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Der Tod als täglicher Begleiter Darum entschied sich Anja Eschweiler für die Arbeit in einem Kinderhospiz

Anja Eschweiler
Anja Eschweiler
© privates Bild
Dem Tod jeden Tag zu begegnen ist für viele eine der schwierigsten Aufgaben. Anja Eschweiler hat sich jedoch bewusst für diesen Weg entschieden, um Familien zu helfen, die den wahrscheinlich schwersten Gang antreten müssen: Ihr Kind beim Sterben zu begleiten.

"Nicht das Unmögliche zu versuchen, sondern das Mögliche mit Freude zu tun" ist ein Zitat von der Seite des Regenbogenlandes, einem Kinderhospiz in Düsseldorf. Seit 2021 wird es von Anja Eschweiler geleitet.

Anja Eschweiler leitet das Kinderhospiz Regenbogenland in Düsseldorf

Das Thema Tod wird eher nicht mit den Worten Leben und Freude beschrieben, aber genau das ist es, was Anja Eschweiler vermittelt. Im Regenbogenland geht man Hand in Hand mit dem Tod einher, aber vorher feiern die Mitarbeiter mit ihren Gästen jede einzelne Sekunde dieses wundervollen Lebens. Wie das geht? Mit Leidenschaft und einer grundlegend positiven Einstellung zum Leben.

BRIGITTE: Wie sah Ihr Leben aus, bevor sie entschieden, die Geschäftsführung eines Kinder- und Jugendhospiz zu übernehmen?

Anja Eschweiler: Ich bin eigentlich eine hochgezogene Pflanze aus der Automobilbranche. Ich habe mich schnell für den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit entschieden und insgesamt 13 Jahre bei einem Premium Automobilhersteller gearbeitet. Es war ein Job, den ich sehr geliebt habe und er passte zu mir. Ich hatte großartige Kollegen. Es war ein ausfüllender Job, thematisch und zeitlich.

Wie kam der Kontakt zum Regenbogenland zustande?

Ich saß damals auf der anderen Seite und habe Spenden vergeben. 2010 hat mich eine Spendenanfrage vom Regenbogenland erreicht, in der es darum ging, dass sie für die Ausflüge mit den Kindern ein neues Fahrzeug brauchten. Es kam allerdings ganz selten vor, dass wir Fahrzeuge spenden durften. Mein Glück versuchte ich natürlich trotzdem. Ich hatte damals noch kaum eine Vorstellung, was hinter Kinderhospizarbeit alles steckt und habe gefragt, ob ich nicht für eine Hausvorstellung vorbeikommen dürfte.

Konnten Sie denn was erreichen wegen des Fahrzeuges?

Tatsächlich hatte ich zu dem Zeitpunkt der Hausvorstellung schon ein "Ja" in der Tasche. Ich bin dann damals zum Kinderhospiz gefahren und hatte einen kleinen Mini-Model-Transporter mit im Gepäck. Ich wurde herumgeführt, mir wurde erklärt, was hinter der Kinderhospizarbeit steckt und hinterher gab es Kaffee. Da habe ich dann das Modellauto auf den Tisch gestellt und gesagt: "Ich habe ein kleines Geschenk dabei. In zwei Monaten steht er in groß vor der Tür".

Was für ein schönes Geschenk.

Und es war so ein emotionaler Moment, alle haben angefangen zu weinen, inklusive mir. Das war der Moment, an dem ich an das Hospiz verloren war. Ich habe die großartige Arbeit gesehen, die Wärme, die Freundlichkeit und die wahnsinnige Lebensfreude. Das zeigt sich in den Mitarbeitern, den Gästen und in den Räumlichkeiten. Das hat mich tatsächlich wahnsinnig bewegt.

Und wie ging es dann weiter?

Das eine ergab dann das andere. Wir haben zwei Monate später das Auto übergeben. Dann haben wir von der Firma aus häufiger gespendet und die Weihnachtsfeier von den Familien bei uns im Unternehmen ausgerichtet. Das ist immer ein Highlight im Jahr. Es kommen über 250 Gäste zusammen aus betroffenen und verwaisten Familien. Ich habe auch angefangen, privat mehr zu spenden und meine Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit anzubieten.

Wann haben Sie dann offizielle Aufgaben übernommen?

2017 wurde ich in den Vorstand gewählt, dort war ich dann ehrenamtlich verantwortlich für die Themen Fundrasing und Öffentlichkeitsarbeit.

Was macht denn das Regenbogenland so besonders?

Das sind vor allem unsere Miteinander-Momente.

Was genau ist das?

Wir haben ein Motto, das auf die Begründerin der Hospiz-Bewegung Cicely Saunders, zurückgeht: Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben. Und genau das passiert im Regenbogenland jeden Tag. Das sind ganz kleine Miteinander-Momente, in denen man zusammen spazieren geht, ein Eis isst. Es geht um Momente, die für uns teilweise selbstverständlich sind, für unsere Gäste aber nicht. Es wird viel investiert, um die verbleibenden Stunden, Tage, Wochen, Monate oder Jahre der Kinder und ihrer Familien so besonders wie möglich zu gestalten.

Ab wann begleiten Sie die Kinder?

Ein Kinderhospiz darf die betroffenen Kinder und Jugendlichen nicht nur in der finalen Phase ihres Lebens begleiten, sondern können den Familien schon während der Zeit der Erkrankung zur Seite stehen, was einen sehr langen gemeinsamen Weg bedeuten kann.

Wie unterstützen sie die Kinder?

Wir bieten viele Therapiemöglichkeiten an, um die Kinder zu fördern. Da ist zum Beispiel die tiergestützte Therapie, wo ein Therapiehund vorbeikommt. In solchen Momenten bedarf es keiner Worte, der Hund findet einen ganz besonderen Zugang zu den Kindern, das ist auch ein wunderschöner Miteinander-Moment. Die Kölner Klinik-Clowns unternehmen Fantasiereisen mit den Kindern auf jeden einzelnen Gast abgestimmt, dann sind manchmal kleine Astronauten bei uns unterwegs.

Seit 2021 haben Sie die Geschäftsleitung des Regenbogenlandes übernommen. Vorher, seit 2019, waren Sie die Leiterin für den Bereich Fundrasing und Öffentlichkeitsarbeit.

Ja, genau. Ich kümmere mich jetzt viel um administrative Dinge und betreue weiter den Bereich des Fundrasing, ich mache Hausvorstellungen und Vorträge, erkläre, was den Gedanken der Kinderhospizarbeit ausmacht und fahre zu Vorträgen. Ich betreue auch die Sozialen Medien des Regenbogenlandes. Damit bin ich häufig sehr nah dran an den schönen Miteinander-Momenten. So wollen wir der Welt zeigen, wie die Tage bei uns aussehen.

Was war ihre Motivation dahinter, den sicheren Hafen des Konzerns zu verlassen und die Aufgabe der Führung eines spendenbasierten Kinderhospiz zu übernehmen?

Ich brenne einfach wahnsinnig für dieses Thema. Eine Zeit lang habe ich beides noch parallel gemacht – Konzern und Ehrenamt. Da prallten dann auf einmal Themen aus zwei Welten aufeinander. Und die Diskrepanz wurde aus meiner Sicht immer größer. Man kann sich das vielleicht ein bisschen so vorstellen: Egal über welches Problem wir uns heute wahnsinnig aufregen, wenn es um das Thema Gesundheit der Liebsten und dann auch noch der Kinder geht, dann spielen viele Probleme keine Rolle mehr. Bei mir wurde dann die Frage immer drängender: Wo liegt der Sinn in meiner Arbeit? Und da wurde dann schnell klar, ich wage den Schritt raus aus diesem schützenden Konzern, rein in einen spendenfinanzierten Verein. Das war der letzte Schubs, der mich hat springen lassen.

Sie sind eine stationäre Einrichtung, das bedeutet, die Kinder und Familien kommen zu Ihnen. Wie kann man sich das vorstellen?

Man kann sich das ein bisschen wie Urlaub vorstellen. Die Gäste kommen manchmal ein langes Wochenende oder auch mehrere Tage oder ein paar Wochen. Die ganze Familie darf bei uns einziehen und ihnen werden alle Alltagssorgen abgenommen: Sie müssen nicht putzen, waschen oder kochen. Das erkrankte Kind wird bestmöglich versorgt und auch die Geschwister werden betreut. Für die Eltern und die Kinder soll es eine Entlastung sein. Neben den Entlastungsaufenthalten nehmen wir Kinder und Jugendliche auch in ihrer finalen Lebensphase bei uns auf, manche von ihnen kennen wir zu dem Zeitpunkt schon sehr lange. Für mich sind die Familien allesamt Superhelden und verdienen es, dass wir sie auf ihrem Weg begleiten, wenn sie es brauchen, dann steht unser Team wie eine Wand hinter ihnen.

Gerade wenn es um Kinder geht, stehen wahrscheinlich sehr viele hilflos daneben. Was würden Sie raten, wie Freunde und Familie am besten mit der Situation umgehen sollten?

Das ist tatsächlich sehr individuell. Meistens hat das Umfeld Schwierigkeiten. Viele ziehen sich lieber komplett zurück, anstatt was Falsches zu sagen. Der Tod ist generell noch immer ein Tabuthema, gerade wenn es Kinder trifft. Sich aus der Situation rauszunehmen bedeutet aber die Eltern allein zu lassen. Man muss Signale setzen, dass man da ist, dass man mit den Eltern mitfühlt. Das Wichtigste ist, den Eltern das Gefühl zu geben, dass sie jemanden haben.

Wie gehen Sie damit um den Tod als täglichen Begleiter an ihrer Seite zu haben?

Die Themen Tod und Trauer müssen einen Raum finden dürfen und das tun sie bei uns. Bei mir überwiegt aber immer das gute Gefühl, dass wir für die Familien da sind und dass wir sie in ihrer Trauer begleiten können. Wir können leider nicht verhindern, dass die Kinder krank sind oder sterben, aber wir können ihnen während ihrer Krankheitsphase schöne Momente schenken und die Eltern entlasten sowie die Familien beim Abschiednehmen und in der Trauer begleiten.

Was sind die Dinge, die Sie durch ihre Arbeit besonders zu schätzen gelernt haben?

Ich glaube, es ist tatsächlich das Wertschätzen dieser kleinen Momente, der vielen Selbstverständlichkeiten im Leben und sei es nur das Frühstück am Morgen. In Bezug auf einen kranken Menschen, der höchstwahrscheinlich früh sterben wird, ergibt unser Leitspruch für viele Sinn: Wir müssen dem Tag mehr Leben geben. Aber was wir vergessen ist, dass das auf uns genauso zutrifft, auch wir können unserem Leben nicht mehr Tage geben, deswegen sollten auch wir versuchen jeden Tag den wir geschenkt bekommen, mit mehr Leben zu füllen. Wir wissen ja auch nicht, wie viele Tage noch vor uns liegen.

Nehmen sie diese Momente anders wahr?

Man kann natürlich nicht leugnen: In diesem Job bekommt man eine gehörige Portion Dankbarkeit und Demut verpasst. Das kann ja aber niemandem schaden. Man lernt schnell, dass der größte Luxus weder Geld noch teuere Autos sind, sondern Zeit mit seinen Liebsten – ich glaube, alle unsere Eltern würden jeden Luxus eintauschen für ein paar weitere Minuten mit ihrem geliebten Kind.

Brigitte

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