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"Warte nicht mit dem Leben, bis du abgenommen hast!"

Carola Niemann ist Gründerin und Chefredakteurin des "The Curvy Magazine". Was treibt sie an – und was muss sich ändern in der Gesellschaft, damit die Diskriminierung aufhört?

2017 hat Carola Niemann die Website The Curvy Magazine für kurvige Frauen ins Leben gerufen – und war damit so erfolgreich, dass sie es ein Jahr später als Printmagazin an den Kiosk brachte. Was bewegen sie und die Curvy Community? Wir haben mit der Chefredakteurin aus München gesprochen.

BRIGITTE.de: In deinem Magazin finden sich Fashion-Highlights, Sex- und Fitnesstrends, Partylooks ... alles klassische Frauenmagazin-Themen. Unterscheidet sich "Curvy" überhaupt von anderen Frauenzeitschriften?

Carola Niemann: Der Unterschied zu anderen Magazinen besteht vor allem in der Größenpalette – unsere Mode startet bei 42 und geht teilweise bis Größe 60. Ursprünglich wollte ich ein avantgardistisches Magazin machen. Ich habe mich dann aber für die klassische Variante entschieden, weil ich finde, dass Plus-Size-Frauen eine schöne, hochwertige Zeitschrift verdient haben, die sich um Mode dreht.

"Celebrate the Difference" lautet der Untertitel. Sind übergewichtige Frauen "anders"?

Es gibt viele Frauen mit großen Kleidergrößen, aber Models sieht man in diesen Größen eher selten. Wir feiern, dass wir etwas anderes zeigen als bisher gezeigt wurde. Wir möchten reellere Vorbilder schaffen.

Bei euch gibt es keine Diäten – weil sie implizieren, dass man seinen Körper ablehnt, so wie er ist?

Bei uns geht es um Selbstakzeptanz. Das funktioniert nicht, wenn du vorgelebt bekommst, dass du anders sein solltest. Außerdem ist das Leben zu kurz, um ständig über sein Gewicht nachzudenken, man ist doch viel mehr als sein Körper. Ich sage immer: Lebe im Jetzt und warte nicht mit deinem Leben, bis du abgenommen hast. Zieh dir jetzt die knallige Jacke an, die du schon immer tragen wolltest. Dann kannst du immer noch abnehmen, wenn du willst – und sie dir ein paar Nummern kleiner kaufen.

Das Leben ist zu kurz, um ständig über sein Gewicht nachzudenken.

Die Durchschnittsfrau in Deutschland trägt Größe 42 – warum hält sich die 36 trotzdem so hartnäckig als Ideal?

Ehrlich gesagt kann ich das auch nicht erklären. Vielleicht ist das eine Sparmaßnahme der Konzerne, weil sie so weniger Stoff brauchen? Außerdem haben Frauen erst ab einer 38 oder 40 einen unterschiedlichen Körperbau – vielleicht obenrum eine 42 und unten eine 38 oder umgekehrt. Ab einer gewissen Größe ist die Weiblichkeit einzigartig. Vielleicht ist auch das die Herausforderung, der sich die Konzerne im Massenmarkt nicht stellen wollen.

Ab einer gewissen Größe ist die Weiblichkeit einzigartig.

Die Body-Positivity-Bewegung, Stars wie Beth Ditto, Models wie Ashley Graham … immer mehr curvy Frauen stehen im Rampenlicht oder kämpfen für Selbstliebe und körperliche Selbstbestimmung. Aber hat das auch Auswirkungen auf den normalen Alltag?

Es hat sich schon was geändert. Ich sehe heute viel mehr junge, curvy Frauen auf der Straße, die eine Röhrenjeans tragen und keinen langen Mantel drüber. Die zeigen ihre Körper so wie sie sind, und das sind Auswirkungen der Bewegung. Ich finde auch, dass die Frauen heute mehrheitlich solidarischer sind als früher. Die Online-Communitys werden von schlanken Frauen unterstützt, die beiden vom Blog The Skinny and the Curvy One supporten sich gegenseitig. Man ist mit dem Thema heutzutage nicht mehr so allein.

Ihr beschäftigt euch im Magazin auch mit Vorurteilen gegenüber übergewichtigen Menschen. Was regt dich am meisten auf?

Sobald du dick bist, wird geurteilt: "Die ist nur am Fressen", "die ist bewegungslos", "die ist faul", "die macht keinen Sport" und so weiter. Jeder fühlt sich eingeladen, seine Meinung kundzutun – und zwar unaufgefordert.

Was muss passieren, damit übergewichtige Frauen nicht mehr diskriminiert werden?

Wir brauchen mehr Sichtbarkeit in den Medien. Jeder Teil der Gesellschaft muss gespiegelt werden, sonst hat man als Betroffene das Gefühl, nicht vorhanden zu sein. Das ist wie bei älteren Frauen, die kommen als Moderatorinnen oder Schauspielerinnen auch kaum vor. Ich wünsche mir außerdem, dass Frauen mit einer 44 auch eine Auswahl haben. Du kannst dir mit einer schlanken Freundin keinen schönen Shoppingnachmittag machen – du kannst nur in der Ecke sitzen und zugucken, wie sie tolle Sachen anprobiert und dir die drei Teile in der Schwangerenabteilung ansehen ...

Und was ist mit der Sprache? Ist "curvy" nicht ein Euphemismus, ein Drumherumreden um den heißen Brei? 

Wir bezeichnen uns als "curvy", weil unsere Zielgruppe das für sich positiv definiert hat. In den USA und in Großbritannien sind die Frauen selbstbewusster, sie sagen einfach "Ich bin fett." Dort gibt es auch Blogs wie den The Fat Girl Blog oder Fat Girl Running. Deutsche Frauen sind da weitaus sensibler. Ich würde mir aber vor allem wünschen, dass bestimmte Worte nicht mehr negativ konnotiert sind. "Boah, ist die dick!" oder "Ist die dünn!" – mit solchen Bemerkungen wird immer ein negatives Urteil gefällt. Ich fände es gut, wenn die Wertung da rausgenommen werden würde. 

Weitere spannende Themen findet ihr auf unserem Special zur Curvy-Week

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