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Bedingungsloses Grundeinkommen: "Frauen wären nicht mehr so benachteiligt"

Bedingungsloses Grundeinkommen: Geldscheine gestapelt
© Vladyslav Starozhylov / Shutterstock
Götz Werner ist Deutschlands prominentester Kämpfer für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Der ehemalige Unternehmer ("dm") glaubt, die Welt wäre gerechter, wenn alle Menschen einen Fixbetrag vom Staat bekommen.

Götz Werner kommt gut gelaunt ins Lokal "Deponie No. 3" in Berlin-Mitte. Er selbst hat BRIGITTE WIR überlassen, wo das Interview geführt wird. "Da richte ich mich nach Ihnen. Ich bin ja dankbar, wenn ich über das Grundeinkommen reden darf. Da nehme ich mir auch so viel Zeit, wie Sie mich ertragen. Ich würde für diese Idee bis zum Ende der Welt gehen", hat er gesagt.

Am Vortag wurde ihm in der Berliner U-Bahn auf einer Rolltreppe das Portemonnaie gestohlen. Aber Werner ist ein Mensch mit nahezu unerschütterlichem Optimismus. Er sagt, wie gut es doch sei, dass man so eine Strafanzeige in Berlin online stellen kann. Wie schnell das doch alles gehe heutzutage. Das Leben ist schön! Dann bestellt sich Werner zwei Croissants und schaut seinem Gegenüber in die Augen.

BRIGITTE WIR: Herr Werner, Sie sind in Heidelberg geboren, also als Kurpfälzer. Denen sagt man nach, dass sie besonders gemütlich sind.


Da ist was dran ...

Von der Gemütlichkeit zur Faulheit ist es nicht weit. Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens glauben, dass es den Menschen die Motivation nimmt, zu arbeiten.

Das ist nicht nur falsch, das ist Blödsinn. Sie haben in jeder möglichen Gesellschaft Menschen, die das System ausnutzen und nicht arbeiten wollen. Das sind aber höchstens ein bis zwei Prozent der gesamten Bevölkerung. Die meisten Menschen sind nicht so. Haben Sie schon mal drei Wochen am Stück auf der Couch verbracht? Auf Dauer hält man das nicht aus.

Sie vielleicht nicht, aber was ist mit den Menschen, die den Sinn ihrer Arbeit in Frage stellen und nur wegen des Geldes auf sie angewiesen sind?

Genau da müssen wir ansetzen: Das bedingungslose Grundeinkommen würde dafür sorgen, dass Menschen sich entfalten können. Dass sie sich einbezogen fühlen und denken: Ich bin etwas wert, ich bin ein gleichwertiger Teil vom Ganzen. Für einen ordentlichen Lohn gehen die Menschen auch gern putzen oder in die Pflege. Weil sie dann das Gefühl hätten, ihre Arbeit wird wertgeschätzt. Der Mensch strebt, ganz im Goetheschen Sinne, immer nach dem Besseren, Edleren. Der Mensch ist von Grund auf gut - so habe ich es immer gesehen.

Der Mensch ist von Grund auf gut - so habe ich es immer gesehen

Aber wie soll das in der Praxis gehen? Befürwortern wie Ihnen wird stets vorgeworfen, dass das Grundeinkommen - gehen wir einmal von 1000 Euro pauschal aus - gar nicht zu finanzieren wäre.

Das stimmt nicht! Durch die Einführung würden Hartz IV, Kindergeld und viele andere Sozialleistungen abgeschafft werden - genauso wie Steuervergünstigungen und steuerliche Freibeträge. Wenn man all dies einbezieht, kommen wir nur auf einen Fehlbetrag von 70 Milliarden. Das ließe sich finanzieren. Ein Land wie Deutschland kann sich das leisten.

Was ist mit älteren Menschen, wären die abgesichert?


Gerade die! Schauen Sie mal, wie schlecht viele Menschen mit der gesetzlichen Rente über die Runden kommen. Wenn jeder ein garantiertes Grundeinkommen von rund 1000 Euro hätte, gäbe es gar keine Altersarmut mehr. Und wenn die Menschen vorsorgen, haben sie die übrigen Ansprüche ja noch on top.

