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Death-Positive-Bewegung Bällebad und Zuckerwatte - den Abschied zur Party machen

Totenkopf und Lametta
Die Death-Positive-Bewegung holt den Tod aus der Dunkelheit
© allasimacheva / Adobe Stock
Über den Tod denkt niemand gern nach, weshalb wir ihn, so gut es geht, verdrängen. Die Death-Positive-Bewegung feiert Beerdigungen mit Zuckerwatte und DJ – aus Dankbarkeit fürs Leben.

Für ihren Sohn wollten die Eltern keine klassische Beerdigung. Also feierten sie eine Party im Park – mit Kinderspielecke, Süßigkeiten, DJ und abschließendem Lagerfeuer. Die Urne des Dreijährigen war die ganze Zeit dabei. 150 Gäste kamen und brachten dem Jungen Geschenke mit – etwas, das sie mit ihm verbanden, ein Bild etwa oder eins seiner Lieblingsspiele. Der Urnen- wurde zum Gabentisch.

"Wir versuchen, jeden so zu beerdigen, wie er oder seine Angehörigen es möchten", sagt Maria Kauffmann. "Deshalb sind wir wohl auch die einzigen Bestatter mit einer Zuckerwatte-Maschine." 

Vor zwei Jahren gründete die Logopädin mit ihrem Geschäftspartner Robert Freitag das Berliner Beerdigungsinstitut "Ab unter die Erde". Kurz zuvor war ihr Vater gestorben. Seine Trauerfeier sei schön gewesen, aber für Maria Kauffmann selbst zu konventionell. Danach wusste sie, dass sie sich für ihre eigene Beerdigung etwas anderes wünscht: "Ich brauche viel mehr Freiheit. Ich habe zum Beispiel immer gern getanzt und möchte, dass die Gäste auf meiner Abschiedsparty das auch tun." Und weil es so wie ihr immer mehr Menschen geht, hat die 43-Jährige eine Geschäftsidee daraus gemacht.

"Ab unter die Erde" organisiert nun Feiern, auf denen bis in die Morgenstunden getanzt und gesungen werden soll. Und wird ein begeisterter Biker beigesetzt, kann er seine Urne mit dem Motorrad aus dem Krematorium abholen lassen. Fußballfans werden nach ihrem Tod auf Wunsch mit Wimpeln, Girlanden und Konfetti in den Farben ihres Vereins gefeiert.

Death-Positive-Bewegung: Wenn das Abschiednehmen fröhlich wird

Jeder Abschied soll besonders und persönlich sein – und nicht das Programm abspulen, wie es auf deutschen Friedhöfen Standard ist. Stirbt ein Mensch, geben die Angehörigen die Organisation der Trauerfeier meist aus Unsicherheit und Überforderung direkt komplett an einen Bestatter ab. Ein Fehler, findet Maria Kauffmann: "Wenn Angehörige und Freunde jeden Schritt des Abschieds schon vorher mitgestalten, fängt die Trauerarbeit nicht erst nach der Beerdigung an."

Sich über den eigenen Tod und die Trauer der anderen frühzeitig Gedanken zu machen, Bestattungsrituale zu hinterfragen und Tabus zu brechen, ist auch das Ziel der so genannten Death-Positive-Bewegung. Kopf und Ideengeberin ist die Kalifornierin Caitlin Doughty. Als Mitarbeiterin eines Krematoriums gründete sie 2011 "The Order of the Good Death" (Der Orden des guten Todes), eine Organisation, die unser Verhältnis zum Tod verändern möchte.

Die Frau mit den pechschwarzen Haaren und dem knallroten Lippenstift propagiert in ihrer Youtube-Serie "Ask a Mortician" (Frag einen Bestatter) auf fröhliche und unterhaltsame Art alte Trauerrituale wie die Totenwache, das Abschiednehmen von Verstorbenen zu Hause und komplett kompostierbare Särge. Inzwischen hat Caitlin Doughty mehrere Bücher geschrieben und ihr eigenes Bestattungsinstitut gegründet.

Der offene Umgang mit dem Tod trifft einen Nerv

Mit ihrem offenen Umgang mit dem Tod haben Kauffmann und Doughty einen Nerv getroffen. Die Millennials scheinen dem eigenen Ende positiver gegenüberzustehen als die Generationen vor ihnen. Eine Umfrage im Auftrag des Malteser Hilfsdiensts und des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands ergab, dass 40 Prozent der Menschen zwischen 16 und 30 Jahre den Eindruck haben, die Gesellschaft setze sich zu wenig mit Sterben, Tod und Trauer auseinander.

Tatsächlich ist das Verhältnis der westlichen Welt zum Tod ein eher unentspanntes. Im Alltag wird er kaum noch thematisiert. Verstirbt ein Mensch, wird das diskret behandelt. Todesanzeigen, Trauerfeiern, Aufbahrungen werden immer seltener, anonyme Bestattungen dagegen beliebter. Der Glaube spielt für die meisten Menschen kaum noch eine Rolle, und viele Dorfgemeinschaften, in denen Beerdigungen mit Tamtam und Leichenschmaus begangen wurden, haben sich aufgelöst.

Gut drei Viertel aller Menschen in Deutschland sterben nicht zu Hause, sondern in einem Heim, Krankenhaus oder Hospiz. "Der Tod findet zunehmend unter klinischen Bedingungen statt, also jenseits des normalen Lebens; bei ,Profis, die sich mit so was auskennen‘ – als müssten wir nicht alle Profis sein für die großen Themen unseres Lebens", sagt Rupert Scheule, Professor für Moraltheologie an der Universität Regensburg. Er leitet den 2019 neu eingerichteten Studiengang Perimortale Wissenschaften, der den Zeitraum rund um den Tod verstehen und erforschen will. "Uns war klar, dass Sterben, Tod und Trauer mehr Aufmerksamkeit verdienen, als sie lange hatten, und dass wir akademisch etwas zu diesen Themen sagen können", erklärt Scheule. Überraschend viele Studierende interessieren sich für diesen besonderen Masterstudiengang, sagt er.

Das Death Café, ein Raum für Trauernde

Maria Kauffmann sitzt in einem Raum in Berlin-Pankow. Auf dem Tisch vor ihr liegen Taschentücher, daneben Kugelschreiber mit bunten Totenköpfen. Ein Schädel trägt ein glitzerndes Diadem, auf einem Ständer thront eine Urne, im Regal steht eine Vinylschallplatte, die aus der Asche eines Verstorbenen gefertigt wurde. Darauf zu hören sind das Lieblingslied des Toten oder letzte Worte. Die kleine Tochter von Kauffmanns Kollege Robert Freitag tobt im Eiskönigin-Kleid herum. "Komm runter vom Sarg", schimpft ihr Vater. Allerdings nicht, weil er es unpassend fände, dass sie auf einem der beiden ausgestellten Exemplare herumturnt.

"Wir haben sogar einen Sarg mit Bällebad, darin können Kinder spielen", sagt er.

Später wird in diesem Raum die "Abschiedsbar" stattfinden, eine Art "Death Café", das zur Death-Positive-Bewegung gehört wie Klimastreiks zu Fridays for Future. Das erste Death Café wurde 2011 in London veranstaltet, inzwischen gibt es rund 5000 in gut 50 Ländern. "Manche besuchen die Abschiedsbar, weil sie über ihre eigene Sterblichkeit und das Leben nachdenken möchten. Andere haben tatsächlich gerade einen Verlust erlebt", erklärt Maria Kauffmann. So wie die Mutter, die für ihren toten Sohn die Party im Park geschmissen hat. Ihr helfe es, über ihn zu sprechen, sagt sie. Hier höre man ihr auch Monate nach der Beerdigung zu, während das Umfeld sich bereits frage, wann es endlich wieder besser wird.

Verdrängt eine Gesellschaft den Gedanken an den Tod, dann bietet sie auch Hinterbliebenen wenig Raum. "Trauernde haben oft das Gefühl zu stören: die Routinen, den Alltag, die Partys", so Rupert Scheule. "Ihnen zusprechen zu können: ‚Genau so, wie ihr seid, seid ihr richtig hier‘, setzt einen offenen Umgang mit dem Tod voraus." Wie schwer es für Hinterbliebene ist, jemanden zu finden, der die Tränen des anderen aushält, beweist wohl die Existenz von trosthelden.de. Die Plattform vermittelt für rund 15 Euro im Monat Menschen, mit denen man gemeinsam trauern kann.

So wird einem die Angst genommen

Wenn wir den Tod verstärkt thematisieren, hilft das aber nicht nur Trauernden, sondern auch uns selbst. Sich die eigene Endlichkeit bewusst zu machen, könne dafür sorgen, weniger Angst vor ihr zu haben, meint Rupert Scheule und zitiert den römischen Philosoph Seneca: "Wer den Schlag im Denken vorwegnimmt, den trifft er weniger hart."

Maria Kauffmann vergleicht das Verdrängen der eigenen Sterblichkeit und alles rund um Beerdigungen mit einem Gruselfilm, in dem jemand einen dunklen Flur entlangläuft und dazu Furcht einflößende Musik ertönt. Man weiß nicht, was passieren wird – und hat wahnsinnige Angst vor dem, was kommen mag: "Aber würde man einmal das Licht einschalten, könnte man sehen, dass das, was mit dem Körper nach dem Tod passiert, weit weniger schlimm ist, als man sich ausmalt." Sie ermutigt Angehörige deshalb, Verstorbene selbst zu waschen und anzuziehen, sie auf jeden Fall noch mal zu sehen, sie anzufassen.

Die österreichische Psychologin und Bestatterin Christine Pernlochner-Kügler veranstaltet bereits seit Jahren regelmäßig Gruppenführungen durch ihr Tiroler Beerdigungsunternehmen (neumair.rip), sogar für Schulklassen, Rettungsdienste, Pensionistenvereine. Man kann im Sarg Probe liegen, sich Urnen, Hygienehüllen, Leichensäcke anschauen – und sich so dem Tod nähern, ihn für sich greifbarer machen.

Der Tod schärft den Blick aufs Leben

Wer das tun möchte, kann auch dem Bestattungs-Influencer Luis Bauer auf Tiktok (@bestattungenburger) folgen oder sich einen der vielen Podcasts anhören. Empfehlenswert sind zum Beispiel "Endlich" von Caro Kraft und Susann Brückner, die beide persönliche Erfahrungen mit Suizid gemacht haben, "Let’s talk about Tod" von Bestatter David Roth, der meint, den schönsten Beruf der Welt zu haben, oder "Griefcast", in dem die britische Komikerin Cariad Lloyd dem Ende mit trockenem Humor entgegensieht.

Ein Gutes hat die Beschäftigung mit unserem Ende in jedem Fall: Sie schärft den Blick aufs Leben.

"Wenn ich mir bewusst werde, dass ich früher oder später sterbe, gewinnen oder verlieren viele Dinge an Wichtigkeit" meint Maria Kauffmann.

Wer sich immer wieder an die eigene Sterblichkeit erinnern lassen möchte, kann zum Beispiel eine Armbanduhr tragen mit einem Countdown zu einem errechneten Todeszeitpunkt. Und von der App "We Croak" (Wir beißen ins Gras) erhält man mehrmals am Tag die Mitteilung "Don’t forget, you are going to die". Jedes Mal ein kleiner Schock – der zumindest für den Moment dankbar macht, am Leben zu sein.

Brigitte

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