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Piraten-Chefin Katharina Nocun: "Man muss sich durchbeißen"

Sie ist erst 26 und steht zum ersten Mal als Partei-Chefin vor einer Bundestagswahl. Im Interview spricht Piratin Katharina Nocun über Spaß an der Politik, Liebesbriefe und Kapuzenpullis.

Seit Mai 2013 ist Katharina Nocun politische Geschäftsführerin der Piraten-Partei. Der Posten hat zuvor schon einige Parteimitglieder zerschlissen: Marina Weisband entschied sich nach einem Jahr für eine Politikpause, und Johannes Ponader trat nach vielen Querelen zurück. Katharina Nocun, die in Polen geboren wurde, studiert Politik und Wirtschaft. Ihr Spezialgebiet ist das Thema Datenschutz, über das sie auch ihre Masterarbeit schreibt. Sie bezeichnet sich selbst als "Netzaktivistin".

Katharina Nocun
Katharina Nocun
© Miriam Juschkat

BRIGITTE.de: In wenigen Tagen ist Ihre erste Bundestagswahl als Piraten-Chefin. Wie fühlen Sie sich kurz vor der Ziellinie?

Katharina Nocun: Jemand aus meiner Partei hat mal gesagt: 'Wahlen sind für Kandidaten so, als ob man bis zum Umfallen für eine wichtige Prüfung lernt, die Prüfung selbst schreibt aber jemand anderes.' Ich bin sehr glücklich, Teil einer Bewegung zu sein, die die digitale Revolution positiv gestaltet, ohne vor ihr Angst zu haben. Obwohl ich natürlich auch gespannt bin auf den Wahlabend, bin ich in erster Linie glücklich darüber, dass diese kleine Partei, die vor sieben Jahren in einem Berliner Hackerspace gegründet wurde, am Sonntag echte Chancen hat, den Bundestag aufzumischen.

Die Umfragewerte der Piraten liegen jedoch im Keller. Haben Sie noch Hoffnung, dass Sie die 5-Prozent-Hürde knacken können?

Gut ein Drittel der Wähler sind nach wie vor unentschlossen. Ich denke, nicht wenige Leute werden uns ihre Zweitstimme geben, weil sie sich eine Reform des eingefahrenen politischen Systems und ein kompromissloses Einstehen für Bürgerrechte nach dem NSA-Skandal wünschen.

Die Piraten sind berüchtigt für ihren harschen Umgang mit dem eigenen Führungspersonal. Haben Sie schon die Feuertaufe in Form eines Shitstorms hinter sich?

Nein, nach dem ersten Fernsehauftritt habe ich sogar Liebesbriefe bekommen (lacht). Natürlich kriege ich auch mal Mails, die nicht so freundlich sind. Aber die meisten kommen gar nicht von Parteimitgliedern, sondern von anderen kritischen Menschen. Wenn sie einigermaßen konstruktiv sind, antworte ich auch darauf. Aber einen Shitstorm habe ich noch nicht erlebt.

Andere Piratinnen hatten weniger Glück. Sie kritisieren, dass sie als Frauen in der Partei diskriminiert werden. Wie geht es Ihnen?

Ich denke, da hat sich bei uns einiges getan. Es gab zwar einzelne Männer, die über die sozialen Netzwerke unpassende Kommentare abgelassen haben. Aber ich selbst musste gar nicht reagieren. Sofort haben sich andere Piraten eingeschaltet und Krawallmacher zurechtgewiesen. Es ist ein Bewusstsein entstanden, wie wichtig Respekt und Zivilcourage sind. Es trauen sich mehr Leute, andere zu verteidigen und die Eskalation von Diskussionen zu verhindern.

Haben Sie das Gefühl, in Ihrer neuen Position angekommen zu sein?

Am Anfang war es sehr aufregend und ungewohnt. Kurz nach der Wahl hatte ich einen Pressetermin nach dem anderen. Einmal waren es 22 Gespräche in 24 Stunden. Da kann man irgendwann nur noch aus dem Bauch heraus antworten, was ich aber ganz gut finde. Inzwischen habe ich das Gefühl, in die Position reingewachsen zu sein. Das liegt auch daran, dass wir aktuell mit dem NSA-Skandal eines der Themen auf der Agenda hatten, deretwegen ich in die Piratenpartei eingetreten bin. Ich habe jetzt die Chance, Vertretern der Innenpolitik, die sich in den letzten Jahren für eine Einschränkung von Bürgerrechten eingesetzt haben, mal ins Gesicht zu sagen, was ich davon halte. Nämlich dass hier die Zukunft einer ganzen Generation verspielt wird. Das macht mir Spaß.

Dafür, dass der NSA-Skandal so eine Steilvorlage für die Piraten ist, kriegt man von Ihnen wenig mit. Wo blieb der Aufschrei?

Es ist schon einiges passiert. Es gab Demonstrationen, Ende Juli etwa eine bundesweite Demo, an der sich die Piratenpartei beteiligt hat. Wir haben Klagen eingereicht und bundesweit Verschlüsselungspartys organisiert. Wir haben Petitionen gestartet und bereiten derzeit weitere Aktionen vor. Es brodelt in der Partei, und es gibt viel Tatendrang. Seitdem klar geworden ist, dass die Geheimdienst-Abkommen auch von SPD-Vertretern unterschrieben worden sind, ist es leider sehr ruhig um das Thema geworden. Alle Regierungen, die seit 2001 an der Macht waren, haben Bürgerrechte abgebaut.

Was fordern Sie von der Regierung bezüglich Prism, dem Überwachungsprogramm der NSA?

Dass sie die Fakten einmal auf den Tisch legt und das Versteckspiel beendet. Es kann nicht sein, dass nach Salamitaktik nur Stück für Stück rauskommt, wer was gewusst hat. Wir brauchen außerdem einen Whistleblower-Schutz und einen Untersuchungsausschuss auf EU-Ebene. Diese Art von Überwachung muss grundsätzlich verboten werden und jegliche Zusammenarbeit mit US-Diensten sollte aufgekündigt werden.

Und was halten Sie davon, dass Angela Merkel kürzlich das Internet als "Neuland" bezeichnete?

Ich habe die Politik der Union genau verfolgt und gesehen, wie oft bei der Freiheit im Netz in die Grundrechte eingegriffen wurde. Ich denke, man weiß ganz genau, was man da tut. Es ist natürlich bequem zu sagen, dass man sich nicht so gut auskannte. Aber das Internet ist auch nur ein Medium. Eigentlich geht es doch darum, das Grundgesetz ins digitale Zeitalter zu retten. Dass Angela Merkel sich hier nicht zum Grundgesetz bekennt, ist bitter.

Wie reagieren Politiker der etablierten Parteien auf Sie? Fühlen Sie sich ernst genommen?

Das Gefühl, nicht für voll genommen zu werden, kenne ich gut aus meiner Zeit in der Bürgerrechtsbewegung. Ich war schon mit Anfang 20 oft auf Kongressen, um die Organisationen zu vertreten. Und gerade die männlichen, älteren Politiker haben mich als junge Frau von oben herab behandelt. Das geht mir auch heute noch ab und zu so. Da muss man sich durchbeißen und klarmachen, dass man schon Köpfchen hat. Hier brauchen wir einen Wandel in der Politik. Alle wünschen sich, dass sich mehr junge Leute in den Parteien engagieren. Dann muss man sie auch ernst nehmen.

Newcomer fallen auch auf, weil sie den gängigen Verhaltenskodex noch nicht beherrschen. Haben Sie sich schon angepasst?

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich selbst nach außen wirken will. Mein Fazit: Ich wurde deshalb gewählt, weil ich so bin, wie ich bin. Also verstelle ich mich auch nicht. Ich bin nicht der Typ, der sich immer aufbrezelt, ich trage immer noch Hosen und Kapuzenpullis. Auch meine Sprache will ich nicht verändern, denn gerade von den Politikerfloskeln sind viele Leute genervt. Der Mehrwert der Piraten ist ja gerade, dass sie nicht so angepasst sind und von den etablierten Politikern auch mal klare Aussagen fordern.

Aber klare Aussagen sind auch nicht gerade die Spezialität der Piraten. Kritiker vermissen bei Ihrer Partei eine deutliche inhaltliche Linie.

Die Piraten-Partei hat sich bei ihrer Gründung vor allem auf zwei Schwerpunkte konzentriert: Bürgerrechte und Urheberrecht. Auf diesen Gebieten machen wir durchaus klare Aussagen und zwar viel klarer, als es die etablierten Parteien tun. Von diesen Schwerpunkten aus sind wir dann langsam thematisch in die Breite gewachsen. Ich finde es vollkommen ok, wenn eine Partei sagt: Daran arbeiten wir noch. Politik ist ein Prozess, und Wahlprogramme zeigen unsere Zwischenbilanz, auf der man aufbauen kann.

Interview: Michèle Rothenberg

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