderpornografie: Die Zahlen steigen rapide

Die Rechtslage: Paragraf 184b StGB unterscheidet zwischen Tätern, die Kinderpornografie herunterladen und speichern, und jenen, die sie an Dritte verbreiten. Für die Verbreitung gibt es bis zu fünf Jahre Haft, für Beschaffung und Besitz bis zu zwei Jahre. Fast immer ergehen Geld- oder Bewährungsstrafen, weil die meisten Ersttäter sind. Bundesweit nahmen die Beschaffung und Verbreitung 2007 um 55 Prozent zu, in 11 357 Fällen wurde ermittelt.

Die Ermittlungserfolge: Neben der Auswertung sichergestellter Computer arbeiten die Fahnder auch ohne konkreten Anlass und durchsuchen Foren und Domains nach verdächtigen Inhalten. In Konstanz wurden die Ermittler im Zuge der internationalen "Operation Smasher" auf einen Internet-Dienst aufmerksam, der kostenlos Speicherplätze anbot - bis Ende August wurden 987 Tatverdächtige allein in Deutschland gefunden. Eine der Zentralstellen zur Bekämpfung von Kinderpornografie liegt bei der Staatsanwaltschaft Halle. Dort hoben die Ermittler 2003 mit der Operation "Marcy" einen Tauschring aus; in 166 Ländern wurden 26 500 Tatverdächtige aufgespürt, 530 davon in Deutschland. Manche Täter verraten sich über ihre Kreditkarte. 2007 überprüfte die Polizei in der "Operation Mikado" 22 Millionen Kreditkarten, ob über sie 79,99 Dollar für einen Internet-Kinderporno-Anbieter abgebucht wurden. Sie fand 322 Verdächtige.

Die Bilder: Bis zum so genannten "Posing-Beschluss" 2006 standen alle Bilder unter Strafe, die Kinder in animierender Pose zeigten. Dann wurde im Erwachsenen- Strafrecht neu definiert, was unter "sexuellen Handlungen" zu verstehen ist. Weil sich der Paragraf 184b auf diese Definition bezieht, gelten nun nur noch Bilder als strafbar, auf denen Kinder missbraucht werden oder an sich sexuelle Handlungen vornehmen. Für die Ermittler bedeutet das, dass sie rund zwei Drittel aller Fotos, die sie sicherstellen, strafrechtlich nicht mehr verwenden können.

Die Täter: Sie sind zu 99 Prozent männlich. Nach Schätzungen sind bis zu 20 Prozent gefährdet, den Missbrauch irgendwann auch in der Realität ausleben zu wollen. Das Internet enthemmt; immer noch härtere Bilder werden wie Trophäen gesammelt, die Entstehung dieser Bilder aber ausgeblendet - und auch, dass die Qual für die Kinder real ist. Laut Unicef werden jährlich weltweit 1,8 Millionen Kinder zu Prostitution und Pornografie-Darstellungen gezwungen.

Wie geht's weiter? Im Vorfeld des dritten Weltkongresses gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen am 25.11.2008 im brasilianischen Rio de Janeiro kündigte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen an, die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet gesetzlich zu unterbinden. "Ich will einen Damm bauen gegen die Flut der Bilder, indem wir den Zugang für den Kunden blockieren", so von der Leyen gegenüber dem "Hamburger Abendblatt". Dafür werde es nötig sein, das Telemediengesetz zu ändern, die Unterstützung dafür sei über alle Parteigrenzen hinweg groß. Auf dem Weltkongress in Rio wollen Politiker, Kinderschutzexperten, Jugendliche und Vertreter der Wirtschaft gemeinsam an einem Aktionsplan gegen Kinderpornografie, Kinderhandel und Kinderprostitution arbeiten.

Text: Meike Dinklage Fotos: Brian Erickson/Fotolia.com, Christina Körte Ein Artikel aus der BRIGITTE 21/08

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