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Corona aktuell Wo muss ich jetzt mit einer Ansteckung rechnen?

Corona aktuell: Eine Frau mit Mundschutz
© Alex Castellon / Shutterstock
Sperrstunde hier, Maskenpflicht in der Öffentlichkeit da – aber woanders gelten wieder ganz andere Regeln. Es hilft alles nichts: Wir müssen selbst Bescheid wissen, wie wir uns verantwortungsvoll verhalten. Wir haben dazu mit Lungenfacharzt Dr. Voshaar gesprochen.

Die aktuelle Situation der Pandemie in Deutschland ist wohl den meisten Menschen klar: Die Infektionszahlen steigen rapide und auch die Intensivpatienten, die wegen Corona behandelt werden müssen, werden leider wieder mehr. Die Lage ist also ernst. Dagegen sind die Regeln, die bundesweit in Kraft sind, in erster Linie verwirrend. Hier gilt eine Sperrstunde, da wurde sie wieder aufgehoben, hier müssen Schüler im Unterricht eine Maske tragen, da nur wenn sie ihren Platz verlassen oder über 16 sind – selbst in der eigenen Heimatstadt fällt es schwer, den Durchblick zu behalten.

Umso wichtiger ist es da, dass wir selbst ein Verständnis dafür entwickeln, wie die Ansteckung mit dem Coronavirus überhaupt erfolgt, denn dann können wir uns im Zweifel eigenverantwortlich schützen, auch wenn wir die Regeln mal nicht ganz so genau kennen. Wir haben dazu mit dem Lungenfacharzt Dr. med. Thomas Voshaar vom Bethanien Krankenhaus gesprochen.

Unter welchen Umständen ist das Ansteckungsrisiko am größten?

Zu Beginn und während der ersten Wochen der Ausbreitung des Coronavirus haben wir immer wieder zu hören bekommen, wie wichtig es ist, unsere Hände zu waschen und in unsere Armbeuge zu niesen. Diese Maßnahmen dienen vorwiegend dazu, sich und andere vor einer sogenannten Schmier- oder Tröpfcheninfektionen zu schützen. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass es noch einen weiteren Übertragungsweg gibt, der bei der Ausbreitung des Coronavirus eine sehr große – vermutlich sogar die größte – Rolle spielt: Eine Ansteckung über Aerosole

"Aerosole sind sehr, sehr kleine Tröpfchen, die schon beim normalen Atmen aus unserer Lunge herauskommen und durch ihre geringe Größe sehr lange in der Umgebungsluft schweben", erklärt Dr. Voshaar. Je stärker wir atmen, also z. B. bei körperlicher Anstrengung, umso mehr Aerosole stoßen wir aus. Auch beim Sprechen ist der Ausstoß erhöht, noch mehr beim Singen. Atmen wir durch die Nase, gelangen weniger dieser Supermini-Tröpfchen in die Luft, aber auch dann gehen einige durch. 

Das bedeutet: "Im Freien ist eine Übertragung des Virus durch Aerosole nahezu ausgeschlossen", so Dr. Voshaar, "es sei denn, man steht mit einer infizierten Person praktisch Nase an Nase bzw. Mund an Mund." Durch Wind und Luftzirkulation werden die feinen Tröpfchen draußen sofort weggeweht und ihre Konzentration in der Weite des freien Raums wird so sehr verdünnt und zerstreut, dass sie uns nicht mehr gefährlich werden können. Stellen wir uns wiederum das Gegenteil vor, einen kleinen Raum, in dem sich mehrere Menschen befinden und der nicht gelüftet wird, haben wir auch in Bezug auf die Infektionsgefahr das andere Extrem: Die Situation mit dem höchsten Ansteckungsrisiko. In einem geschlossenen, schlecht durchlüfteten Raum genügt eine Person, die infiziert ist, ohne es zu wissen, um die anderen anzustecken. Im Freien ist dagegen eine Ansteckungsgefahr durch Aerosole selbst bei mehreren Infizierten kaum gegeben, sofern man sich nicht direkt anatmet.

Dieses Wissen können wir nun auf unterschiedliche Alltagssituationen und Aktivitäten anwenden.

Bei welchen Aktivitäten ist die Ansteckungsgefahr am größten?

Sport

Die Infektionsgefahr ist bei Indoor-Sport wie Spinning-Kurs und Gerätetraining vergleichsweise hoch. Das kräftige Atmen, das mit der körperlichen Anstrengung verbunden ist, gleicht in etwa einer Aerosol-Pumpe, mit der eine unwissentlich infizierte Person ihre Viren in die Luft befördert und andere ansteckt. Generell gilt dabei: Je kleiner die Sporträume und je weniger gelüftet wird/werden kann, umso höher ist das Risiko. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, bleibt also noch bei Homeworkouts und Outdoor-Sport.

Shoppen

Auch beim Shoppen gilt: Je geringer das Raumvolumen, umso größer das Risiko. Insofern sind einerseits riesige Märkte oder Kaufhäuser mit hohen Decken unproblematischer als kleine Boutiquen in einer Mall. Andererseits sind die Verkaufsräume mit Waren sicherer als Umkleidekabinen, besonders wenn diese bis zum Boden geschlossen sind. Also: Im Zweifel einfach nach dem Rückgaberecht erkundigen und die Jeans zu Hause anprobieren! 😉

Museen und Sehenswürdigkeiten

Kulturstätten wie Museen und Sehenswürdigkeiten können wir relativ unbesorgt besuchen, da sie in der Regel sehr weitläufig sind. Bei Menschenmassen und sehr engen Räumlichkeiten ist natürlich auch hier wieder Vorsicht geboten.

Ausflüge mit Bus, Bahn, Boot und Flugzeug

Öffentliche Verkehrsmittel wie Bus, Bahn und Flugzeug sind vergleichsweise klein und lassen sich kaum lüften. Insofern ist das Ansteckungsrisiko dort relativ hoch, falls unter den Mitfahrer*innen jemand infiziert und man lange zusammen unterwegs ist. Masken halten zwar größere Tröpfchen auf, Aerosole allerdings nur zum Teil. Eine Bootstour, bei der man sich draußen auf Deck aufhalten kann, ist relativ ungefährlich.

Spielplätze, Strände, Seen, Parks

Strandbesuche, Ausflüge zum Spielplatz oder an einen See sind ebenso ungefährlich wie Picknicks oder Spaziergänge im Park, denn bei all diesen Aktivitäten befinden wir uns draußen. Nur wenn es so voll ist, dass wir dicht an dicht mit anderen sind und zusammengedrängt werden, müssen wir ein hohes Risiko einkalkulieren.

Restaurants

Wer essen oder einen Kaffee trinken gehen möchte, ist gut damit beraten, einen Platz im Freien zu wählen. Auch bei bewusst leer gelassenen Tischen und großzügigem Abstand können sich bei längerem Aufenthalt in einem Restaurant oder Café die Aerosole eines Infizierten in der Luft ansammeln und von anderen eingeatmet werden. Spezielle Filter können diese Gefahr in naher Zukunft eindämmen, so Voshaar.

Gottesdienste

Auch wenn sich im Mai bei einem Gottesdienst einer Baptistengemeinde in Frankfurt zahlreiche Personen mit dem Coronavirus infiziert haben: Gottesdienste und die Ausübung von Religion sind nicht per se gefährlich. Die traditionellen christlichen Kirchen mit ihren super hohen Decken bieten meist relativ viel Raum, in dem sich Aerosole verflüchtigen können. Einrichtungen wie die der Zeugen Jehovas oder auch Gebetsräume anderer Glaubensgemeinschaften stellen demgegenüber ein höheres Risiko dar. Gemeinsames Singen, wie es die Teilnehmer*innen des Gebets in Frankfurt getan hatten, erhöht die Ansteckungsgefahr so oder so.

Vielen Dank, lieber Herr Dr. Voshaar, für das interessante und aufschlussreiche Interview!

sus

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