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Britta Ernst Wie kann man Lehrkräfte für sexualisierte Gewalt sensibilisieren?

Britta Ernst: Britta Ernst mit weißer Bluse und grauem Blazer
© imago images
Ein neues Video-Projekt sensibilisiert Pädagog:innen für die Signale sexueller Gewalt – das gibt ihnen mehr Handlungssicherheit, sagt Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst.

Jaron, etwa zehn Jahre alt, sitzt unsicher auf seinem Platz. Am Unterricht beteiligt er sich kaum noch, gegenüber Mitschüler:innen flippt er oft aus, am Hals hat er einen roten Fleck. Seine Lehrerin setzt sich zu ihm und beginnt feinfühlig zu fragen, was er hat. Sie erkennt recht schnell: Dieses Kind verhält sich wie ein Missbrauchsopfer. Und nun weiß sie, was zu tun ist.

Brigitte: Diese Szene ist Teil der Video-Schulung "Was ist los mit Jaron?", die Missbrauchsexpertinnen und -experten gemeinsam mit dem Bund und den Kultusbehörden der Länder entwickelten. Weiterbildung zu diesem Thema auf einen Klick – das ist neu, oder?

Britta Ernst: Neu und auch länderübergreifend. Zu diesem einfach zu handhabenden Onlinekurs haben bundesweit alle Zugang, die an den Schulen arbeiten, also rund eine Million Lehrende und Erziehende sowie die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen. Praktisch ist natürlich, dass man an der Schulung teilnehmen kann, wenn man Zeit hat, sie ist übrigens als Fortbildung anerkannt und kostenfrei.

Missbrauchssignale zu erkennen ist schwierig …

Gerade darum ist es uns so wichtig, Schulen zum Ort der Prävention gegen sexuelle Gewalt zu machen. Alle, die unterrichten, sind fast täglich in Kontakt mit ihren Schülern und Schülerinnen. Sie können Veränderungen also wahrnehmen, wenn sie wissen, welche Veränderungen häufig auch Reaktionen auf sexuellen Missbrauch sein können.

Wie wird dieses Wissen vermittelt?

Wer an dieser digitalen Schulung teilnimmt, bewegt sich virtuell durch schulische Alltagssituationen und bekommt dabei eine Reihe von Anleitungen vorgespielt, die Handlungssicherheit geben: Wie spricht man den Schüler oder die Schülerin sensibel an? Wie tastet man sich an das Thema ran, wenn einem etwas seltsam vorkommt? Wie reagiert man auf beharrliches Schweigen oder auf offensichtliche Scham, auf Angst oder Aggression?

Jugendliche Wut kann so heftig sein, dass sogar erfahrene Lehrkräfte lieber vorm Gespräch flüchten.

Zum einen gehört die körperliche und seelische Unversehrtheit von Schülern und Schülerinnen zum Auftrag von Schule. Zum anderen wurden zwei verschiedene Kurse konzipiert – der eine für Grundschulen, der andere für weiterführende Einrichtungen. Beide Module ähneln sich, greifen aber die altersspezifischen Verhaltensweisen auf. So betreffen Selbstverletzungen als Ausdruck von psychischen Problemen eher Jugendliche als Kinder.

Was macht eine Pädagogin, die sich von der Aufgabe überfordert fühlt?

Die Schulung ermutigt, sich Rat und Unterstützung zu holen. Die Videos geben Antwort auf die Frage, wann externe Expertinnen und Experten in Beratungsstellen und Jugendämtern eingeschaltet werden sollten. Der langjährige Missbrauchsexperte Johannes-Wilhelm Rörig, der das Projekt angeschoben hat, sieht darin sogar die Chance, eine Art Frühwarnsystem zu etablieren.

Der Lockdown 2020 führte zum Anstieg sexueller Gewalt: 16 921 Kinder wurden laut Polizeistatistik Opfer von Übergriffen, sechs Prozent mehr als 2019. War das Anlass, diese Schulung zu konzipieren?

Sexuelle Übergriffe gab es bereits vor der Pandemie erschreckend viele: Man geht statistisch gesehen von ein bis zwei Opfern in jeder Klasse aus. Und durch Corona gibt es einen weiteren Anstieg.

"Was ist los mit Jaron?" dauert vier Stunden. Ist das genug für eine intensive Schulung?

Die zentrale Botschaft an die Lehrkräfte lautet: Es ist immer verkehrt, nichts zu tun. Dieses Projekt ist ein Baustein von vielen. Denn in jedem Bundesland gibt es eine Reihe von etablierten Schutzmaßnahmen.

Britta Ernst Die SPD-Politikerin und gebürtige Hamburgerin ist seit September 2017 Ministerin für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg, zu Hause ist sie seither in Potsdam. 2021, als Präsidentin der Kultusministerkonferenz, förderte sie zusammen mit dem langjährigen Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig die digitale Schulung: "Was ist los mit Jaron?"

Brigitte

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