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Coronakrise Was jetzt geschehen muss

Coronakrise: Frauen mit weiblichen Symbol auf der Hand
© Beatriz Vera / Shutterstock
Diese Frauen erleben die Krise in der ersten Reihe. Ihre Erfahrungen – und ihre Forderungen.

Jasmin Dickerson, 34, alleinerziehende Mutter eines Kindes mit Behinderung:

"Wir brauchen eine adäquate Bezahlung für häusliche Pflege."

"Von der Politik fühle ich mich komplett übersehen. Das war schon vor der Corona-Krise so, hat sich jetzt aber verstärkt. So hätte ich als erwerbstätige Alleinerziehende eigentlich einen Anspruch darauf gehabt, dass meine zweieinhalbjährige Tochter in der Kita notbetreut wird. Doch weil sie behindert ist, hatte ich diesen Anspruch nicht. Im Homeoffice zu arbeiten, ist mit einem Kind mit so viel Pflegebedarf aber schlichtweg unmöglich. Mein Arbeitgeber – ich mache die Öffentlichkeitsarbeit für ein Antidiskriminierungsprojekt – kam mir zum Glück sehr entgegen. Er war einverstanden, dass ich Minusstunden mache, während mein Kind nicht in der Kita ist. Aber nicht alle alleinerziehenden Mütter von behinderten Kindern haben das Privileg, einen solchen Job zu haben. Die Corona-Krise legt offen, wie massiv unterbewertet die Care-Arbeit in unserer Gesellschaft ist. Alleinerziehende sind im System nicht wirklich vorgesehen, die Pflege von behinderten Kindern ist unsichtbar. Ich wäre gern im Beruf durchgestartet. Doch das war, bevor ich ein behindertes Kind bekommen habe. Ich werde nie Vollzeit arbeiten können, weil ich meine Tochter pflege. Was ich dafür vom Staat an Pflegegeld bekomme, ist ein Witz: 545 Euro pro Monat für eine Arbeit, die keinen Feierabend kennt. Ich wünsche mir mehr Anerkennung – für mich, aber vor allem für Frauen, die in einer ähn­lichen Situation sind wie ich, aber noch weniger Privilegien haben. Wir brauchen eine adäquate Bezahlung für häusliche Pflege und mehr Kindergeld. Dass der Staat finanzielle Reserven hat, sehen wir ja gerade.

Tanja Lange, 34, Sozialarbeiterin in einem Frauenhaus in Rostock:

"Unsere Werte müssen sich ändern."

"Wir stehen bereit, auch jetzt. Bisher wenden sich nicht mehr Frauen an uns als sonst. Doch das wird sich vielleicht ändern, wenn Beratungsstellen, Jobcenter, Jugendämter wieder präsenter sind, die oft den Kontakt herstellen. Die Folgen der Krise spüren wir auch so. Wir haben Klientinnen mit schweren Traumata, für die gerade viele wichtige Rituale wegfallen, normale Tagesabläufe genauso wie wichtige Therapietermine. Mehrere Frauen mussten wegen Suizidgefahr sogar in die Klinik. Ich glaube, in der Krise zeigt sich eine Erwartungshaltung an Frauen, die wir auch von Gewaltbeziehungen kennen: Du bist dafür da, meine Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn wir diese Haltung ändern wollen, müssen sich die Werte unserer Gesellschaft ändern. Wir sollten im Alltag gegen sexistische Bemerkungen eintreten. Und wir müssen die, die Gewalt ausüben, mehr in die Verantwortung nehmen, etwa im Rahmen von Präventionsmaßnahmen, wie sie Männer- und Gewaltberatungsstellen anbieten. Doch in Mecklenburg-Vorpommern, wo ich arbeite, gibt es derzeit nur einen Mitarbeiter in diesem Bereich. Das ist viel zu wenig. Es ist so wichtig, am Ursprung des Problems anzusetzen."

Antje Elsässer, 49, Gesundheitsaufseherin beim Gesundheitsamt Berlin-Spandau:

"Wir tragen große Verantwortung – das müsste mehr berücksichtigt werden."