Die meisten Menschen halten 1000 Euro für relativ wenig Geld. Gerade wenn sie ein Leben lang geschuftet haben.


Man kann damit nicht im Luxus schwelgen, das stimmt natürlich. Doch die Realität auf dem Rentenbescheid sieht ja oft ganz anders aus. Das Grundeinkommen muss so hoch sein, dass jeder bescheiden, aber in Würde leben kann. Außerdem würde andere geleistete Arbeit einen ganz anderen Stellenwert erhalten.


Sie sprechen vom Ehrenamt?

Richtig! Gerade ältere Menschen, die bereits in Rente sind, aber auch Leute, die vielleicht nicht mehr ganz so viel arbeiten, könnten doch ehrenamtlich tätig sein. Wer ein Grundeinkommen bekommt, könnte sich ein Ehrenamt plötzlich auch zeitlich leisten. Durch das gesellschaftliche Ansehen und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, wäre zudem die Zivilgesellschaft gestärkt. Menschen, die den größten Teil ihrer Lebenszeit schon hinter sich haben, schauen ganz anders auf diese Fragen.

Auch die Erziehungsarbeit würde dann anders wertgeschätzt?


Absolut. Frauen, die sich ihr Leben lang dem Haushalt und der Kindererziehung gewidmet haben, würden dann nicht mehr so stark benachteiligt, wie es im momentanen System stattfindet. Auch sie erhielten 1000 Euro und hätten das Gefühl, dass ihre Lebenszeit nicht weniger wert war, als wenn sie am Fließband montiert oder im Büro getippt hätten. Das hat doch eine ganz andere Qualität als so eine Mütterrente, die in meinen Augen mehr wie ein staatliches Almosen daherkommt.

Aber wo fängt diese Wertschätzung an? Schon wenn jemand den Hund seines Nachbarn ausführt? Ist das genauso viel wert wie die Pflege eines Angehörigen?

Da wird es spannend. Viele ältere Menschen pflegen ihre Lebenspartner, wenn die nicht mehr alleine können. Oder Kinder pflegen ihre Eltern. Ihre Frage impliziert, was wir alle immer denken: Ich arbeite, weil ich für mich verantwortlich bin, ich brauche einen Nutzen für mich. Aber die pflegenden Menschen haben es wahrscheinlich alle schon unbewusst begriffen: Das ist ein Denkfehler. Denn wir alle arbeiten, weil wir für andere verantwortlich sind. Wegen nichts anderem. Meine Arbeit ist für die anderen da. Auf dass es meinen Mitmenschen gut gehe. Wir Menschen sind füreinander verantwortlich. Alle Arbeit muss genau so verstanden werden. Dann ist sie wertvoll. Dann stiftet sie Sinn.

Wie überzeugt man die Menschen von dieser Sichtweise?


Vielleicht hilft ein wenig Lebenserfahrung, um es selbst zu erkennen. Aber die Konzentration aufs Ego hat uns in unserer jetzigen Welt nicht weitergebracht. Aber natürlich wäre auch eine Welt mit bedingungslosem Grundeinkommen nicht perfekt.

Zurück zur Gemütlichkeit! Heute leben Sie in Stuttgart. Den Schwaben sagt man nach, dass sie im Gegensatz zu den Kurpfälzern sehr geschäftig und geschäftstüchtig sind. Dass passt doch eigentlich gar nicht zu Ihrer Sicht auf die Welt, oder?

Heimat ist, wo die Vertrautheit wohnt. Ich lebe sozusagen in der Diaspora. Das hat mich durchaus verändert (lacht). So wie die Sauerländer, die zum Karneval nach Köln fahren, um dann wieder nach Hause zu gehen. Je mehr blinde Geschäftigkeit ich auf der Welt sehe, desto mehr bin ich überzeugt: Das Grundeinkommen kommt. Die Gesellschaft ist reif dafür.

Brigitte WIR 02/2018

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