Anzeige

Burma: "Wir müssen an die Zukunft denken"

Seit Freitag ist BRIGITTE-Mitarbeiterin Cornelia Gerlach in Burma, um über den Einsatz der Welthungerhilfe im Katastrophengebiet zu berichten. Eine Momentaufnahme.

Endlich erzählt jemand, der mit eigenen Augen gesehen hat. Zwei Frauen, ein Mann, die für die Welthungerhilfe im Delta des Irrawaddy unterwegs sind. Eine Woche lang haben sie die Überlebenden mit Notrationen versorgt, jetzt sind sie in die Stadt Yangon zurückgekehrt. Sie haben geduscht, eine Nacht geschlafen und sind nun sie ins Büro der Welthungerhilfe gekommen, um Bericht zu erstatten. Es sind die ersten persönlichen Berichte, seit das Team angefangen hat, im Delta Hilfsgüter zu verteilen.

Seit drei Tagen sind wir in Yangon. Wir sind hier, um über den Nothilfe-Einsatz im Katastrophengebiet zu berichten. Aber wir sitzen in der Stadt mit ihren goldenen Pagoden, ihren wunderschönen Kolonialstilbbauten, ihren längst wieder weitgehend aufgeräumten Straßen fest wie in einem goldenen Käfig. Die Stadt Yangon ist abgeriegelt, Ausländer dürfen die Ausfallsstraßen nicht passieren. Das Internet läuft schleppend und ist zensiert. Die Zeitungen liefern, in groben Rasterpunkten gedruckt, Fotos von den Einsätzen der Armee: Zelte, in Reih und Glied aufgestellt. Der Präsident verteilt Essen an hungernde Kinder. Helikopter auf Landebahnen. Soldaten, die Kartons mit Hilfsgütern ausladen. Aber einen verlässlichen Eindruck von der Situation im Delta liefern sie nicht.

Ebenso wenig wie die CDs mit Videos aus dem Delta, die seit gestern auf der Straße gehandelt werden. Souvenirhändler bieten sie für umgerechnet drei Euro feil, beim Zeitungsjungen auf der Straße kauft sie die lokale Bevölkerung für die Hälfte. Helikopter auf Landebahnen, Männer beim Ausladen. Flussufer, gesäumt von struppigen Bäumen. Wasserleichen. Wer hat sie gefilmt? Wann und wo? Warum und für wen?

Und jetzt sind sie da. Zwei Frauen und ein Mann. Sie wollen dem Nothilfeteam der Welthungerhilfe berichten. Wir haben versprochen, ihre Namen nicht zu nennen und sie nicht im Bild zu zeigen, auch nicht zu sagen, woher sie kommen und wohin sie gehören. Denn die Regierung hat der lokalen Bevölkerung den Kontakt mit der ausländischen Presse bei Strafe verboten. "Wir wollen die Menschen, die für uns arbeiten, nicht noch zusätzlich gefährden", sagt Angela Schwarz, die Programmleiterin. Das Risiko, dass jemand verhaftet wird, sei zu groß. Schleppend kommen die ersten Worte. Der Mann legt eine Liste auf den Tisch. "Hier könnt ihr sehen, wo wir verteilt haben", sagt er. "Wir haben ein Team aufgebaut und den Leuten erklärt, wie so eine Verteilung sein soll." Und dann schweigt er. Sieht auf das Papier in seiner Hand. Sackt zusammen.

Offiziell wollte die Regierung von Myanmar die Katastrophe aus eigener Kraft meistern, für Hilfsorganisationen aus dem Ausland war der Einsatz in den betroffenen Gebieten verboten. Das klassische Katastrophen-Szenario - Expertenteams reisen so schnell wie möglich in die betroffenen Gebiete - konnte also nicht greifen. Was dann? Die Grenzen ausloten, um Menschen zu retten, beschloss die Welthungerhilfe. Wie auch einige andere Organisationen fragten sie bei ihren lokalen Mitarbeitern an, wer bereit sei, kurzfristig ins Delta zu reisen und, wenn möglich, dort Notrationen zu verteilen, als zivile Kraft neben den Militärs. Einzelne waren gesucht, es meldeten sich viele.

