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Brustkrebs Diese Frauen lehnen eine Rekonstruktion ab – und kritisieren ihre Ärzte

Brustkrebs: Diese Frauen lehnen Rekonstruktion ab – und kritisieren ihre Ärzte
© mediamasmedia / Shutterstock
Bei einigen Frauen mit Brustkrebs müssen die Brüste operativ entfernt werden. Immer mehr Betroffene verzichten auf eine anschließende Rekonstruktion – und stoßen auf Kritik seitens der Ärzt:innen.

Kim Bowles litt an Brustkrebs im dritten Stadium. Die einzige Chance, sie davon zu heilen, war die Amputation ihrer Brüste. Sie willigte ein. Nach dem chirurgischen Eingriff betrachtete sie ihren Körper. Wo einst ihre Brust war, hing nun leere, scheinbar überschüssige Haut. Sie wurde wütend. Aber diese Operation rettete ihr Leben.

Für Kim stand fest: Sie möchte auf Brustimplantate verzichten; kein Silikon, weder Eigenfett noch -haut. Statt der Rekonstruktion wünschte sie sich eine flache Brust. Es ist ihr Körper, ihre Entscheidung.

"Mein Chirurg war ein Motherfucker!"

Sie teilte ihren Entschluss dem Chirurgen mit, der ihre Hautlappen – die Reste ihrer einstigen Brust – wegschneiden sollte. Sie legte sich unters Messer. Als sie wieder aufwachte, konnte sie nicht fassen, was sie im Spiegel sah: Eine Frau mit rekonstruierten Brüsten. "Mein Arzt hat sich einfach darüber hinweggesetzt, was ich ihm aufgetragen habe. Einfach so, als ich unter Narkose auf dem OP-Tisch lag. Motherfucker!", erzählt Kim in der amerikanischen Cosmopolitan. Ist das ein neuer Fall von Sexismus in der Medizin?

Laut der American Cancer Society erkranken jährlich etwa 266.000 Frauen an Brustkrebs – allein in den USA. Etwa 100.000 von ihnen überleben nur mit einer Mastektomie, also der Entfernung von Brustgewebe.

Immer mehr Betroffene verzichten auf eine Rekonstruktion

Obwohl es bislang üblich war, dass Frauen sich anschließend eine künstliche Brust implantieren lassen, entscheiden sich immer mehr Betroffene dafür, "flach", also ohne Rekonstruktion, durchs Leben zu gehen. Eine jüngst veröffentlichte Studie belegt, dass sich inzwischen knapp 25 Prozent aller Betroffenen, bei denen beide Brüste amputiert wurden, gegen eine Rekonstruktion entscheiden. Unter jenen Frauen, bei denen bloß eine Brust entfernt wurde, sind es sogar ca. 50 Prozent.

Die US-Chirurgin Patricia Clarc, auf Brustkrebs spezialisiert, kennt die Gründe: "Viele Frauen tun es aus Bequemlichkeit, andere sind Athletinnen und viele Frauen wollen einfach keine künstlichen Implantate haben – sie wollen so einfach und natürlich bleiben wie nur möglich." Zudem heilt die Brust nach der Mastektomie besser, wenn sie nicht direkt wieder "aufgefüllt" wird. Brustimplantate führen häufiger zu Folgeoperationen oder Infektionen, als der Verzicht darauf.

Chirurgen ignorieren Wünsche der Patientinnen

Blöd nur, wenn sich die Chirurgen über die Wünsche der Patientinnen hinwegsetzen. Gayle Sulik, Gründerin des Breast Cancer Consortium und Autorin des Buches Pink Ribbon Blues: How Breast Cancer Culture Undermines Women's Helath, sagt: "Meine Recherchen ergaben, dass Frauen komplett überrascht sind über das Ergebnis, das sie vorfinden, wenn sie nach der OP erwachen."

Zum einen gibt es Fälle, bei denen Ärzte die Frage nach der Rekonstruktion gar nicht mit den Patientinnen besprechen, sondern ihre Brüste einfach ungefragt bei der OP aufbauen. In vielen anderen Fällen besprechen Ärzte mit den Betroffenen bloß die Rekonstruktionsmöglichkeiten – und keinesfalls die Option, "flach" zu bleiben.

Und auch in den Fällen, in denen die Chirurgen den Wunsch der Frau befolgen, erlebt die Patientin häufig dennoch eine Überraschung: Ihre abgeschnittene Brusthaut wird speziell aufbewahrt – "für den Fall, dass sie sich doch noch umentscheiden sollte und sich doch eine Rekonstruktion der Brust wünsche."

Die Nachteile einer großen Brust

Kim Bowles war nie zufrieden mit ihren von Natur aus großen Brüsten. Sie fühlte sich unwohl mit der ungewollten Aufmerksamkeit, die sie bei Männern erregte. Hinzu kommt: Sie liebt Sport. Sie liebt es zu schwimmen, zu laufen – ihre großen Brüste hielten sie zurück.

Der Schritt von einer XL-Brust zu einer flachen Brust mag riesig erscheinen. Doch für Kim schien es wie eine Befreiung. Sie könnte sich freier bewegen, rennen, schwimmen. Als Kim sich im Internet über das "Flachsein" informieren wollte, fand sie neben Erfahrungsberichten auch etwas ganz anderes: Facebook-Gruppen (z.B. Young Survival Coalition oder Flat & Fabulous), in denen Frauen davon berichten, wie ihnen eine Rekonstruktion der Brust förmlich aufgezwungen worden ist von ihrem Chirurgen.

Auch eine schlimme Variante: Wenn die überschüssige Brusthaut nicht vollständig entfernt wurde, sondern sie wie Hautlappen nach der Operation herunterhängen.

Kim ging erneut zu ihrem Chirurgen, nahm ihren Ehemann als Zeugen mit, und bestand auf eine schriftliche Vereinbarung, wie ihre Brust nach der OP auszusehen habe – nämlich vollkommen flach, ohne Implantate, ohne Hautfetzen. Sie erklärte dem Arzt: "Ich will nicht daran erinnert werden, was ich verloren habe. Ich will komplett flach sein – ohne irgendwelche Extras." Kims Großmutter hatte ebenfalls Brustkrebs. Und auch sie hat sich dazu entschieden, flach zu bleiben. Ein Vorbild für Kim.

Die Welt der Chirurgie ist paternalistisch

Clara Lee, Professorin für plastische Chirurgie an der Ohio State University, ist der Meinung: Die Welt der Chirurgie ist paternalistisch. Weiblichkeit und weibliche Sexualität ist stark an Brüste gekoppelt. Da passt der Wunsch einer Frau, "flach" zu leben, nicht ins Weltbild der Chirurgen hinein. "Viele Chirurgen wissen auch gar nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn eine Frau weiß und sagt, was sie wirklich will und erwartet", sagt Lee.

Eine Auswertung des American College of Surgeons ergab, dass bloß 15 Prozent der Chirurgen und nur 13 Prozent der plastischen Chirurgen Frauen sind. Es gibt Fälle, bei denen Betroffene berichten, dass

  • ein Chirurg sie abends vor der OP nochmal anrief und anflehte, ihre Entscheidung gegen eine Rekonstruktion bitte zu überdenken.
  • ein Chirurg einer Patientin zu rekonstruierten Brüsten riet, dass sie "flach" niemals einen Mann zum Heiraten finden würde.
  • ein Chirurg der Betroffenen sagt, sie sei doch zu jung, um auf eine Brust zu verzichten.

"Beleidigend, demoralisierend, traumatisierend"

Ein weiterer Grund für die Bevorzugung einer Brust-Rekonstruktion statt der Flachmachung, ist schlicht und ergreifend die "künstlerische" Komponente. Brust-Chirurgen fokussieren sich auf die Kreation einer perfekt geformten Brust, statt einer perfekten flachen Brust. Manchmal sind Ärzte auch nicht geübt darin, eine Brust "flach" zu gestalten.

Kims Fazit zu diesem Thema: "Wenn du Krebs bekommst, liegt nichts mehr unter deiner Kontrolle. Die einzige Sache, die ich beeinflussen konnte, war, wie meine Brust nach der OP auszusehen hat. Wenn jemand diesen Wunsch einfach übergeht, ist es beleidigend, demoralisierend und traumatisierend."

Übrigens: Hier erfährst du, welche Brustkrebs-Symptome es gibt.

kao

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