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"Der Tod ist sehr friedlich" Wie es ist, mit 21 im Hospiz zu arbeiten

Grafik Frau an Krankenbett
© VectorMine / Adobe Stock
Mit 21, da reist man um die Welt, tanzt durch den Regen, verliebt sich ohne Angst und glaubt an die eigene Unendlichkeit. Zumindest machen das die meisten so. Teresa ist auch gereist, sie hat im Regen getanzt und sie hat sich verliebt - doch dass ihre Zeit nicht unendlich ist, hat sie früh gelernt. Im Hospiz begleitete sie schon mit 21 Menschen beim Sterben. "Da lernt man viel über den Tod, und noch mehr über das Leben", sagt die heute 24-Jährige.
(Protokoll)

Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr ganz genau, warum ich es getan habe. Vielleicht wollte ich mich meinen Verlustängsten stellen. Vielleicht habe ich auch unterschätzt, wie existenziell die Zeit im Hospiz an meinen Grundfesten rütteln würde. Als ich noch klein war, habe ich abends oft geweint, weil ich Angst hatte, meine Mutter oder meine große Schwester zu verlieren. Dass es den Tod gibt und dass er die Stabilität des Lebens bedroht, scheine ich also sehr früh begriffen zu haben. Während meiner Ausbildung zur Krankenschwester ist er mir dann begegnet. 

Der Tod kam manchmal leise, manchmal unerwartet und gewaltsam. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal nach einer missglückten Wiederbelebung vor dem Monitor stand und fassungslos die gerade Linie anstarrte, die eben noch den gleichmäßigen Herzschlag eines Mannes angezeigt hatte, der mit mir gesprochen und gescherzt hatte. Vor fünf Minuten.

Ich wollte diesen Fremden besser kennenlernen

Der Tod verwirrte mich. Ich begegnete ihm zu häufig, um ihn wie die meisten meiner Altersgenossen zu verleugnen, aber zu selten, um mich an ihn zu gewöhnen. Er war wie ein Fremder, der mich gleichzeitig faszinierte und anwiderte. Wahrscheinlich war das dann auch der ausschlaggebende Punkt. Um nicht an ihm zu zerbrechen, musste ich mich ihm stellen. Ganz und gar. 

Alles, was hier zählt, ist der Moment.

Ich meldete mich freiwillig beim Hospiz meines Krankenhauses. Dort wollte ich die letzten Monate meiner Ausbildung verbringen und ich muss sagen: Ich bereue es nicht. Nirgends sonst hätte ich den Wert eines Augenblicks so schätzen gelernt wie dort. Denn was mir zuerst gesagt wurde, war: Vergiss alles, was du über Pflege weißt. Keiner dieser Menschen wird dieses Haus lebend verlassen. Alles, was hier zählt, ist der Moment.

Der Tod kann sehr hässlich sein

Ich hatte den Tod im Krankenhaus von seiner hässlichsten Seite kennengelernt. Hier zeigte er sich anders. Unsere Gäste (niemand nannte die Menschen im Hospiz Patienten), hatten die Möglichkeit gehabt, sich mit ihrem Schicksal auseinanderzusetzen. Einige von ihnen wurden zwar mitten aus dem Leben gerissen, aber sie hatten Zeit, um dieses Leben zu trauern. Sie konnten noch einen Streit klären, Briefe schreiben, Wissen teilen. Und das gab ihnen einen Frieden, den ich hier nicht erwartet hatte. Doch dieser Frieden braucht seine Zeit. 

Ich habe eine Frau gepflegt, die einen riesigen Tumor im Bauch hatte. "Weißt du", erzählte sie mir eines Tages, "als ich es erfuhr, habe ich geschrien. Ich habe geweint. Geklagt. Ich habe meinen Gott verflucht, ihn angezweifelt und ihn gehasst. Aber dann gab es diesen einen Tag, an dem ich verstanden habe, dass dieser Tumor mich umbringen wird. Er wird es tun. Ob ich schreie oder nicht. Also habe ich mein Schicksal angenommen." Noch immer kommen mir die Tränen, wenn ich an diesen Moment denke. Diese Hilflosigkeit und die darauf folgende Akzeptanz haben mich tief berührt. Auch wenn ein schneller Tod vielleicht einfacher wäre, wünsche ich mir, selbst auch einmal die Zeit zu haben, mein Ende zu akzeptieren, bevor ich gehe.

Was ich gelernt habe

Ein anderer Mensch bin ich nicht geworden. Wenn ich mit 21 all das Wissen der Sterbenden in mir aufgenommen hätte, dann wäre ich meiner Zeit zu sehr voraus gewesen. Ich wollte trotzdem jung bleiben. Blödsinn machen. Fehler begehen, die ich irgendwann auf dem Sterbebett bereuen würde. Schließlich bin ich ein Mensch. Und ich habe im Hospiz niemanden kennengelernt, der nicht ein bisschen gehadert hat mit den Prioritäten und Entscheidungen seines Lebens. Das gehört wohl dazu und mir wird es nicht besser gehen. 

Eines aber habe ich tief verinnerlicht: Das Glück ist einfacher als man denkt.

Manchmal sitze ich einfach nur da und freue mich daran, zwei Arme zu haben, die mich selbst versorgen können, Beine, die mich tragen, wohin ich will und einen Mund, mit dem ich mich mitteilen kann. Jeder Herzschlag, jeder Hirnstrom, jede Regung ist ein Geschenk. Ich glaube, ich bin gelassener geworden. Wenn ich nach einem schönen Urlaub ein fettes Minus auf dem Konto habe, ist mir das egal. Ich werde das schon wieder ausgleichen. Wahrer Reichtum ist das, was man erlebt. Wenn ich alt bin oder wenn meine Zeit gekommen ist, dann will ich sagen können: Ich habe gelebt. Ganz und gar. Ich habe vielleicht dumme Sachen gemacht. Aber es gab immer wieder Momente des Glücks und der Dankbarkeit. Wenn ich das sagen kann, dann kann er kommen, der Tod. Dann macht er mir keine Angst.

Menschen sind nicht nur ihr Schicksal

Heute arbeite ich in einem Herzkatheterlabor. Auch dort müssen wir dem Tod manchmal in die Augen sehen. Den Umgang mit trauernden Angehörigen finde ich nach wie vor schwierig. Ich wünschte mir, ich könnte ihnen allen erklären, was ich gesehen habe. Dass mit dem Tod meist ein Friede einhergeht, der unseren Horizont übersteigt. Und dass die Energie eines Menschen niemals mit seinem Körper begraben wird. Die Energie bleibt. Das ist kein Glaube, sondern ein physikalisches Gesetz. Ich für mich weiß, Menschen kann man nicht auf ihr Schicksal reduzieren. Nicht einmal, wenn sie gestorben sind. Nicht wenn sie trauern. Nicht wenn sie krank sind. Menschen sind weit komplexer als das, was wir von ihnen zu Gesicht bekommen. Von einem todkranken Menschen geht manchmal eine unbändige Kraft aus. Und die bleibt. Weit über den Tod hinaus.

Brigitte

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