Als die drei am vergangenen Montag in das Katastrophengebiet fuhren, dachten sie, dass sie spätestens tags drauf wieder zurück sein würden. Sie waren die Vorhut, sollten herausfinden, was machbar ist. Denn zurzeit sind 15 lokale Mitarbeiter der Welthungerhilfe im Delta tätig, sie arbeiten mit dem nationalen Roten Kreuz, dem Welternährungsprogramm und anderen zusammen und werden von etlichen Freiwilligen unterstützt.

Die drei Rückkehrer legen eine Karte auf den Tisch, zeigen, was sie schon geschafft haben: Fünf Gemeinden im Kreis Bogale sind für die nächsten zwei Wochen mit Reis, Linsen und Öl versorgt. Das sind 30 Dörfer, also 2.500 Haushalte, also 12.500 Menschen. Nach Angaben von Unicef leben 430.000 allein in dieser Region. "Unser Ziel ist es, in den nächsten Wochen 10.000 Haushalte zu erreichen", sagt Büroleiterin Angela Schwarz in die Runde. Schweigen. Und: "Wir müssen anfangen, an die Zukunft zu denken, an den Wiederaufbau, die nächsten sechs Monate, die nächsten zwei Jahre." Noch mehr Schweigen. "Wir tun, was wir können", sagt die eine Frau leise.

Und dann sprudelt es aus ihr hervor: Ganze Dörfer seien ausgelöscht, der Sturm hat die Bäume geknickt, sogar die Pfosten der Häuser entwurzelt, "da ist nichts mehr", sagt sie. Die Überlebenden sind geflohen. Dort, wo sie Schutz finden konnten, wohnen die Flüchtlinge dicht gedrängt. Kaum jemand will bislang zurück. "Der Schmerz sitzt zu tief", sagt einer, "die trauen sich nicht, die klammern sich aneinander."

Besonders schwer betroffen sei die Insel Kyun Thar Yar. Von ehemals 15.918 Bewohnern haben nur 2617 Menschen überlebt. Unter den Toten seien besonders viele Frauen und Kinder. "Männer", erzählt eine der Rückkehrerinnen, "sind auf die Kokosnusspalmen geklettert und haben sich festgeklammert, das hat sie gerettet." Noch seien die Menschen wie paralysiert. Nur die Bewohner aus den Dörfern in der Nähe kommen in die Kreisstadt Bogale, um selbst ihre Hilfe zu organisieren. Mit Booten. Auf dem Landweg ist die Region nicht zugänglich. Mitarbeiter der Welthungerhilfe laden dann Hilfgüter aus dem Zwischenlager, das sie in einem Kloster der Mönche eingerichtet haben. Sie fahren mit raus, um die Verteilung zu organisieren. Wer seine Ration bekommt, muss quittieren. "Deutsche Gründlichkeit", sagt Angela Schwarz.

"Was braucht ihr?", fragen die Mitarbeiter des Büros in Yangon. "Schwimmwesten", sagt der Mann spontan. Ihnen graut vor den Fahrten durch diese Wasserlandschaft. Es ist Regenzeit, die Stürme kommen plötzlich und heftig. "Dann sind da riesige Wellen", erzählt er. Viele der Boote, die der Sturm verschont hat, sind leck. Hinzu kommt: Weil die Ufer leergefegt sind, fällt es auch den Einheimischen schwer, sich zu orientieren. Und: Überall schwimmen Leichen. Zwar hat das Wasser viele hinaus Richtung Meer gespült. Aber niemand zieht bislang aus, um sie zu bergen. "Bei der ersten, zweiten, dritten wird einem noch anders", sagt der Mann, "aber es sind so viele!"

Morgen früh fahren die drei wieder ins Delta zurück. Mit gemischten Gefühlen. Aber immerhin mit einer guten Nachricht: Die Regierung hat bekannt gegeben, dass die Arbeit künftig nicht mehr illegal ist. Die Katastrophe sei vorbei, befand das Ministerium für Gesundheit und Soziales. Jetzt käme die Phase des Aufbaus. Hilfsorganisationen, die im Land registriert ist, dürfen nun auch im Delta arbeiten. Allerdings nur mit ihrem lokalen Personal. Die Ausländer bleiben weiter im goldenen Käfig.

Spendenkonto der Welthungerhilfe

Wenn Sie die Arbeit der Welthungerhilfe in Burma unterstützen wollen, können Sie Spenden auf folgendes Konto überweisen: Welthungerhilfe Stichwort "Nothilfe Myanmar/Birma"Konto 1115Sparkasse KölnBonnBLZ: 370 501 98

Text: Cornelia GerlachFoto: dpa

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel