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Catcalling Diese Frauen wehren sich

Catcalling: Frau zeigt Stopp
© ThomasDeco / Shutterstock
Blöd angemacht zu werden auf der Straße, im Bus, an der Bar, das kennt fast jede Frau. Verbale sexuelle Belästigung, so genanntes "Catcalling", ist demütigend und bedrohlich. Strafbar ist es in Deutschland nicht. Das wollen engagierte Frauen nun ändern.
Sina Teigelkötter

"Hast du Zeit? Wie viel kostest du?" – "Geiler Arsch!" – "Hey, kiss kiss!" Die Worte stehen auf dem Bürgersteig, mit bunter Kreide auf grauen Asphalt geschrieben. Darunter ein Hashtag: #STOPPTBELÄSTIGUNG. Wer auf Instagram unter @catcallsofgermany, @catcallsofmuc oder @catcallsofberlin nachschaut, findet diese und viele andere Sprüche – und die Geschichten dazu. Von jungen Typen, die "Ey, Puppe, zeig deine Titten" für eine angemessene Kontaktaufnahme halten, oder von alten Männern, die "mal schnell unter den Rock gucken" wollen. Dokumentierte Demütigungen, gesammelt von Frauen aus ganz Deutschland.

Sexuelle Belästigung braucht einen Platz im Gesetz

Anzügliche Kommentare, Gesten, Pfeifen oder Kussgeräusche – all das ist "Catcalling". Klingt prägnanter als "verbale und nonverbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum", meint aber dasselbe. Wer mit Frauen wie mit Tieren spricht, sollte 2020 dafür bestraft werden können, findet Antonia Quell. Die Studentin aus Fulda hat eine Online-Petition gestartet, die für "Catcalling" einen Platz im Gesetz fordert. Denn anders als etwa in Frankreich, Belgien oder Finnland ist es bei uns bislang nicht strafbar. In Deutschland kann für sexuelle Belästigung nur belangt werden, "wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt" (§ 184i StGB).

Quell ist das zu eng gefasst. Auch "Catcalling" degradiere Betroffene zu Objekten: "Es ist unser aller Recht zu entscheiden, wann, wo, mit wem und in welchem Ausmaß wir mit einer Person in sexuellen Kontakt treten wollen", sagt sie. "Catcalling ist also nicht einfach nur blöd, sondern greift ein Rechtsgut an, das angeblich vom Gesetz geschützt wird." Über 62 000 Menschen haben ihre Petition bereits unterschrieben. Das Thema bewegt, nicht zuletzt, weil viele selbst betroffen sind: Zwei Drittel aller Frauen wurde auf deutschen Straßen schon hinterhergepfiffen, stellte 2018 das Meinungsforschungsinstitut Ifop fest. Und eine Studie des Bundesfamilienministeriums über "Sexismus im Alltag" ergab: 44 Prozent der befragten Frauen haben sexistische Übergriffe erlebt. Die Hälfte davon fand auf verbaler Ebene statt.

Antonia Quell hat den Catcallern den Kampf angesagt – und wird seitdem von Dankesmails und Medienanfragen derart überrollt, dass die Petitionsbetreuung zeitweise ein Vollzeitjob ist. Besonders im Internet gibt es aber auch viel Gegenwind. "Gerade die Kommentare, die unter die Gürtellinie gehen, zeigen mir, dass noch viel Aufklärung nötig ist", sagt sie. Gern werde "Catcalling" als "kleiner Flirt" bagatellisiert. "Ganz einfache Regel", findet Quell: "Alles, auf das ich nicht mit ‚Danke‘ antworten kann, ist kein Kompliment."

Mehr gesellschaftspolitischen Druck für Gesetzesschärfung

Juristisch gesehen ist die Sache komplizierter: "Catcalling umfasst eine Bandbreite von Phänomenen, die rechtlich ganz unterschiedlich zu bewerten sind", sagt die Juristin Dr. Anja Schmidt, die an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zu "Pornografie und sexueller Selbstbestimmung" forscht. Entsprechend kontrovers werde eine Strafschärfung gerade unter Jurist*innen diskutiert: Erreichen sexualisierte Bemerkungen tatsächlich die Schwelle des Strafwürdigen?

Pfeifen und Kommentare wie "Ey, Süße" seien schwer sanktionierbar und müssten wohl ausgeklammert werden, meint Anja Schmidt. Klar ist für sie aber auch: "Bei dem Thema geht es nicht um ein einzelnes Schimpfwort, sondern um Sexismus in einer männlichen Dominanzkultur." Zwar könne heute schon in bestimmten Fällen der Beleidigungstatbestand (§185 StGB) greifen, der mache aber nicht ausreichend deutlich, dass es um eine diskriminierende Herabwürdigung gehe – die als diskriminierende Beleidigung schärfer bestraft werden müsste. Zudem gebe es Fälle, in denen Frauen massiv verbal oder nonverbal sexuell bedrängt würden. "Deswegen sollten wir einen eigenen Straftatbestand der verbalen sexuellen Belästigung schaffen", sagt Schmidt. Das hätte auch symbolische Wirkung: "Es würde deutlich machen: Eine Herabwürdigung zum Sexualobjekt muss in unserer Gesellschaft niemand hinnehmen." Damit ein solches Gesetz kein "Papiertiger" bleibe, sei es allerdings wichtig, dass die Vergehen auch wirklich angezeigt und verfolgt würden.

Ist die Zeit reif für einen derartigen Vorstoß? Durch die Reform des Sexualstrafrechts 2016 sei der Boden durchaus bereitet, das Bewusstsein für sexualisierte Gewalt sei gestiegen, sagt Schmidt. Für eine Gesetzesschärfung brauche es aber noch mehr gesellschaftspolitischen Druck.

Die Menge der Betroffenen ist einfach zu groß, um sie zu ignorieren

So gesehen kann es also nicht genug Initiativen geben, die "Catcalling" anprangern. Wie die der Reporterin Daphne Ivana etwa, die auf dem Instagram-Kanal Viertes.tv die Rollen tauscht und Männern in Fußgängerzonen hinterherruft, sie seien wohl "gut zu ficken". Oder Noa Jansmas Idee, Selfies mit all denjenigen zu machen, von denen sie alltäglich belästigt wurde – und sie auf ihrem Account @dearcatcallers zu veröffentlichen.

Bei Antonia Quell haben sich schon einige Politiker*innen gemeldet. Wenn "Catcalling" jetzt noch keinen Platz im Gesetz finde, sagt sie, dann sicher in ein paar Jahren: "Die Menge der Betroffenen ist einfach zu groß, um sie zu ignorieren." Bis dahin wird sie wohl noch einigen Ewiggestrigen erklären müssen, wann ein Danke angebracht ist – und wann eher ein saftiges Bußgeld.

Antonia Quell, 20, studiert in Würzburg Medienmanagement. Als sie einmal nachts auf dem Rad von zwei Männern im Auto mit "Willst du nicht was trinken, Süße?" angemacht wurde und ablehnte, riefen diese zurück: "Du dumme Bitch, wir wollten doch nur nett sein." Im Sommer hat sie nun eine Petition gegen verbale Belästigungen gestartet (www.openpetition.de, zu finden unter Suchwort "Catcalling").

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BRIGITTE 26/2020

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