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BRIGITTE-Studie 2009: "Diese Frauen machen keinen Rückzieher"

Wie haben sich die Einstellungen junger Frauen im Krisenjahr verändert? Prof. Jutta Allmendinger, Leiterin der neuen BRIGITTE-Studie "Frauen auf dem Sprung. Das Update", über die brisanten Ergebnisse.

Sie wollten viel, die jungen Frauen: Job und Partnerschaft, Kinder und Verantwortung. Die BRIGITTE-Studie "Frauen auf dem Sprung" sorgte 2008 für große Aufregung. Nur eine Momentaufnahme? 18 Monate später haben wir nachgefragt: Einstieg in den Beruf, Wirtschaftskrise, Kinder kriegen, neue Freundschaften - wie verändert das die Frauen? Bleiben sie so selbstbewusst? Oder stecken sie zurück? Werden sie ängstlich? Oder starten sie jetzt richtig durch? BRIGITTE sprach mit Studienleiterin Prof. Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung über die brisanten Ergebnisse.

Fotoshow: Die BRIGITTE-Studie 2009 in Zahlen

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BRIGITTE: Neue persönliche Erfahrungen und eine weltweite Finanzkrise - wie hat sich das auf die Einstellung der jungen Frauen ausgewirkt?

Prof. Jutta Allmendinger: Das Selbstbewusstsein dieser jungen Frauen ist nach wie vor ungebrochen, ihre Erwartungen an die Männer sind noch klarer geworden. Überraschend fand ich, dass sie noch kompromissloser sind - und zugleich sehr zufrieden. Und interessanterweise bringen Kinder ihr Leben nicht so stark durcheinander, wie sie befürchtet hatten.

BRIGITTE: Ein häufig geäußerter Kritikpunkt an unserer ersten Studie war: "Wenn die erst mal das erste Kind bekommen. . . "

Prof. Jutta Allmendinger: Ja, diese Frage hat uns auch interessiert. Deshalb haben wir die Studie wiederholt und die Alterseffekte untersucht. Wir konnten klar feststellen: Die Frauen machen keinen Rückzieher, im Gegenteil. Das können wir deshalb sagen, weil einige Frauen mittlerweile Kinder bekommen, andere einen Job angefangen oder gewechselt haben, manche Frauen inzwischen umgezogen sind. Wir können also die Wirkungen jener Lebensereignisse beobachten, von denen man gemeinhin sagt, dass sie die Einstellungen von Menschen verändern.

BRIGITTE: Die jungen Frauen wurden im März und April 2009 befragt. Das heißt, sie haben die Pleite von Lehman Brothers und die Bankenskandale in Deutschland mitbekommen. Welche Rolle spielt die Krise in den Befragungen?

Prof. Jutta Allmendinger: Zum Zeitpunkt der Erhebung war die Krise in Deutschland schon angekommen - und sie taucht in den Fragen und Antworten deutlich auf. Es hat eine starke Politisierung der Frauen stattgefunden. Mehr als die Hälfte der Frauen, die dies zum Zeitpunkt unserer ersten Befragung Ende 2007 noch entschieden ablehnten, können sich inzwischen vorstellen, an Unterschriftensammlungen, Streiks oder Herstellerboykotts teilzunehmen. Einige von ihnen haben das bereits getan. Die Frauen erleben eine veränderte Welt - und reagieren darauf. Fast die Hälfte kann sich heute vorstellen, gesellschaftlich aktiv zu werden. Diese Bereitschaft, den Mund aufzumachen, sich auch politisch zu engagieren, zeugt von Verantwortungsgefühl. Das ist ein enormer Umbruch.

BRIGITTE: Trotz dieser Politisierung stehen die Parteien nicht gerade hoch im Kurs.

Prof. Jutta Allmendinger: Was die jungen Leute interessiert, was für sie wichtig ist, finden sie tatsächlich nicht bei den Parteien. Aber politisches Handeln umfasst alles, was man zur Verbesserung einer Situation tut - und dazu braucht man nicht den Weg über die Parteien. Und die Tatsache, dass sich ihre Angst vor politischen Unruhen sogar leicht verringert hat, sehe ich auch als implizites Lob an die Politik, die ja doch die Fähigkeit zum Krisenmanagement gezeigt hat. Zum Beispiel mit der verlängerten Zahlung von Kurzarbeitsgeld, das im Moment Ruhe schafft.

BRIGITTE: Arbeitsplätze sind in Gefahr, Banken gehen pleite, Sicherheiten geraten ins Wanken. Macht das den Frauen Angst?

Die jungen Frauen sehen sich als Gewinnerinnen der Krise.

Prof. Jutta Allmendinger: Um den eigenen Arbeitsplatz sorgen sie sich weniger, die Angst vor Massenarbeitslosigkeit jedoch hat sich deutlich erhöht. Aber ich möchte hier nicht von Angst sprechen, eher von einer erhöhten Sensibilisierung. Die jungen Frauen sind alarmiert, sehen, dass die Gefahr einer Massenarbeitslosigkeit real ist, und stellen sich der Gefahr. Sie schließen daraus, dass es umso wichtiger ist, sich zu bewegen - erwerbstätig zu sein, sich fortzubilden. Trotz der problematischen Situation auf dem Arbeitsmarkt: Die Frauen wissen, dass sie gebraucht werden, sie registrieren, wie über Fachkräftemangel diskutiert wird - und fühlen sich eher als Gewinnerinnen der Krise.

BRIGITTE: Auch hier gilt: Ihre eigenen Chancen und Möglichkeiten empfinden sie als gut, die Gesellschaft insgesamt aber als ungleich. Und das hat sich seit der letzten Befragung verstärkt. Wir haben ihnen wieder Bilder vorgelegt, die unterschiedliche Verteilungen von Macht, Einfluss und Verantwortung zeigen. Deutlich mehr als in der ersten Befragung haben sich für das Bild einer Pyramide entschieden, die eine ausgeprägte Chancen-Ungleichheit zeigt. Erwarten diese Frauen, dass die Zusammenbrüche der Systeme ihnen eine Chance bieten könnten?

Prof. Jutta Allmendinger: Zugleich ordnen sich die Frauen selbst in der Pyramide höher ein als noch vor zwei Jahren. Sie glauben an ihre eigene Kraft, nehmen aber auch die sozialstaatlichen Veränderungen und ihre Folgen wahr.

BRIGITTE: Was tun sie, um auf der Siegerseite zu bleiben? Stecken sie zurück, um Risiken in harten Zeiten zu vermeiden?

Prof. Jutta Allmendinger: Im Gegenteil, die Frauen sind noch sehr viel kompromissloser geworden. Nur noch 17 Prozent würden für den Partner den Beruf wechseln, 2007 waren es noch 37 Prozent. Und für den Liebsten umziehen, dazu waren vor zwei Jahren noch 86 Prozent der Befragten bereit, jetzt sind es nur 65 Prozent. Auf Kinder verzichten, weil der Partner das nicht will? Das käme nicht einmal für jede zehnte infrage. Die Frau, die für den Partner auf ihre Erwerbstätigkeit verzichten würde, die gibt es quasi nicht mehr.

BRIGITTE: Sind die Frauen auch so kompromisslos, wenn es um Kinder geht?

Prof. Jutta Allmendinger: Nein, Kinder haben eine klare Priorität. Nach wie vor ist der Kinderwunsch extrem hoch. Und für ihre Kinder würden die Frauen auch Kompromisse eingehen. Fast die Hälfte würde auf einen beruflichen Aufstieg verzichten oder Einkommensverluste hinnehmen. Ein Drittel würde fürs Wohl der Kinder den Job wechseln. Die Frauen sind da sehr fürsorglich - und sehr realistisch. Sie sehen durchaus, dass Job und Kind sich heute besser vereinbaren lassen, machen dabei aber auch immer wieder die Erfahrung, dass einiges eben noch nicht geht oder der Verbesserung bedarf.

BRIGITTE: Kinder haben Priorität, aber die Frauen verlieren nicht aus dem Blick, was ihnen sonst wichtig ist. Sie sagen nicht: "Ach, ich habe einen schönen Job, da kann ich mich nicht um ein Kind kümmern." Die für Frauen geltenden Verrechnungsmodelle "viel Arbeit, wenige Kinder" oder "viele Kinder, wenig Arbeit" funktionieren nicht mehr. Die Frauen sind für Kinder zu vielem bereit, aber sie wollen alles: Zeit für den Nachwuchs, den Beruf, für den Partner und für die Freunde. Das klingt nachvollziehbar, aber auch anstrengend.

Prof. Jutta Allmendinger: Die Verrechnungslogik, die unsere klassischen Familienmodelle prägt, scheint zu erodieren. Es kommt eher zu getrennten Bereichen, die alle gleichermaßen wichtig sind. Darauf müssen wir uns einstellen.

BRIGITTE: Sind junge Frauen im Job bereit, Zugeständnisse zu machen?

Prof. Jutta Allmendinger: Ganz und gar nicht: Für einen Job alles aufgeben - kommt nicht in Frage. Sie würden allenfalls beim Einkommen Abstriche machen. Aber umziehen, Freunde vernachlässigen, auf eine Partnerschaft oder Kinder verzichten: Dazu sind heute weniger Frauen bereit als bei unserer letzten Untersuchung. Die Entscheidungen hängen aber sehr von den Umständen ab. Da wird genau abgewogen: Wo stehe ich, was ist gut für die Kinder, für mich, für uns, was können wir uns leisten? Und dann werden pragmatische Rechnungen aufgemacht.

BRIGITTE: Sie ducken sich also nicht weg?

Prof. Jutta Allmendinger: Nein, wohin sollten sie sich auch ducken? Unter die Krawatten der Männer? Mit dem geänderten Unterhaltsrecht bietet auch die Ehe keine Garantie mehr auf finanzielle Sicherheit. Und in den letzten beiden Jahren wurde öffentlich viel über die neue Armut diskutiert, die wenigsten glauben, dass die gesetzliche Rente noch sicher ist.

BRIGITTE: Wie enttäuscht oder zufrieden sind die Frauen mit ihrem Leben angesichts der verschärften Rahmenbedingungen?

Prof. Jutta Allmendinger: Die Zufriedenheit der Frauen im Hier und Jetzt hat zugenommen.

BRIGITTE: Das ist ja erstaunlich . . .

Von den viel beschworenen egoistischen Karrierefrauen keine Spur.

Prof. Jutta Allmendinger: Unsere Fragen dazu zielten nicht nur auf das politische und wirtschaftliche Geschehen, sondern auf die Lebenssituation im Allgemeinen, also auch auf Familie und die eigene Arbeit. Wir haben bewusst die Frauen mit ihren Antworten bei der letzten Befragung konfrontiert, daher erhielten wir sehr verlässliche Ergebnisse. Über 80 Prozent geben an, dass ihre Zufriedenheit mit ihrer Lebenssituation gleich geblieben oder sogar gestiegen ist. Sie fühlen sich anerkannt, haben viele Kontakte, Freundinnen und Freunde, denen sie vertrauen. Sie können mitreden und fühlen sich unabhängig - von ihren Eltern und von ihrem Partner. Aufgewachsen sind sie in Friedenszeiten und noch dazu in einer reichen Nation, sie wissen auch ihren Bildungsreichtum zu schätzen. All das schwingt natürlich mit bei dieser positiven Bilanz.

BRIGITTE: Aber wie passt das zusammen: einerseits diese starke Sensibilisierung für die Auswirkungen der Krise und andererseits eine so hohe Zufriedenheit?

Prof. Jutta Allmendinger: Die jungen Frauen sind nicht unmittelbar betroffen, ihre Arbeitslosenquote liegt niedriger als vor anderthalb Jahren. Sie unterscheiden sehr klar: "Mir geht's gut. Aber um mich herum passiert vieles, da muss ich wachsam sein. In dieser Situation sind mein Verantwortungsgefühl und mein politisches Engagement gefordert." Von den viel beschworenen egoistischen Karrierefrauen also keine Spur. Dazu passt, dass sie ihre Zufriedenheit in zehn Jahren etwas geringer einschätzen als die gegenwärtige. Das heißt, die jungen Frauen sind sich bewusst, dass die Lasten der Krise im Moment für sie tragbar sind, aber in der Zukunft große Auswirkungen haben werden.

BRIGITTE: Lässt sich feststellen, welche Lebenslage die Frauen besonders zufrieden macht?

Prof. Jutta Allmendinger: Sehr interessant ist, dass bei Frauen, die zwischen den beiden Befragungen Kinder bekommen haben, die Zufriedenheit besonders gestiegen ist. Das gilt auch für Männer, die Vater geworden sind.

BRIGITTE: Sehr ermutigend. Wie erklären Sie das?

Prof. Jutta Allmendinger: Es scheint, dass kinderlose Frauen und Männer das Dasein als Mutter oder Vater dramatisieren, sie stellen sich alles schrecklich kompliziert und anstrengend vor. Sie rechnen mit gesellschaftlicher Ächtung, erwarten, dass es schwierig wird, Job und Kind unter einen Hut zu bringen. Und wenn sie sich dann doch für Nachwuchs entscheiden, stellen sie fest: "Da geht einiges!" Sie sehen, wie viel inzwischen möglich ist, und treffen auf gleichgesinnte Eltern und Mitstreiter. Das macht Mut, für mehr Unterstützung zu streiten.

BRIGITTE: Eine spannende Erkenntnis angesichts der stagnierenden Geburtenrate . . .

Prof. Jutta Allmendinger: Allerdings, zumal der Kinderwunsch ja ungebrochen hoch ist. Aber dieses Auseinanderklaffen der Einstellungen von Eltern und Kinderlosen ist fatal. Ich fände es wichtig, die negative Erwartungshaltung auch politisch aufzugreifen. Man sollte transportieren, dass es gar nicht so schwierig ist, mit Kindern zu leben, und nicht gleichzeitig allzu sonnige Bilder malen, wie es Politiker seit einigen Jahren tun. Ich glaube, wir brauchen eine neue Ehrlichkeit, damit die beiden Gruppen nicht noch mehr auseinanderdriften.

BRIGITTE: Es heißt immer, dass Akademikerinnen weniger Kinder bekommen als nicht so gut ausgebildete Frauen. Bildet sich diese Tendenz auch in der Studie ab?

Der Geldbeutel des Partners interessiert die Frauen am wenigsten.

Prof. Jutta Allmendinger: Beim Kinderwunsch ergibt sich so gut wie kein Unterschied. Aber tatsächlich haben junge Akademikerinnen im Moment weniger Kinder als Frauen aus anderen Bildungsstufen. Weil sie vor größeren Problemen stehen: An den meisten Unis fehlen Angebote, auch in Teilzeit zu studieren, und die Möglichkeit, Vorlesungen und Seminare flexibel zusammenzustellen. Betreuungsangebote sind rar, es gibt zu wenige Möglichkeiten, Pausen nach den Bedürfnissen des Kindes einzubauen. Und leider verstärkt das Tempo, welches Bachelor- und Masterprogramme vorgeben, diesen Trend. Dazu der Jugendkult, der dazu anhält, möglichst früh ins Erwerbsleben einzusteigen. Unter diesen Umständen schaffen viele Frauen dann einfach den Absprung zum Kinderkriegen nicht. Aber diesen Zusammenhang können wir in unserer Studie noch nicht abbilden, die Frauen sind zu jung.

BRIGITTE: In der ersten Studie hatten die Frauen klare Erwartungen an den Partner: Treu und zuverlässig sollte er sein, er sollte sich um die Kinder kümmern und, bitte schön, eigene Freunde haben. Als Versorger war er nicht mehr gefragt. Hat sich an dieser Haltung etwas verändert?

Prof. Jutta Allmendinger: Frauen suchen eine gleichwertige Partnerschaft, in der beide arbeiten, aber nicht um jeden Preis. Der Geldbeutel des Mannes interessiert am wenigsten, an erster Stelle steht vielmehr der Wunsch nach einem Partner, der Zeit für die Familie hat. Ab und an den Müll runtertragen oder den Kindern mal eine Geschichte vorlesen genügt nicht. Die jungen Frauen wünschen sich eine Partnerschaft, in der beide zu gleichen Teilen Verantwortung für Haushalt und Kinder übernehmen. Und sie suchen einen Partner, mit dem sie sich austauschen können, der sie inspiriert: Bildung steht an zweiter Stelle auf der Wunschliste.

BRIGITTE: Und die Männer? Welche Frauen stehen bei ihnen hoch im Kurs?

Prof. Jutta Allmendinger: Männer suchen sich Frauen nach wie vor nach dem Aussehen aus: Bei fast der Hälfte steht Attraktivität ganz oben. Bildung, Zeit für Familie, Geld - das alles ist für viele dieser Männer nicht so wichtig.

BRIGITTE: Wie gestalten denn die selbstbewussten jungen Frauen ihre Partnerschaft?

Das Bild des mächtigen, gut verdienenden Mannes hat ausgedient.

Prof. Jutta Allmendinger: Um das herauszufinden, haben wir folgendes Szenario angeboten: Eigentlich ist man am Samstag mit seinem Partner verabredet, plötzlich kommt ein tolles Angebot rein - zwei Tickets für ihre Lieblingsband. Leider mag der Partner diese Band gar nicht. Dann haben wir gefragt: "Was machen Sie in so einer verflixten Situation? Nehmen Sie nur eine Karte für sich und gehen dann allein in dieses Konzert? Nehmen Sie zwei Karten für sich und den Partner, obwohl Sie wissen, dass er diese Band nicht besonders mag? Oder nehmen Sie zwei Karten und gehen mit einer Freundin? Oder kaufen Sie gar keine Karte?" Über die Hälfte der Frauen kaufen zwei Karten: für sich und die Freundin.

BRIGITTE: Und die Männer?

Prof. Jutta Allmendinger: Nur 27 Prozent der Männer kaufen zwei Karten, um mit einem Freund zu ihrer Lieblingsband zu gehen, 36 Prozent verzichten ganz und kaufen gar keine Karte.

BRIGITTE: Ach, die armen Männer, die können einem ja fast leid tun . . .

Prof. Jutta Allmendinger: Ich finde das durchaus gesund von den Frauen. Partnerschaften sind ihnen sehr wichtig, aber sie legen auch Wert auf eine Welt jenseits davon, genauso wie auf eine Welt jenseits der Erwerbstätigkeit. Frauen pflegen ihre Freundschaften, stellen sie nicht hintenan. Freundeskreise sind auch ein starkes Motiv, nicht umzuziehen.

BRIGITTE: Fast alles scheint wichtiger als der Partner. Wie verkraften das die Männer, die ja auch angefangen haben, über ihre eigene Rolle nachzudenken?

Prof. Jutta Allmendinger: Die Männer stehen gewaltig unter Druck. Sie haben verstanden: "So geht es nicht weiter. Ich muss Konzessionen machen, mich mit meiner Familie, meinem Umfeld abstimmen." Sie sind nachdenklich geworden, aber es fehlen ihnen die Vorbilder. Auch da könnte man politisch viel tun. Mir ist zum Beispiel noch kein Politiker begegnet, der sagt, er könne jetzt den Termin nicht wahrnehmen, weil er auf sein Kind aufpassen müsse.

BRIGITTE: In welchen Rollen sind Männer denn überhaupt noch gefragt?

Prof. Jutta Allmendinger: In der Partnerschaft als fürsorglicher Vater. Insgesamt gibt es in den Männerkulturen einen großen Umbruch. Klassische Männerjobs gehen verloren. Das Bild des mächtigen, anerkannten und gut verdienenden Mannes "in den besten Jahren" hat ausgedient. Viele von ihnen werden abgesägt. In den Medien werden Männer zunehmend als Problemfälle dargestellt, das prägt die jungen Männer. Sie lösen sich aber erfreulicherweise immer mehr von dem eingleisigen Modell, in dem der Mann das Geld verdient und die Frau das Essen kocht und ihm den Rücken freihält. Es ist was in Bewegung. Bis auf ein paar sehr traditionelle Männer wollen die wenigsten die Frauen wieder auf die alten Gleise zurücksetzen. Sie akzeptieren die Erwerbstätigkeit ihrer Partnerinnen stärker als vorher, mehr Männer als noch vor zwei Jahren würden Elternzeit nehmen. Das sind ermutigende Anfänge, es muss aber noch mehr geschehen. Doch es liegt nicht an der Bockigkeit der Männer. Sie wissen einfach noch nicht genau, wohin. Anders als die Frauen, die schon lange an sich arbeiten, fangen die Männer erst damit an.

BRIGITTE: Wenn der Mann als Versorger ausgedient hat, Frauen ihr eigenes Einkommen haben, welche Bedeutung hat dann Geld?

Prof. Jutta Allmendinger: Früher mussten sich die Frauen anpassen, weil sie nichts oder nur wenig verdienten. Das hat sich geändert. Frauen wollen unabhängig sein vom Geld des Mannes, aber auch nicht vom Staat alimentiert werden. Sie wollen ihr eigenes Geld verdienen. Geld erhält eine neue Bedeutung, es garantiert vor allem Sicherheit. Während Männern die Höhe ihres Einkommens sehr wichtig ist, legen Frauen eher Wert auf die Kontinuität: 91 Prozent sagen, dass ihnen ein sicherer Arbeitsplatz wichtig ist, 60 Prozent finden ein hohes Einkommen wichtig.

BRIGITTE: Dann macht es den Frauen gar nicht so viel aus, dass sie noch immer deutlich weniger verdienen als Männer?

Eine Revolution in der Arbeitswelt steht an.

Prof. Jutta Allmendinger: Von wegen! Weniger als der Partner, ja. Weniger als der Kollege, nein. Sie sind unzufrieden mit ihrem Einkommen. Sie vergleichen sich nämlich mit den Männern und stellen fest, dass sie weniger Lohn für die gleiche Arbeit erhalten. Und das ärgert sie gewaltig. Sie wollen fair behandelt werden und einen fairen Lohn für ihre Arbeit bekommen. Dabei geht es nicht um die Höhe des Geldes an sich, sondern um die Tatsache, dass sie schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen.

BRIGITTE: Aber Arbeit ist doch mehr als die Garantie für ein verlässliches Einkommen. . .

Prof. Jutta Allmendinger: Ja, Arbeit sorgt auch für gesellschaftliche Integration. Frauen arbeiten gern, sehen gern die Ergebnisse ihrer Arbeit. Am Arbeitsplatz lernen sie Leute kennen, tauschen sich aus, werden wahrgenommen, übernehmen und erfüllen Aufgaben . . . Arbeit bedeutet ein Stück eigenes Leben. Es ist ihr Leben, und das fühlt sich ganz anders an, als diejenige zu sein, die darauf wartet, dass die Kinder aus der Schule kommen oder der Mann von der Arbeit.

BRIGITTE: In früheren Zeiten von Job-Knappheit gab es häufig einen Backlash: Frauen verloren ihre Arbeit als Erste - und schlüpften zurück in die Hausfrauenrolle. Besteht diese Gefahr auch jetzt?

Prof. Jutta Allmendinger: Nein. Das würden die Frauen nicht mehr mit sich machen lassen, außerdem sind in dieser Krise die Jobs der Männer am stärksten gefährdet, es sind vor allem Männerbranchen wie Autoindustrie und Maschinenbau, die zusammenbrechen. Trotz der Krise herrscht ein akuter Mangel an Fachkräften, und der wird sich noch verstärken. Die Unternehmen brauchen die gut ausgebildeten und sozial kompetenten Frauen dringend. Aufgrund von Bildungsstand und demografischer Entwicklung sind sie die erste Generation von Frauen, die Bedingungen stellen kann. Die Firmen müssen sich auf neue Ansprüche einstellen.

BRIGITTE: Wie lassen sich die Angebote der Unternehmen für Vereinbarkeit von Job und Kindern verbessern?

Prof. Jutta Allmendinger: Die Arbeitgeber müssen sich fragen, ob sie wirklich das bereitstellen, was notwendig ist. Mehr Flexibilität zum Beispiel. Ermöglichen sie den Frauen, dass sie zu Hause arbeiten können, auch unabhängig von Bürozeiten? Schließlich gibt es genug Arbeit, die man nicht zu festen Arbeitszeiten erledigen muss.

BRIGITTE: Sie haben nach der letzten Studie gesagt, diese Frauen würden die Gesellschaft wach rütteln. Tun sie das?

Prof. Jutta Allmendinger: Ja, denn es geht nicht mehr ohne sie. Und eine Arbeitswelt mit Frauen ist eine andere als eine Arbeitswelt ohne Frauen. Wir haben über eine lange Zeit erlebt, wie immer mehr Arbeit in die Familie gezogen wurde. Diese Entgrenzung der Arbeit heißt eigentlich nur, dass die Arbeit nicht aufhört, wenn wir den Betrieb verlassen. Jetzt müssen wir diskutieren, was es bedeutet, die Familie in die Arbeit zu ziehen. Was bieten Firmen für die Betreuung von Kindern? Wie sieht es mit Führungspositionen in Teilzeit aus? Es geht um neue Hierarchien in der Arbeitswelt, um Self-Managing- Teams . . . Eine Revolution in der Arbeitswelt steht an, und natürlich müssen die Männer mit einbezogen werden.

BRIGITTE: 2007 waren Frauen in hohem Maß bereit, Verantwortung zu übernehmen, mit der Macht taten sie sich schwerer.

Prof. Jutta Allmendinger: Die Verantwortungsbereitschaft ist gestiegen. Das gilt übrigens auf einem deutlich niedrigeren Niveau auch für Macht. Hier haben wir den Frauen ebenfalls ihre Antworten aus der ersten Befragung vorgelegt, insofern sind die Ergebnisse belastbar.

BRIGITTE: Was verstehen diese Frauen unter Macht und was unter Verantwortung?

Prof. Jutta Allmendinger: Verantwortung ist für Frauen ein teilbares Gut, und daher finden sie es auch notwendig, dass so viele wie möglich in der Gesellschaft Verantwortung tragen. Macht hingegen ist etwas Unteilbares. Wenn ich Macht habe, hat der andere keine oder weniger. Man hat Macht auf Kosten anderer. Das ist nichts, was Frauen anstreben.

BRIGITTE: Wenn so viele Frauen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen: Streben sie auch endlich in Führungspositionen?

Frauen schrecken nicht davor zurück, an erste Stelle zu stehen.

Prof. Jutta Allmendinger: Ja, 78 Prozent der Frauen sagen, dass sie gern Verantwortung tragen, fast ebenso viele können sich nach eigener Einschätzung gut durchsetzen. Wir wollten wissen, ob dies auch heißt, dass Frauen die Führung übernehmen möchten. Darum haben wir ihnen ein Bild mit einer Handballmannschaft vorgelegt und gefragt: "Wo sehen Sie sich? Sind Sie die erste Angreiferin, die im Moment den Ball ins Tor wirft? Sind Sie die Zuspielerin, die das Tor vorbereitet hat? Stehen Sie eher abseits, sind Sie Verteidigerin oder Torhüterin?" 65 Prozent der Frauen haben sich auf den zwei aktivsten Positionen, nämlich als Torschützin oder Zuspielerin, eingeordnet. Das zeigt noch mal deutlich, dass Frauen in keiner Weise davor zurückschrecken, an erster Stelle zu stehen. Auf offene Fragen haben sie geantwortet: "Ich bin einfach wichtig für mein Team, ich bin diejenige, die hier Entscheidungen fällt." Wir sehen sehr klar die Fähigkeit, den Willen und auch die Freude, aktiv Entscheidungen zu treffen. Die Überzeugung "Ich kann was und komme weiter" hat sich solide bestätigt.

BRIGITTE: Und warum gibt es so wenige Chefinnen an der Spitze von Unternehmen?

Prof. Jutta Allmendinger: Sie haben mehr Angst vor Misserfolg als Männer. Sie geben an, schneller nervös zu werden, sich aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Und sie zweifeln häufiger als Männer, ob sie denn für eine Spitzenposition wirklich gut genug sind. Das ist für mich alles erst mal nicht erstaunlich, wenn ich mich in diese Frauen hineinversetze. Das ergibt sich aus einem immer noch sehr geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen. Es fehlen die Vorbilder.

<frage name = "BRIGITTE">Unternehmen klagen immer wieder, sie würden keine Frau für Führungspositionen finden. Was läuft da falsch?</frage> <antwort name = "Prof. Jutta Allmendinger">Es ist nicht damit getan, eine Führungsposition anzubieten. Wir brauchen auch mehr Transparenz, was auf Chefposten erwartet wird, und sollten uns von vielen Mythen verabschieden. Wenn Unternehmen wirklich Frauen ermutigen wollen, sollten sie über neue Modelle nachdenken.</antwort> <frage name = "BRIGITTE">Und wenn die Unternehmen endlich ihre Hausaufgaben machen, dann werden die Frauen springen?</frage> <antwort name = "Prof. Jutta Allmendinger">Dass wir nach der Krise besser dastehen sollen als vor der Krise, halte ich für Gerede. Aber wir sollten anders dastehen und die Krise dazu nutzen, überholte Führungsstrukturen und Arbeitsprozesse zu überdenken. Die Zeiten sind günstig für Frauen. Sie wollen springen. Ich hoffe, dass sie das auch tun werden.</antwort>

Zur Person: Prof. Jutta Allmendinger

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Prof. Jutta Allmendinger, Ph. D., 52, ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Berliner Humboldt-Universität. Sie promovierte 1989 an der Harvard University, habilitierte sich 1993 an der FU Berlin und war bis 2007 Professorin für Soziologie in München. Von 2003 bis 2007 leitete Jutta Allmendinger das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Sie ist u. a. Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats und der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung.

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Die repräsentative BRIGITTE-Studie "Frauen auf dem Sprung" zeichnete das Bild einer selbstbewussten und anspruchsvollen Generation junger Frauen (Erhebungszeitraum Herbst 2007). Ob und wie sich die Einstellung dieser jungen Frauen im Krisenjahr verändert hat - das untersucht die neue BRIGITTE-Studie "Frauen auf dem Sprung. Das Update" (Erhebungszeitraum Frühjahr 2009) Hier können Sie beide Studien mit allen Daten downloaden

Interview: Claudia Kirsch Foto: Ein Artikel aus der BRIGITTE 20/09

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