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Der Fall Luise Wenn Kinder andere Kinder töten – wie kann es so weit kommen?

Im Schnee stehen rote Grablichter und ein Strauch
Die Stelle, an der die zwölfjährige Luise gefunden wurde.
© Roberto Pfeil / Picture Alliance
Gewaltkriminalität unter Kindern – so erschreckend wie selten. Aktuell beschäftigt der Fall von Luise aus Freudenberg ganz Deutschland. Die Zwölfjährige wurde getötet. Unter Verdacht stehen ein ebenfalls zwölfjähriges und ein 13-jähriges Mädchen. Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass Kinder oder Jugendliche gewalttätig werden?

Seit Samstag wurde Luise vermisst. Am Sonntag fand man die Zwölfjährige in der Nähe eines Radwegs auf rheinland-pfälzischem Gebiet unmittelbar an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen. Das junge Mädchen ist tot. Bei der Obduktion wurden zahlreiche Messerstiche festgestellt. Nach Angaben der Ermittler:innen ist Luise verblutet.

Unter Verdacht stehen zwei gleichaltrige Mädchen – die drei sollen sich gekannt haben. Die zwölf und 13-Jährigen haben gestanden, Luise mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben. Aktuell sind sie "außerhalb des häuslichen Umfeldes untergebracht", teilte der zuständige Kreis Siegen-Wittgenstein mit. Die beiden Mädchen haben weiterhin Kontakt zu ihren Eltern. Dies sei einmal aufgrund des Alters, aber auch für eine positive Entwicklung der aktuellen Umstände wichtig. Auch für sie sei es eine außergewöhnliche Situation, "die viel Empathie und umsichtiges Agieren erfordert", so der Kreis-Jugenddezernent Thomas Wüst zur "Deutschen Presseagentur".

Die Gründe, warum Kinder gewalttätig werden, sind vielfältig

Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass Kinder oder Jugendliche gewalttätig werden? Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zeigt, dass es 2021 insgesamt 19 Verdachtsfälle von Mord oder Totschlag durch Kinder unter 14 Jahren gab. 2020 und 2019 waren es jeweils elf. Nicht ersichtlich ist jedoch, in wie vielen dieser Fälle die Opfer ebenfalls Kinder waren.

Der Grund für gewalttätiges Handeln ist vielfältig, sagt Rainer Rettinger vom Deutschen Kinderverein auf BRIGITTE-Nachfrage. "Erziehung, das Erleben von häuslicher Gewalt, Kindesmisshandlung und Vernachlässigung haben darauf einen großen Einfluss". Doch auch eine "Überhütung" kann dazu führen, dass ein Kind Aggressionen entwickelt, klärt der Experte weiter auf. Was im Fall Luisa dazu führte, ist noch offen. Genauso wenig sei klar, ob es sich um ein gezieltes Tötungsdelikt handelt, so Rettinger.

Gewalt hat viele Facetten – psychisch und physisch

Gewalt hat viele Facetten. Eine dieser Ausprägungen ist das Mobbing. Durch soziale Medien bekommt diese Art der häufig psychischen Gewalt noch einmal eine ganz neue Dimension. Das Problem sieht Rainer Rettinger vor allem darin, dass Lehrpersonen und andere soziale Mitarbeiter:innen zu wenig geschult werden. "Das ist ein enormer struktureller Missstand und bedeutet für Personen, die mit Gruppen arbeiten, in Heimen, in der Tagesgruppe, Erziehungshilfen oder in der Schule, wo Kinder jeden Tag sind und nicht ausweichen können, erst einmal eine Überforderung und Hilflosigkeit". Hier braucht es dringenden Handlungsbedarf.

Im Zuge des Falls in Freudenberg kam die Diskussion auf, dass das Strafalter herabgesenkt werden müsse. "Kindheit bedeutet Schutz und Proberaum und das ist gut so", sagt Rettinger dazu. Kinder unter 14 Jahren sind nicht strafmündig. Das bedeutet rein strafrechtlich drohen ihnen bei Vergehen keine Konsequenzen. Mit dem Erreichen des 14. Lebensjahres traut der Gesetzgeber einem Menschen zu, seine oder ihre Handlungen so weit überblicken zu können, dass man sich darüber bewusst ist, welche Konsequenzen sie mit sich bringen können. Vor dem Alter von 14 geht man demnach davon aus, dass dies entwicklungsbedingt noch nicht der Fall ist. Das Strafalter "ist historisch erkämpft und soll auch nach Auffassung der Wissenschaft so bleiben", ergänzt Rettinger.

Unter 14 Jahren sind Kinder strafunmündig

Straffreiheit bedeutet jedoch nicht, dass die beiden Mädchen ihr Leben so weiterleben wie bisher. Aktuell wurden sie bereits aus ihren Familien genommen und werden vom Jugendamt betreut, auch die Schule besuchen sie derzeit nicht. In der Regel ist die Jugendhilfe vor Ort in der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen. Es gehe auch darum, aufzuarbeiten, welche Hintergründe möglicherweise zu der Tat führten und was die Kinder jetzt bräuchten, sagt Rettinger. Um den Fall aufzuarbeiten, kommen unterschiedliche Stellen zum Zug.

Das Leben der beiden Mädchen hat gerade erst begonnen, gibt es überhaupt einen Weg zurück in die Gesellschaft? Auf jeden Fall sei eine intensive Einzelfallbetreuung wichtig, so Rettinger. "Es gibt auch tolle Projekte, wo Kinder ein Jahr lang mit einer Person ins Ausland reisen, um wieder bindungsfähig zu werden". Im Grunde gehe es darum, an der Selbstregulation des Kindes zu arbeiten, sodass es lernt, seine oder ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen. Es muss an der Beziehungsfähigkeit und dem Einfühlungsvermögen gegenüber anderen Menschen gearbeitet werden.

Weitere verwendete Quellen: dpa.de zdf.de, statista.com

Brigitte

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