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Corona aktuell Ein Jahr Pandemie: Wie sich unsere Psyche verändert hat

Durch Corona können Kinder ihre Großeltern kaum noch sehen. Das ist eine große familiäre Belastung.
Durch Corona können Kinder ihre Großeltern kaum noch sehen. Das ist eine große familiäre Belastung.
© Ermolaev Alexander / Shutterstock
Vor mehr als einem Jahr wurde weltweit eine Pandemie ausgerufen. Corona hat unseren Alltag auf den Kopf gestellt und unsere Grundrechte eingeschränkt. Was hat das mit unserer Seele gemacht? Wir haben eine forschende Psychotherapeutin gefragt.

Am 11. März 2020 erklärt die WHO den Ausbruch des Coronavirus offiziell zur Pandemie. Mehr als ein Jahr voller Entbehrungen, Maßnahmen und Nervenzusammenbrüchen liegt nun hinter uns. Das Leben ist nicht mehr so, wie es mal war. Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Konzert- und Partyverbote sowie Gastro-Schließungen: Was früher undenkbar war, ist heute Alltag. Was haben die letzten zwölf Monate mit unseren Verhaltensweisen und unserer Psyche gemacht?

Corona: Die Pandemie fördert Tendenzen zur Missgunst und Ignoranz

Darüber haben wir mit Dr. Anne Runde gesprochen. Die Psychologische Psychotherapeutin leitet mit ihrem Kollegen Dr. med. Gregor Leicht am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) eine Studie zum psychischen Befinden in der Coronapandemie. Mit uns zieht sie ein Fazit – nach 12 Monaten Coronavirus in Deutschland und zehn Monaten Datenerhebung.

BRIGITTE: Im April 2020 haben Sie mit der Onlinebefragung begonnen. Liefert die Studie bereits erste Ergebnisse, wie sich die Psyche der Probanden verändert hat?
Dr. phil. Anne Runde: Es ist noch zu früh, endgültige Schlüsse zu ziehen. Wir können aber eine Tendenz feststellen. Besonders Menschen, die vulnerabel (verletzlicher) für psychische Erkrankungen und die Entwicklung einer Depression sind, leiden vermutlich besonders unter den Einschränkungen der Pandemie.

In den Lockdown-Zeiten April, Mai, Juni und ab November war eine leicht erhöhte Depressivität zu beobachten.

So verhält es sich auch mit der Lebenszufriedenheit der Menschen.

Mein Kollege Professor Martin Schröder hat bereits erste Ergebnisse aus unserer Studie dazu veröffentlicht. Die Daten sprechen dafür, dass die Lebenszufriedenheit im Lockdown recht deutlich abnimmt, um dann wieder auf ein gutes Niveau zu steigen, wenn die Pandemie unseren Alltag nicht so fest im Griff hat – wie es im Sommer 2020 der Fall war.

Wie hat die Pandemie unser Verhalten geändert?
Wir weichen einander auf der Straße aus, reichen niemandem mehr die Hand zur Begrüßung und umarmen uns nicht mehr. Insgesamt haben wir viel weniger soziale und körperliche Kontakte.

Außerdem lässt sich teilweise eine erhöhte Hilfsbereitschaft beobachten. Die Fürsorge untereinander ist gestiegen, man bemüht sich, das Virus nicht zu verbreiten.

Es sind aber auch Tendenzen zur Missgunst bis hin zur Ignoranz zu beobachten. Man vergleicht oder kontrolliert, was andere machen und sich herausnehmen.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf ihre Patient*innen, die sie stationär am UKE betreuen?
Viele Patient*innen, die wir in den letzten Monaten aufgenommen haben, berichten, dass der Wegfall der Alltagsstruktur (wie der veränderte Arbeitsalltag, verminderte soziale Kontakte und Freizeitangebote) zu einem richtigen Stressfaktor wurde und depressive Episoden ausgelöst hat.

Andere hatten große Angst vor einer Infektion – so sehr, dass sie ihr eh schon eingeschränktes Leben weiter eingeschränkt haben, gar nicht mehr aus dem Haus gingen oder in ständiger Sorge waren. Einen außergewöhnlichen Ansturm von Patienten haben wir bisher nicht feststellen können. Meine Wahrnehmung ist aber, dass es schwerer geworden ist, ambulante Therapieplätze zu vermitteln. Eine erste sinnvolle Anlaufstelle ist die*der Hausärzt*in.

"Soziale Kontakte und körperliche Berührungen haben deutlich abgenommen"

Wie verändert die Pandemie unsere zwischenmenschlichen Beziehungen?
Unsere Studienteilnehmer haben berichtet, dass ihre sozialen Kontakte und körperliche Berührungen deutlich abgenommen haben. Das fehlt uns natürlich, da Menschen soziale Wesen sind. Manche kommen damit gut klar, aber manche leiden darunter auch sehr stark. Hinzu kommen Ängste, zum Beispiel, dass Freunde oder Familie an dem Virus erkranken.

Zu wenig Impfstoff, Winter-Dunkelheit, Lockdown und erst mal keine Besserung in Sicht: Bei vielen Menschen ist eine Corona-Müdigkeit festzustellen. Wie gehen wir am besten damit um? Durchhalten oder den Alltag längerfristig umstellen und anpassen?
Es ist sinnvoll, den Alltag längerfristig umzustellen, um mit der Situation besser umgehen zu können. Das ist an vielen Stellen des Lebens auch schon passiert. Das Abstand halten zu anderen und das Tragen der Maske haben wir komplett in unseren Alltag integriert. Dass der Mensch so anpassungsfähig ist, ist beachtlich.

Was ich noch wichtig finde:

Je sinnhafter die Maßnahmen einem Menschen erscheinen, desto leichter sind sie auch durchzuhalten und desto weniger einschränkend werden sie vielleicht empfunden.

In der Psychologie heißt das "werteorientiertes Handeln". Wenn ich mir immer wieder klar mache, warum ich mich einschränke, ist das ein anderer Kontext, als wenn ich einfach einer von außen vorgegeben Regel folge. Ich habe zum Beispiel auf Kontakte verzichtet, weil mir das wichtig ist, meine Liebsten und andere zu schützen. Mit dieser Änderung der Perspektive sind die Einschränkungen weniger toxisch für unsere Psyche und lassen sich einfacher umsetzen.

Kehrt nach Corona das normale Leben wieder zurück?

Was passiert mit uns, wenn das normale Leben wieder zurückkommt?
Die ersten Ergebnisse der Studie geben Grund zur Hoffnung, dass sich Stimmungslage und Lebenszufriedenheit wieder rasch "normalisieren" können. Ob wir nachhaltige Veränderungen zum Beispiel in unseren Verhaltensweisen, unserem Miteinander haben werden, kann ich momentan nicht einschätzen. Wer weiß, ob das Händeschütteln als gesellschaftliche Konvention dann noch gilt?

Wie halten wir uns mental am besten fit?

  • Für unsere psychische Gesundheit sind Kontakte sehr bedeutsam. So oder so sollten wir diese unbedingt pflegen. Wenn nicht anders möglich, dann eben digital oder über das Telefon.
  • Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft hilft erwiesenermaßen der psychischen Gesundheit. Am besten im Grünen und zur Mittagszeit, um möglichst viel Licht abzubekommen.
  • Außerdem ist das Aufrechterhalten oder Neugestalten einer Tagesstruktur wichtig. Was dabei hilft: Alltagspläne zu formulieren, mit regelmäßigen Aufsteh-, Schlafens-, Essenszeiten und Freizeitaktivitäten.

Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie hat im März 2020 ein "Kurzprogramm zur Selbstanwendung" mit dem Titel "Psychisch gesund bleiben, während Social Distancing, Quarantäne und Ausgangsbeschränkungen aufgrund des Corona-Virus" herausgegeben. Dort stehen weitere Tipps.

Wenn Symptome wie Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit und Energielosigkeit länger als zwei Wochen kontinuierlich anhalten, sollte man sich professionelle Hilfe suchen und an seine*n Hausärzt*in wenden. Es geht dann darum einzuschätzen, ob es sich um eine Depression handeln könnte. Umgekehrt: Wer mitbekommt, dass es jemandem nicht gut geht, sollte mit demjenigen in Kontakt bleiben und wenn nötig ermuntern, sich ärztliche Hilfe zu suchen.

Hilfe bei Depressionen

Erkennst du bei dir Anzeichen einer Depression? Beim überregionalen Krisentelefon unter 0800 1110111 wird schnell und anonym geholfen! Weiterführende Informationen gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Brigitte

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