Anzeige

Caroline Rosales "Vereinbarkeit ist die größte Lüge des 21. Jahrhunderts"

Caroline Rosales
© Scarlett Werth
Jedes ihrer Bücher ist ein Kampf gegen Unterdrückung. Ihr Bestseller "Sexuell verfügbar" startet am 8. März zum Weltfrauentag als TV-Serie. Ein Gespräch mit Caroline Rosales über Wege zur Befreiung.
Interview von Karina Lübke

Caroline Rosales, 41, hat mit "Sexuell verfügbar" ein feministisches Memoir verfasst, das 2019 erstmals als Buch erschien. Und sie ist Co-Autorin des Drehbuchs zur gleichnamigen TV-Serie, die jetzt startet: Laura Tonke spielt eine Frau, die von einem Tindermatch angezeigt wird – MeToo mal andersherum. Ihr Ex will ihr daraufhin das Sorgerecht für die Kinder (in der Serie werden sie von Rosales’ beiden älteren Kindern gespielt) entziehen.

Wie immer bei Caroline Rosales, die sich mit ihrem scharfen Blick auf gesellschaftliche Zwänge einen Namen gemacht hat, geht es darum, wie man als Frau und Mutter zu sein oder nicht zu sein hat. Um die weibliche Konditionierung von Kindheit an – Küsschen zu geben, gefällig zu sein, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zum Wohl(gefühl) anderer überschreiten zu lassen. Rosales hat die MeToo-Debatte in Deutschland entscheidend mitgeprägt. Sie hat nicht nur in ihrem Buch "Sexuell verfügbar" sehr offen von ihren eigenen Erfahrungen als Redakteurin im Springer-Verlag berichtet, sondern u. a. auch bei "Lanz", als es 2021 um die Opfer von Machtmissbrauch unter dem damaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt ging. Auch ihr neuer Roman "Die Ungelebten", der Mitte März erscheint, erzählt von der Unmöglichkeit eines selbstbestimmten Frauenlebens in einer Welt, die von Männern beherrscht wird.

BRIGITTE: Alles Gute zum Weltfrauentag! Oder gibt’s da gar nichts zu feiern, wenn an einem Tag im Jahr Weltfrauentag ist – und die anderen 364 sind wieder Weltmännertage?

Caroline Rosales: Im Produktionsprozess der Serie habe ich oft gehört: "Jaaa, aber da hat sich doch schon viel für Frauen getan!" Ich finde, es ist eigentlich alles nur noch schlimmer geworden. Durch die Pandemie und den Backlash für die Mütter ist es zu einer totalen Retraditionalisierung gekommen.

Ist es also immer noch so, dass Frauen ihre mühsam erkämpften Rechte im Kreißsaal wieder abgenommen kriegen?

Absolut! Die Zeitspanne, in der man selbstständig ist, alles selbst entscheiden kann – wann stehe ich auf, wann gehe ich ins Bett, lasse ich was liegen oder räume es weg – dauerte bei mir genau acht Jahre. Mit 20 bin ich zu Hause ausgezogen, mit 28 habe ich mein erstes Kind bekommen. Sobald du Mutter wirst, fängt die Bevormundung durch die Gesellschaft wieder an. Ich war zweimal verheiratet. Bei meiner zweiten Ehe war ich 31 und habe den Vater meiner beiden ersten Kinder geheiratet. Dann war ich vier Jahre alleinerziehend, bevor ich meinen Freund kennengelernt und mit ihm unsere beiden Kinder gekriegt habe.

Wollten Sie immer Kinder haben?

Das war mit 28 eine fixe Idee von mir, eher eine Lifestyle-Entscheidung. Ich hatte studiert und immer viel gearbeitet, da musste jetzt ein völlig neuer Abschnitt her. Ich habe das nicht richtig durchdacht, einfach mal probiert, und das Glück – oder Pech – spontan schwanger zu werden. Wer ahnt schon, dass Krisen und Extremsituationen im Alltag einer Mutter der Dauerzustand sind. Mein verstorbener Freund, der Filmemacher Klaus Lemke, hat immer gesagt: Im Leben hilft nur, wenn man sich von einer Katastrophe in die nächste rettet.

