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Weniger besitzen: Der neue Trend

Weniger besitzen: Der neue Trend
© EJW/Westend61/Corbis
Einfach mal eine Zeit lang nichts kaufen. Weniger besitzen. Das alte weiterbenutzen. Weggeben, was nicht mehr gebraucht wird. Wie lebt es sich damit?

Leih dir eins!", sagt die Freundin, die alles weiß. Auch, wo es günstig Abendkleider gibt? Meine habe ich vor Jahren abgeschafft. Im Schrank hängt nichts elegant Schwingendes mehr (gibt's was Bequemeres als Hosen?) und kaum Farbiges (außer Süden-Sommerfähnchen). Doch jetzt kam die Einladung zu einer Hochzeit samt abendlichem Ball. Dresscode: festlich, sprich Smoking, und - ja, genau, Abendkleid.

"Leihen?" Ich tauche ein in eine neue Welt.

Lassen wir den Erfahrungsbericht: vom Wühlen in drei Läden mit Brautmode im Vorderraum und Langem, Bauschigem, Plissiertem in den Hinterzimmern - für Brautmütter und Gäste wie mich. Vom Frust: Was gefiel, passte nicht, was passte, gefiel nicht. Und vom Schlucken bei den Preisen: 100 Euro plus, plus, plus. Dazu noch die Reinigung.

Also ab ins Internet. Viele Angebote, vor allem aber gute Ratschläge. Der beste von einer Gabi: "Warum leihen? Kauf dir was und vertick es dann bei Ebay."

Gib's in die Zirkulation! Werde los, was du nicht brauchst. Irgendwas scheint sich von Grund auf zu ändern, und wir merken es - an uns selbst. Der Konsum erstickt seine Kinder. Zwar ist die Kauflust in Deutschland ungebrochen - und genau so wollen es Wirtschaft und Politik, denn Konsumieren schafft Arbeitsplätze, bringt Steuern. Machen wir mit Freuden, nur: Wohin danach mit all dem Krempel? Laut einer von der Online-Börse Ebay in Auftrag gegebenen Studie liegt in deutschen Wohnungen und Häusern ungenutzter Hausrat im Wert von 35,5 Milliarden Euro herum. Pro Haushalt sollen es Gegenstände im Wert von über 1000 Euro sein. Viele überfällt spätestens beim Älterwerden ein seelischer Juckreiz: Ballast abwerfen! Ausmisten! Man steht vor Schubladen und Regalen, Kisten und Schränken, Kartons und Plastikhüllen, vollgestopft mit dem Ertrag von gefühlten hundert Jahren. Kleider, Schuhe, Mäntel, Tücher, Taschen, Sonnenbrillen. Alles "noch gut". Das wirft man doch nicht weg! Und erst die Bücher! Das kann doch noch jemand gebrauchen! Nur wer?

Die beliebten Kirchenbasare platzen aus allen Nähten. Rotes Kreuz und Heilsarmee, Bethel und andere Heilanstalten? Die suchen sich das Beste aus, der Rest wird zu Lumpen zerrissen. Ein Skipper zeigte beim Bootsausflug einen Stapel liebevoll gebügelter Männerhemden: "Die kriegen wir als Putzlappen." Falls das Zeug nicht via Kleidersammlung nach Afrika verschickt wird.

Eine der ersten Antworten auf den Überfluss war Ebay

Ein Aufschrei: "Bloß nicht! Das macht die einheimischen Märkte kaputt." Das tut zwar eher die Billigware aus Asien, die alle Kontinente überschwemmt - aber sei's drum, keine Schuhe nach Burkina Faso. Also ab damit in den Müll? Eine der ersten Antworten auf den Überfluss war Ebay, der als Auktion organisierte Umschlagplatz im Internet. Ein riesiger virtueller Flohmarkt, in dem die Verkäufer ihre Waren anbieten, ohne selbst hinter improvisierten Ständen stehen zu müssen, und die Käufer sich per Klick ins Haus schicken lassen, was sie schon lange suchen.

Ebay, 1995 gegründet, ist längst Alltag. Jeder kennt das Portal, auch wenn er es nicht selber nutzt. Seinen amerikanischen Erfinder hat es zum reichen Mann gemacht. Daneben haben sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren Tausch-und Leihbörsen ohne kommerzielle Interessen entwickelt. Erfinder wie Nutzer sind getrieben vom Ekel vor dem Überfluss und dem schlechten Gewissen über ein Konsumverhalten, das zu riesigen Müllbergen führt. Viele beflügelt ein neues ökologisches Denken.

Längere Strecke allein im Auto? Fast schon unmoralisch, findet die Tochter.

"Ich habe bei der Rückfahrt drei Studenten im Auto mitgenommen": Eine Nachbarin hatte ihre Tochter besucht. Die studiert in einer anderen Stadt und hat der Mutter, ohne zu fragen, Mitfahrer besorgt. Längere Strecke allein im Auto? Fast schon unmoralisch, findet die Tochter, auf jeden Fall dumm. Platz und Kosten werden geteilt. Also "Flinc", "Open Ride", oder wie sie heißen, aufrufen, Treffplatz ausmachen, einsammeln, losfahren. Und weil die Namen der Beifahrer registriert sind, fühlt sich auch sicher, wer sonst jeden Tramper stehen lässt.

"War lustig", sagt die Nachbarin. Aber von sich aus aktiv werden? "Wohl eher nicht." Weniger aus Unbehagen - das eben doch bleibt -, sondern weil sie beim Computer fremdelt. Nichts von der Selbstverständlichkeit der jüngeren Generationen: den ganz Jungen, die praktisch in die virtuelle Welt hineingeboren wurden - den "digital natives" -, den Mittleren, die sich locker in ihr bewegen, den Älteren, die ihre Schwellenangst Schritt für Schritt überwunden haben. So wie ich, mithilfe eines "Computerfreundes" - eine neue, sehr empfehlenswerte Spezies Mann! Ein Computerfreund bringt Wissen, Erfahrung und Geduld mit (im Gegensatz zu gewissen männlichen Abschnittsgefährten), nimmt nie Geld, sondern als Dank nur Naturalien: ab und zu ein gutes Essen (selbst gekocht) oder, wie meiner, Bücher, die er bei Ebay verscherbeln kann.

Geholfen hat er bei vielem, auch bei den ersten Ausflügen ins Internet: Flug buchen, Anmeldung zu einem Kongress, ein neues Auto bestellen. Damals noch ohne Carsharing - das wäre heute vielleicht anders.

Denn Carsharing ist ein blühendes Geschäft. Erst waren es nur die Mitfahrzentralen, nun bieten auch Städte Autos an: anmelden, registrieren, dann per Internet oder Smartphone erfahren, wo der nächste freie Wagen steht. Selbst die Bahn ist eingestiegen mit "Flinkster", einem Netz von rund 800 Carsharing-Stationen allein in Deutschland.

Und das ist erst der Anfang. Ebenso wie das Carsharing bei Berufspendlern. Selbst da kann man kurzfristig Touren buchen. Die Benzinpreise steigen. Die Zeit des billigen Öls ist vorbei, sagen die Experten. Nicht nur weil die Multis absahnen. Die Vorräte sind nahezu erschöpft, das restliche Öl sollte man vorsichtig verwenden - als Basis für viele Produkte, die wir im modernen Alltag benutzen.

So ergänzen sich zwei Trends: der ökonomische und der ökologische. Das neue Schlagwort heißt Nachhaltigkeit. Die natürlichen Ressourcen nicht vergeuden, dadurch auch die Umwelt schützen und nebenbei noch das eigene Konto. Was früher nur grüne Ideologie war, wird zur Lebenshaltung. Teilen statt allein benutzen. Leihen statt kaufen. Tauschen statt horten. Die Jungen tun es schon lange. Weil sie mobil sein wollen. Nur haben, was sie brauchen, sich nicht mit Kram belasten, umziehen können mithilfe von ein paar Freunden und einem mittelgroßen Leihwagen.

Anhäufen bis der Infarkt droht

Wenn sie älter werden, erst als Paar, dann als Familie, schaffen sie an, bis der Infarkt droht: die Verstopfung der lebensnotwendigen Zirkulation durch zu viel angehäuften Kram. Also müssen sie lernen wegzugeben. Bei Babykleidung und Spielzeug ist das leicht, da wachsen Kinder und Eltern einfach raus. Aber bei all den anderen, oft schönen Sachen? Behalten, wenn das Herz dran hängt und viel Erinnerung. Ansonsten gilt das sprichwörtliche: weg mit Schaden. Der in Wahrheit ein Gewinn ist.

Die neue Einstellung zum Besitz ermöglicht neue Erfahrungen. Mancher wird zum Wohnungstauscher: "Ich mache Urlaub in deiner Wohnung in Paris, du in meiner in Berlin." Wildfremde Leute in die eigenen vier Wände lassen? Und was ist, wenn die... Gemessen an der Zahl begeisterter Servicenutzer sei die Menge der Beschwerden klein, beteuern die Betreiber von Portalen wie haustauschferien.com oder wimdu.de. "Man muss sich nur trauen."

Doch viele zögern aus Furcht vor Tricksern und Betrügern. Lieber in der Nachbarschaft das Tauschen ausprobieren. Der eine hat den Universalbohrer, der andere die extralange Aluminiumleiter, die dritte ein zusätzliches Fahrrad für den Besuch (falls man das nicht bei der nächsten Stadtrad-Station holt). Gibst du mir, geb ich dir - in immer mehr Orten gibt es Nachbarschaftsbörsen.

Andere Tauschbörsen auch. Die in der Stadt Herford, eine von vielen, organisiert Hilfe gegen Hilfe: Jemand braucht Unterstützung beim Befestigen der neuen Lampe. Was kann er dafür bieten? Einen selbst gebackenen Pflaumenkuchen nach Mutters Rezept? Eine Stunde Hemdenbügeln? Oder ein paar Tage lang den Dackel Gassi führen? So gut wie alles ist möglich, nur kein Geld.

Das gilt auch in den virtuellen Börsen. Sie sind "die dritte Stufe in der Entwicklung des Internets", so der Zukunftsforscher Andreas Steinle. "In der ersten Stufe war das Neue und Hauptsächliche, an Informationen heranzukommen. In der zweiten begann man, sich über Blogs und Seiten wie Myspace darzustellen. Jetzt geht es darum, sich zu Gemeinschaften zusammenzuschließen."

Die Tauschbörsen bestätigen die Thesen, mit denen der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin seit Jahren animiert und provoziert. "Access", sein im Jahr 2000 erschienener Bestseller, ist Bibel für die einen, Blödsinn für die anderen.

"Die Ära des Eigentums geht zu Ende, das Zeitalter des Zugangs beginnt", sagt er und geißelt den "Hyperkonsum" als einen Weg, der in die Sackgasse führt. Wichtig sei das Teilhaben, nicht der Besitz, so Jeremy Rifkin. Noch weiter geht Christian Felber mit seiner "Gemeinwohl-Ökonomie": Immer neue Konsumanreize zu schaffen ist seiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Er plädiert für eine neue Wirtschaftsform, die den Menschen dient, statt sie durch Konkurrenz und Gewinndenken gegeneinander auszuspielen. Doch bevor es dazu kommt - wenn überhaupt -, zurück zu den leicht machbaren Formen des Teilens, Tauschens und natürlich des Weitergebens: Bücher in Bücherkisten legen, auf die jeder Zugriff hat (leider auch kommerzielle Händler, die ausräumen, was sie noch verscherbeln können), oder online inserieren. Anderes auf dem Flohmarkt anbieten - einem realen oder einem virtuellen - oder in den Secondhand-Laden bringen.

Muss ja nicht gerade der von Cameron Silver sein, einem Experten für Vintage-Mode. Zu seinem Geschäft "decades", 1997 in Los Angeles eröffnet, pilgern Modesammler und -süchtige, die den Charme früherer Jahre entdeckt haben. "Vintage ist Recycling", sagt Silver. "Wir sind Teil der Ökobewegung." Selbst das Auftragen alter Designermode - "vintage" umfasst bereits die 80er, 90er Jahre - steuert also gegen den Konsum. Allerdings nur, wenn die freigeräumten Kleiderschränke nicht gleich wieder vollgestopft werden. Wie meiner: Da hängt nun ein zauberhaftes schilfgrünes Abendkleid, günstig gekauft für 130 Euro plus 30 für kleine Änderungen durch die Schneiderin von nebenan.

Bei Ebay verticken? Ich denke nicht daran. Nicht in den nächsten zehn Jahren. Vielleicht ist es danach ja Vintage.

Weniger besitzen: Buchtipps

Jeremy Rifkin: Access - Das Verschwinden des Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden. Ü.: Klaus Binder, Tatjana Eggeling. 424 Seiten, 19,90 Euro, Campus

Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftswunder der Zukunft. 208 Seiten, 17,90 Euro, Deuticke Robert und Edward Skidelsky: Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. 280 Seiten, 19,95 Euro, Kunstmann

Hans-Jürgen Heinicke: Was vom Leben übrig bleibt, kann alles weg. Fundstücke eines Wohnungsauflösers. 255 Seiten, 8,99 Euro, Fischer Taschenbuch

Virtuelle Flohmärkte und Börsen

WAREN ALLER ART, GEBRAUCHT UND NEUwww.ebay.de: Auf der Plattform lässt sich so gut wie alles ersteigern, ob gebraucht oder neuwertig. Vieles kann man auch ohne Auktion zum Festpreis bekommen. www.amazon.de: Bekannt geworden ist Amazon mit Büchern. Mittlerweile werden u. a. auch Elektroartikel und Kleidung angeboten. Wer Gebrauchtes sucht, wird vor allem bei Büchern, CDs und DVDs fündig.

WAREN ALLER ART, LEIHWEISEwww.frents.de: Von der Fotokamera bis zum Gesellschaftsspiel kann man über diese Plattform Waren von Menschen aus seiner Umgebung ausleihen - abholen muss man es sich aber selbst.

WAREN ALLER ART ZU TAUSCHEN www.netcycler.de: Statt auszuleihen tauscht man hier aber Gegenstand gegen Gegenstand - also etwa einen Bohrer gegen einen DVD-Player. www.tauschticket.de: Hier kann jeder Bücher, DVDs und Musik anbieten und erwerben. Statt in Euro und Cents wird in "Tauschtickets" gezahlt.

KLEIDUNG SECONDHAND www.justsecond.de: Versandhandel für gebrauchte Designerkleidung. www.schwarzetruhe.de: Hier finden Vintage-Liebhaber beispielsweise Etuikleider aus den 60ern oder Glitzertops aus den 80ern. BÜCHER www.libri.de: Wie Amazon bietet auch der Online-Versandhandel Libri gebrauchte Bücher an. www.bookcrossing.de: Eine internationale Gemeinschaft von Menschen, die Bücher miteinander teilen, indem sie sie bewusst liegen lassen, so dass andere sie mitnehmen können. Wer ein Buch auf der Website einträgt, kann seinen Weg nachverfolgen.

WOHNUNGEN, BÜROS, GÄRTEN AUF ZEITwww.wimdu.de, www.9flats.com, www.Airbnb.com: Das Prinzip all dieser Webseiten ist gleich: Privatleute bieten ein Zimmer, ihre Wohnung oder auch eine Ferienwohnung tageweise zur Miete an. So wohnt es sich günstiger und individueller als im Hotel. www.meine-ernte.de: Ist besonders für Städter interessant: Beet anmieten, gärtnern, ernten - aufessen. www.coworking.de: Das Portal führt zu den Anbietern von Büro-Arbeitsplätzen auf Zeit für Freiberufler. Bekannt sind vor allem die großen Betahäuser, unter anderem in Berlin, Köln und Leipzig.

LEIHWAGENwww.car2go.com: Carsharing auf die moderne Art: Man zahlt keine Grundgebühr und kann das Auto jederzeit überall wieder abstellen. Bisher gibt es die kleinen Smarts in 16 Städten in Europa und in den USA. www.nachbarschaftsauto.de, www.tamyca.de, www.rent-n-roll.de: Hier kann man Autos stundenweise von Menschen aus der Nachbarschaft leihen. Eine Zusatzversicherung tritt für eventuelle Schäden ein.

MITFAHRGELEGENHEITwww.flinc.de: In ein Auto passen mindestens vier Menschen. Zur Arbeit fährt man aber meist allein. Wer flinc.de nutzt, sucht sich Mitfahrer mit dem gleichen täglichen Arbeitsweg - oder fährt anderswo mit. www.mitfahrgelegenheit.de, www.mitfahrzentrale.de: Die Klassiker für längere Fahrten: Man sucht auf der Webseite nach Autofahrern, die etwa auf der Strecke von München nach Köln noch Platz im Auto haben, und kann gegen Beteiligung an den Spritkosten mitfahren.

Text: Jutta Duhm-Heitzmann Ein Artikel aus BRIGITTE WOMAN

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