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Neue Corona-Regeln Wieso 17,6 Millionen Singles durchs Raster fallen

Corona aktuell: Frau auf Sessel
© ra66 / Shutterstock
Die Kontakte sollen auf einen weiteren, festen Hausstand reduziert werden. So lautet die Empfehlung der Regierung, um die Corona-Krise einzudämmen. Schön und gut – aber was ist eigentlich, wenn man Single ist?

Maskenpflicht, Abstandsregelungen, Kontaktbeschränkungen – bisher hielt ich die meisten Regeln zur Eindämmung der Corona-Krise für sinnvoll. Viel mehr noch: Statt sorgen- saß ich oftmals fast hoffnungsvoll vor der Pressekonferenz, daran glaubend, dass strengere Maßnahmen die steigenden Infektionszahlen endlich in den Griff kriegen würden.

Bis auf gestern. Als Angela Merkel diesen Montagabend mit keinerlei neuen Beschlüssen, dafür mit strengem Blick und Empfehlungen vor die Presse trat, ertappte ich mich bei einem Stirnrunzeln. Das verwandelte sich in ein mulmiges Bauchgefühl, als ich folgendem Satz lauschte: "Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf einen festen – also immer den gleichen – Haushalt beschränkt werden." Ups. 

Prinzipiell klingt das sinnvoll. Wieso regen sich in mir dabei trotzdem Unglaube, Empörung und ein Funken Angst?? Weil ich alleine wohne.

Zwei Haushalte und die Lockdown-Ehe: Ja, ich will?

Wenn jeder nur noch einen festen Haushalt trifft, denkt man an Familien und Doppeldates, die es sich zusammen mal so richtig muckelig machen. Vor dem geistigen Auge entstehen Koch- und Spielabende zu viert, romantische Dinner vor dem Kamin oder mal so ein ganz gemütlicher Familienabend auf der Couch. Qualitytime! 

Ich sitze derweil alleine mit einer Chipstüte auf dem Bett meiner 40-qm-Wohnung und ranke meine Freunde und Familie nach Wichtigkeit. Auch muckelig, oder?

Nun würde ich keinen Artikel darüber schreiben, wenn mir eine Maßnahme aus egoistischen Gründen missfällt. Allerdings kitzelt mich seit gestern Abend ein Gefühl, dass ich weniger gut unterdrücken kann als persönlichen Unmut: Ungerechtigkeit. 

Die 17,6 Millionen Vergessenen

Mich beschleicht das leise Gefühl, dass die Kanzlerin bei ihrer Rede eine nicht allzu kleine Bevölkerungsgruppe vergessen hat: Die 17,6 Millionen Single-Haushalte in Deutschland. Und für die bedeuten die Maßnahmen etwas völlig anderes als für Paare, Familien und WGs.

Wieso ist es in Ordnung, wenn zwei Familien à vier Personen wöchentlich Spieleabende veranstalten – aber nicht, wenn ich mich in dieser Zeit mit drei festen Einzelpersonen zum Essen treffe? Rein rechnerisch würde ich den Personenkreis, den ich sehe, damit halb so klein halten, wie besagte Familie (vier zu acht). Rein rechtlich könnte Zweiteres für mich aber bald verboten sein, sollten die Maßnahmen tatsächlich offiziell festgelegt werden. 

Spinnen wir den Gedanken mal weiter. Es gibt rund 2,6 Millionen Alleinerziehende in Deutschland. Dürfte eine getrennt lebende Mutter nun also nur noch ihren Ex-Partner zwecks Kinder sehen – nicht aber ihren neuen Partner, sofern dieser nicht in ihrem Haushalt wohnt? 

Und was ist überhaupt mit Paaren? Sollen beide Partner nun abends ausknobeln, wer sich seine Kontaktperson für den nächsten Winter aussuchen darf?

Wer nicht ins gängige Familienmodell fällt, fällt durch

Kurz gesagt: Die Rechnung der festen Haushalte erscheint mir auf den ersten Blick zwar logisch, aber nicht fair. Und auf den zweiten weder logisch, noch fair. Denn im Endeffekt ist sie ein Gewinn für alle Menschen, die mit möglichst vielen unter einem Dach wohnen – und eine Niederlage für all die, die nicht in einem gängigen Familien- und Beziehungsmodell leben.

Einen festen Haushalt regelmäßig zu sehen, kann Sinn und Spaß machen, wenn du ein Paar oder eine Familie bist. Fällst du jedoch nicht in diese Gruppe, fällst du durchs Raster. 

Wenn selbst Befürworter*innen sämtlicher Corona-Maßnahmen anfangen nach Auswegen zu suchen, um sich nicht zwischen Eltern und der besten Freundin entscheiden zu müssen, läuft etwas falsch.

Ich plädiere nicht für Lockerungen. Tatsächlich kann ich meine Kontakte der letzten Wochen an einer Hand abzählen. Die meisten davon treffe ich sogar an der frischen Luft. Und damit bin ich fein. Aber ich plädiere für Maßnahmen, die die gesamte Gesellschaft integrieren – und nicht maßgeschneidert für einen Bevölkerungsteil sind. In Belgien dürfen Singles schließlich auch zwei, statt einen "Knuffelcontact" haben. Vielleicht können wir von dem Land noch mehr lernen als ein niedliches Wort – nämlich die Berücksichtigung individueller Ausgangslagen.

Um die Corona-Krise endlich in den Griff zu kriegen, sollten wir alle an einem Strang ziehen. Aber dabei bitte niemanden vergessen.

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