Mittlerweile haben Sie vier Kinder im Alter von zwei, drei, neun und zwölf. Haben Sie durch diese Erfahrung eher mehr oder weniger Verständnis für Ihre Mutter bekommen, was Ihre eigene Erziehung betrifft? Urteilen Sie rückblickend milder – oder im Gegenteil, kritischer und wütender?

Letzteres. Ich habe verstanden, dass man sich seine eigene Kindheit immer schönredet, weil es dann einfacher ist, damit umzugehen. Aber in meiner Kindheit in den 90ern galt noch: Mundhalten, du bist nicht wichtig. Und egal, was passiert ist, die eiserne Regel meiner Mutter war: Eine Mutter entschuldigt sich nicht bei ihren Kindern! Ich habe neulich eine Hose angezogen für ein Fotoshooting, aus Kunstleder und ziemlich eng. Fand ich eigentlich ganz geil. Und da habe ich wirklich die Stimme meiner Mutter gehört, die sich über mich lustig macht.

Was hat die Stimme gesagt?

Das sieht total billig aus, so kannst du doch nicht rausgehen, bist du verrückt! Es gibt Mütter, die sind total narzisstisch und müssen ihre eigenen Töchter immer abwerten. Alles, was meine Pubertät betraf, war immer Anlass zum Spott. Ich habe mich immer klein und schlecht und minderbemittelt gefühlt. In der Fernsehserie habe ich mich dann richtig an meiner Mutter abgearbeitet. Im Buch eher an meinen Schwiegermüttern und ihrer Generation.

In Ihrem autobiografischen Buch "Sexuell verfügbar" haben Sie auch über Ihre Angst geschrieben, nie gut genug zu sein, nie schön genug, nie erfolgreich genug. Sie schreiben: "Ich bin ein Desaster … weil ich meine Erwartungen an mich selbst nicht erfülle, egal wie viel ich tue." Hört das denn nie auf?

In meinen Büchern geht es um die Entmündigung von Frauen. Es hat sich überhaupt nichts geändert. Du hast deine Mutter erlebt, die hat die Wäsche zusammengelegt und den Haushalt geschmissen, durfte nie das Auto benutzen, hatte nicht mal richtiges Haushaltsgeld! Und man sieht diese aufgeklärten Yuppie-Eltern in Prenzlauer Berg, wo der Vater morgens mit dem Fahrradhelm die Kleinen wegbringt, und denkt: Da geht es uns aber heute besser, wir sind so viel emanzipierter – dabei ist alles eine Lüge! Vereinbarkeit ist die größte Lüge des 21. Jahrhunderts. Frauen arbeiten immer mehr, aber verbringen auch immer mehr Quality Time mit ihren Kindern. Sie haben immer weniger Zeit, weniger Geld und immer mehr Aufgaben.

Sie haben zwei Töchter und zwei Söhne. Wenn Sie sich die ideale Zukunft für Ihre Kinder vorstellen, sieht die dann für Ihre Töchter anders aus als für Ihre Söhne?

Nein, und das möchte ich auch gerade in der Serie ausdrücken. Ich träume davon, dass alle ihre Sexualität – ohne anderen zu schaden – frei ausleben und sie selbst sein können. Im Grunde schadet das Patriarchat am Ende Männern wie Frauen.

Wirklich? Wenn es Männern mehr schaden als nützen würde, gäbe es das Patriarchat doch längst nicht mehr.

Vielleicht bin ich naiv, aber auch Jungen leiden ja darunter, diese festgelegten Rollen erfüllen zu müssen. Da ist so viel Druck und Freudlosigkeit.

Dazu die heute über jedes Handy verfügbare Pornografie, die sich schon Jungs auf dem Schulhof als "Aufklärung" reinziehen …

Das ist Gewalt gegen Frauen, erniedrigend, misogyn. Echt grausam, dass Millionen Männer das gucken und dann so auf Frauen blicken – das sollte genauso kritisch beobachtet werden wie manche Videospiele. Ich will in keiner Gesellschaft leben, wo Millionen Männer freien Zugriff darauf haben, wie man eine Frau quält und ihr Gewalt antut. Dagegen mag ich alles was sexpositiv ist. Zum Beispiel gibt es tolle Menstruationsunterwäsche heute, die hätte ich früher auch schon gern gehabt. Es gibt Gleitgele, die riechen gut und es ist Hanf drin – wirkt leicht betäubend, kann man gegen Regelschmerzen auch auf den Tampon machen oder für Analverkehr nutzen. Diese ganze Sex-Wellness, die es heute gibt, auch all diese Toys, die den G-Punkt stimulieren – ich wusste nicht mal, wo mein G-Punkt ist, bevor ich 40 wurde! Das ist alles das Gegenteil von Mainstream-Porno. Alle sollten ein Gespräch mit ihren Söhnen führen und ihnen klarmachen: Wenn du so wie im Porno mit einer Frau Sex hast, erstattet sie sofort Anzeige.

Während Sex als Thema überall präsent ist, geben in Deutschland Frauen bei Umfragen an, sie hätten im Leben fünf Sexualpartner gehabt, Männer kamen auf neun. Scheint das nicht überraschend wenig?

Die Frauen rechnen runter, die Männer hoch. Aber es ist egal, wie viele Partner das vielleicht waren – wichtig ist, dass du jemanden hast, bei dem du dich entspannen kannst und diese ganze Erwartungshaltung loslassen. Bei meinem Freund habe ich erstmals das Gefühl, ich muss nicht als weibliche Performance versaut sein. Falls doch, dann entsteht das aus dem Affekt, nicht als Vorgabe.

Was können wir unseren Töchtern als Rat mit auf den Weg in ihr Liebesleben geben?

Ich wünsche allen Frauen, dass sie nur den Sex haben, den sie haben wollen, und dass sie den nicht nur mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin haben.

Für Ihren neuen Roman "Die Ungelebten" hätten wir der Heldin gewünscht, dass sie sich doch noch befreit hätte. Stattdessen bleibt die doch eher bittere Erkenntnis: Du kannst als Frau, als Tochter und als Mutter nur verlieren. Das Beste, was du rausholen kannst, ist, dass du es nach außen nie so aussehen lässt. Ist das nicht deprimierend?

Doch. Und das soll es am Ende auch sein. Sonst ändert sich ja nie was.

Szenenbild aus Mini-Serie "Sexuell verfügbar"
Szenenbild aus Mini-Serie "Sexuell verfügbar"
© PR

Die Mini-Serie "Sexuell verfügbar" mit Laura Tonke in der Hauptrolle startet zum Weltfrauentag am 8. März in der ARD (Mediathek). Den zugrunde liegenden autobiografischen Text von Caroline Rosales, der weniger schrill, dafür aber umso wütender ist, gibt’s jetzt in einer Neuauflage als Taschenbuch. (288 S., 12,99 Euro, Ullstein)

Das Buch "Die Ungelebten"

Jennifer ist die Frau, die scheinbar alles hat – Schönheit, Reichtum, den Chefsessel in der Firma ihres Vaters geerbt, einen standesgemäßen Ehemann, drei Kinder. Während sie sich an all ihren Rollen als "empowerte" Frau abarbeitet, bleibt sie doch die Marionette ihres Vaters, der als Schlagerproduzent reich und berühmt geworden ist. Als ihn in der MeToo-Debatte eine "seiner" Ex-Sängerinnen wegen Vergewaltigung anzeigt, soll die Tochter ihm helfen, die Frau zum Schweigen zu bringen. Unbestechlicher Rosales-Blick auf die Zwänge der Gesellschaft und eine Heldin, die sich darin verliert. ("Die Ungelebten", 304 S., 22,99 Euro, Ullstein, ab 14. März)

Caroline Rosales, Autorin und Journalistin, hat die MeToo-Debatte in Deutschland entscheidend mitgeprägt. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel