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Corona-Eltern: Wo bleibt der Frauenstreik?

Corona-Eltern: Mutter tröstet Kind
© fizkes / Shutterstock
Auch wenn Kitas und Schulen vorsichtig öffnen, sind wir vom Regelbetrieb noch weit entfernt. Millionen Mütter gehen am Stock – und halten still. BRIGITTE-Redakteurin Alexandra Zykunov macht all das ziemlich wütend.

Wie soll ich in der Kita jetzt jeden Legostein einzeln desinfizieren?“ Oder: "Wem soll das helfen, dass meine Tochter mittwochs für 75 Minuten in die Schule darf?" Kommentare wie diese fluten seit Monaten die sozialen Netzwerke. Wütende Pädagog*innen und bis zur Besinnungslosigkeit kaputte Mütter klagen über realitätsfremde Hygienekonzepte und übers Verlassenwordensein von der Politik. "Das dauert", hörte man dazu monatelang aus der Regierung. Sie appellierte an unser Verständnis, an unsere Reflektionsfähigkeit, an unsere Empathie. Ist schon klar. Nur ist das alles ein Riesenhaufen Müll.

Mutti macht das schon. Oder ?

Denn dass so viele Kita- und Schulkonzepte so realitätsfremd sind, liegt daran, dass sich die Regierung so lang nicht mit eben diesen Konzepten beschäftigt hat. Im März schon hätte man die Belange der 10,5 Millionen Kinder im Fokus haben müssen. Man hätte erkennen müssen, dass Abstandsregeln für sie unmöglich sein werden und es sehr lange dauern wird, bis Alternativkonzepte stehen. Man hätte erkennen müssen, dass Familien nicht so lange werden durchhalten können, finanziell, physisch und psychisch nicht. Und wenn die Wirtschaft wieder angekurbelt wird, zehn Millionen Eltern – oder ehrlicherweise: Mütter – nicht mitkurbeln werden. Das alles erkennt man aber nicht, wenn im engen Corona-Kabinett die Frauenministerin kein festes Mitglied ist; wenn in den Gremien 50 Jahre alte Männer sitzen, die allesamt in einer Lebenswelt leben, in der die Devise gilt: Mutti macht das schon.

Wenn falsche Prioritäten gesetzt werden ...

Dass ein Drittel der Erzieherinnen über 50 ist, damit Risikogruppe und unterbezahlt dazu, ist ja nicht erst seit Corona so. Es hätte jemand bedenken können, dass da jetzt schlagartig Personal wegbrechen wird. Aber sorry, da gab es Wichtigeres zu klären: Wie es mit der Bundesliga weitergeht etwa, mit Biergärten und Auto­häusern. An Kitas dachte kaum jemand, an Kitas lässt sich ja auch kein Geld verdienen, da herrscht nicht Effizienz, sondern Bildung und Fürsorge. Alles nett, aber wirtschaftlich gesehen die kleine Schwester von Scheiße, und in einer kapitalistischen Krise so was von letztrangig. Dass Eltern da auf allen vieren krochen, zwischen Babybrei und zerkratzten Laptops, während man auf ihrem Rücken mit LAN-Kabeln Pferdchen spielte, hätte ja auch jemand bedenken können. Es hätte jemand auf ein Corona-Elterngeld pochen können, das auch fürs Homeoffice gilt. Denn – oh Überraschung – Homeschooling und Homeoffice sind keine Synonyme! Aber wo kämen wir da hin? Bedingungsloses Geld für Familien? Für Mütter?! Herrschaftszeiten, nein! Nachher kommt jemand auf die Idee, Kinder seien systemrelevant. Ja okay, in 30 Jahren finanzieren sie das älteste Deutschland überhaupt. Aber was juckt das denn die Politiker von heute?