"Sagen wir es mal so: Ich lege keinen großen Wert darauf, dass noch mal so schnell eine Pandemie aufkommt. Im Schnitt haben wir während der ganz akuten Phase täglich zehn, elf Stunden pro Tag gearbeitet, auch an Wochenenden und Feiertagen. Oft haben wir uns abends zu Hause noch fachlich auf den neuesten Stand gebracht, weil dafür tagsüber keine Zeit blieb. Ich habe das Glück, dass mein Sohn schon erwachsen ist und mein Mann sich um den Haushalt kümmert, aber meine Kolleginnen und Kollegen mit kleinen Kindern haben es gerade nicht leicht. Denn bei einem normalen Acht-Stunden-Tag sind wir noch nicht wieder angekommen.

Zu unserem Beruf gehört die Aufgabe, die Infektionsketten hinter den Corona-Fällen nachzuverfolgen. Sobald jemand positiv getestet wurde, nehmen wir Kontakt zu der Person auf und fragen, welche Symptome sie hat und wann sie wo gewesen ist. War sie beim Arzt? Mit Freunden unterwegs? Wir sind dem Virus auf der Spur – und zwar hartnäckig: Manchmal müssen wir nachhaken, weil sich nicht jeder sofort an jede Begegnung erinnern kann. Anschließend rufen wir die Kontaktpersonen an und fragen, wie eng der Kontakt war. Es macht uns stolz, dass die Infektionszahlen auch dank unserer Arbeit im Bezirk relativ gering sind. Wir tragen viel Verantwortung, denn wir beantworten auch Fragen der Bürger und überprüfen die Hygienekonzepte von Schulen und anderen Einrichtungen. Dafür ist die Bezahlung im mittleren Dienst – in meinem Fall ist das die Stufe A9 – nicht gut. Unser Berufsbild müsste neu bewertet und die hohe Verantwortung dabei besser berücksichtigt werden. Helfen würde uns auch, wenn wir Nachrichten von Ärzten oder Laboren künftig digital empfangen könnten. Bislang geht das wegen datenschutzrechtlicher Hürden nur per Fax. Hier müsste beim Infektionsschutzgesetz nachgebessert werden."

Christina F., 28, Erzieherin in einer Kita in Bayern

"Wir hätten klarere Ansagen gebraucht."

"Zu Beginn der Corona-Krise musste ich ungewohnte, aber sehr wichtige Entscheidungen treffen: Trage ich eine Maske, wenn ich mit den Kindern spiele? Nehme ich sie auf den Schoß? Ich habe mich gegen einen Mund-Nasen-Schutz beim Spielen mit den Kindern entschieden und trage ihn nur im Kontakt mit Eltern oder Kollegen aus anderen Gruppen. Auch auf den Schoß nehme ich die Kinder weiterhin und freue mich wirklich sehr, wieder arbeiten zu können und zu sehen, wie sich die Kinder freuen, ihre Freunde wieder- zusehen. Die Ängste von Kolleginnen, die zu einer Risikogruppe gehören, kann ich aber ebenfalls nachvollziehen. In unserem Beruf kann man sich nicht komplett schützen. Das kann belastend sein. Auch deshalb hätten wir im Shutdown und bei der schrittweisen Wieder­eröffnung der Kitas klarere Ansagen von der Regierung gebraucht: Wie sollen wir uns verhalten? Wie viele Kinder pro Gruppe dürfen maximal notbetreut werden? Die Empfehlungen kamen oft spät und waren schwammig formuliert.

Beim Versuch, das Virus einzudämmen und den Kindern trotzdem einen weitgehend normalen Alltag zu ermöglichen, müssen wir uns daher auf unseren gesunden Menschenverstand verlassen – und natürlich auf unseren pädagogischen Sachverstand. Doch genau den würdigen weite Teile von Politik und Gesellschaft kaum. Ich glaube, vielen ist gar nicht klar, dass wir so viel mehr tun als Kaffee trinken und spielen! Ob die mangelnde Wertschätzung auch damit zu tun haben könnte, dass wir in einem typischen Frauenberuf arbeiten, darüber hatte ich mir bisher noch nie Gedanken gemacht. Inzwischen glaube ich: Ja, das könnte durchaus sein."

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BRIGITTE 16/2020

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