Wer sich jetzt fragt: Warum ist denn dieser Skandal nicht längst in den Medien, warum schreit er uns nicht von jedem Bildschirm aus an? Tut er ja! #Corona Eltern, #CoronaElternRechnenAb, #Elterninderkrise – wie viele Hashtags es schon gab, wie viele "Tagesschau"-, "Hart aber fair"- und Sondersendungen. Wahrscheinlich auch, weil die Herren Chefredakteure plötzlich merkten, wie stark auch ihr Seelenheil von guter Care-Arbeit abhängig ist – und weil sie keine sauberen Hemden mehr für ihre Calls hatten. Doch wer glaubte, die vierte Gewalt würde endlich Schwung in die Sache bringen, lag falsch. Mehr noch: Inmitten der Dauerschleife von Wut und Resignation mussten sich Eltern vom SPD-Politiker Jörg Steinbach belehren lassen, sie sollten sich freuen, endlich mal ihre Kinder kennenlernen zu dürfen. Oder von CSU-Chef Markus Söder darlegen lassen, dass Homeoffice für Familien die Chance auf eine neue Work-Life-Balance sei.

... interessiert es trotzdem keinen

Wer also hier, zumindest an dieser Stelle, endlich den großen Vorschlaghammer erwartete, einen großen Elternstreik etwa, wurde wieder enttäuscht. Weil es niemanden interessiert, weil es keine Elternlobby gibt, keine Kinderlobby, keine Mütterlobby. Es braucht eine Elternpartei, eine Müttergewerkschaft, einen feministischen Thinktank – aber wann soll man die gründen? Eben. Mütter hatten schon vor Corona keine Kraft, keine Ressourcen. Wie viele Protestformen sollte man sich da noch ausdenken? Nachts, umsonst, zwischen Calls, Malheften und Nervenzusammenbrüchen?

Mutter-Dasein im Patriarchat

Und jetzt kommt das Schlimmste: Die Regierung weiß das alles längst; und sie weiß auch, dass sich Frauen eh nicht auflehnen werden. Sie werden nicht streiken, nicht für einen Monat, nicht für einen Tag. Weil sie ja sonst zugeben müssten, dass sie mit der Mutterschaft überfordert sind und damit mit ihrer – laut Patriarchat – größten Daseinsberechtigung. Und wer traut sich das in einer Gesellschaft, in der das Mutterbild seit 2000 Jahren auf ein unerreichbares Podest gehoben wurde, damit sich Frauen als Dauerbeschäftigung daran abrackern?

Sie werden auch deswegen nicht streiken, weil sie Angst um ihren Job haben; weil sie von Armut bedroht sind und von gewalttätigen Ehemännern; weil Alleinerziehende ihre Familie ernähren müssen; weil Mütter ihre Kinder mit Behinderungen pflegen müssen, ihre alten Mütter, Väter, Schwiegereltern, und die ganze gottverdammte Welt. Selbst in Branchen, in denen es dem Land wehtun würde – Krankenhaus, Pflege, Supermarkt – würden sie nicht streiken; weil sie es nicht mit sich vereinbaren könnten, es auf dem Rücken der Schwachen auszutragen; weil es ihnen die patriarchale Sozialisation so eingetrichtert hat. Sie werden nicht aus Protest eine Wagenladung Kackwindeln vor dem Bundestag anzünden. Oder ihre Kinder vor den Smålands des Landes parken. Weil sie verantwortungsbewusst sind. Weil sie die Kümmerinnen sind. Weil! Sie! Mütter! Sind!

Nein, es wird es keinen Streik geben, keine Revolution, und auch kein positives Fazit dieses Textes. Weil es daran nichts Positives gibt. Die Politik scheißt auf Mütter. Die Politik scheißt auf Frauen. Vor 2000 Jahren genau wie heute. Da hat eine Bundeskanzlerin leider auch nichts ändern können. Je schneller wir das alle verstehen, desto besser. Das ist so ziemlich der einzige Lichtblick, den es gibt.

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BRIGITTE 14/2020

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