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Dem Terror keine Stimme

Endlich wird im Sitzungssaal A101 die Anklage verlesen. Doch Beate Zschäpe beantwortet nicht einmal Fragen zu ihrer Person - und ihr Verteidiger verliert ein groteskes Kräftemessen mit dem Richter. Eindrücke vom zweiten Prozesstag von Lena Kampf.

Nicht einmal leise "Ja" wird sie sagen. "Ihr Name ist Beate Zschäpe. Geboren am 2.1.1975 in Jena, ist das richtig?" fragt der Vorsitzende Richter Götzl. Die Angeklagte könnte jetzt antworten. Das Mikrofon vor ihr auf dem Tisch leuchtet schon rot, es ist eingeschaltet. Doch sie bleibt still. An ihrer Stelle beugt sich der Verteidiger vor: "Meine Mandantin wird keine Angaben zu ihrer Person machen", sagt er. Dann schaltet er das Mikrofon wieder ab, das rote Licht erlischt. Beate Zschäpe verweigert den Opfern und Hinterbliebenen, die am zweiten Verhandlungstag in den Gerichtssaal gekommen sind, auch diese einzige Antwort. Sie gibt dem Terror ihr Gesicht, aber nicht ihre Stimme.

Ihre vier Mitangeklagten antworten: André E., laut und deutlich und mit schwerem sächsischen Akzent, auch er kündigt nach zwei Mal "Ja" an, nicht mehr zu sagen. Ralf Wohlleben nickt. Holger G. und Carsten S. in der hintersten Tischreihe, sie bestätigen beflissen die Angaben des Richters, sie haben beide ohnehin umfassend ausgesagt.

Nur Beate Zschäpe schweigt. Warum sie das tut, würde man gern wissen, und auch was in ihrem Kopf vorgeht, während ihre Verteidiger von Richter Götzl vorgeführt werden.

Gleich zu Beginn lässt sich Wolfgang Heer - ganz am Ende der Anklagebank, eine Armlänge bloß vor dem Richtertisch - auf ein Kräftemessen mit Götzl ein, das später geradezu Loriot-hafte Züge annehmen wird.

Er bittet den Richter, ihm das Wort zu erteilen, doch der fragt: "Warum?" "Das muss ich ihnen nicht sagen", sagt Heer. Götzl: "Doch das müssen Sie". Anstatt zu begründen, dass sein Antrag unaufschiebbar sei, wird Heer grundsätzlich: "Wenn ich um das Wort bitte, dann können Sie davon ausgehen, dass ich etwas zu sagen habe." "Die Sitzungsgewalt liegt bei mir", so Götzl knapp. Heer fasst zusammen: "Dann haben wir konträre Positionen." Er sagt das wie ein fleißiger Schuljunge, seine Ohren werden immer röter dabei.

Kräftemessen mit Loriot-haften Zügen

Doch soweit kommt es nicht. Erwartungsgemäß wird Aussetzungsantrag von Wolfgang Heer zurückgewiesen - und somit auch die Forderung, den Prozess erneut für zwei Tage auszusetzen, um die Unterlagen des zweiten Akkreditierungsverfahrens zu sichten.

Denn um den Grundsatz der Öffentlichkeit ging es Wolfgang Heer, den sah er verletzt – ein absoluter Revisionsgrund. Der Saal sei zu klein, viel zu früh hätte sich die Generalbundesanwaltschaft auf München als Prozessort festgelegt. Das Bonn World Conference Center zum Beispiel, der ehemalige Plenarsaal des deutschen Bundestages, sei ein angemessener Ort für einen Prozess "dieser Bedeutung." Das klingt seltsam aus dem Mund eines Verteidigers, der im Gerangel um die Presseplätze im Vorfeld des Verfahrens auch immer wieder auf die Gefahr eines "Schauprozesses" hingewiesen hatte.

Doch der Grundsatz der Öffentlichkeit bedeute nicht, dass Jeder der will, Einlass bekommen muss, führt Götzl nach der Mittagspause aus.

Zweimal geht es zwischen Heer und Götzl noch so zu wie gleich am Anfang: "Unterbrechen Sie mich nicht", schimpft der Verteidiger, Götzl giftet zurück: "Ich habe Ihnen gar nicht das Wort erteilt". Dann diskutieren sie, ob der Tisch hinter Heer als "Katzentisch" bezeichnet werden kann. Irgendwann sagt Heer schließlich: "Ich habe nicht die Intention, unnötig zu unterbrechen." Das Lachen unter den Zuschauern ist heftig. Ab dann stöhnen sie jedes Mal, wenn Wolfgang Heer wieder um das Wort bittet.

Und dann endlich: Um 15:36 Uhr wird es still im Sitzungsaal A101. Bundesanwalt Herbert Diemer beginnt mit der Verlesung des Anklagesatzes. 35 Seiten, das ist nur ein Zehntel der Anklageschrift. Doch der Raum füllt sich sofort mit den Taten des NSU. Wie kleine Einspieler beschreibt Diemer die Geschehnissen an den Tatorten.

In Nürnberg: "Am 9. September 2000 erschossen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 12.45 und 14.45 Uhr den 38-jährigen türkischen Blumenhändler Enver Simsek durch die geöffnete Seitentür auf der Ladefläche seines Transporters, den er hinter seinem mobilen Blumenverkaufsstand in der Liegnitzer Straße in Nürnberg geparkt hatte und in dem er gerade Blumen sortierte."

In München: "Am 29. August 2001 betraten sie zwischen 10.35 und 10.50 Uhr den Frischmarkt der Familie Kilic in der Bad-Schachener-Straße 14 in München und schossen dem hinter dem Kassentresen stehenden 38-jährigen türkischen Gemüsehändler Habil Kilic mit der Pistole Ceska 83 seitlich in den Kopf. Er erlitt im Bereich der linken hohen Wangenregion einen Gesichtsdurchschuss und duckte sich weg, als ihn ein zweiter Kopfschuss von hinten traf."

In Kassel: "Sie betraten das Geschäft, in dem sich Kunden aufhielten, und schossen dem hinter seinem Schreibtisch sitzenden Halit Yozgat mit der Pistole Ceska 83 zweimal in den Kopf. Der erste Schuss traf ihn horizontal in die rechte Schläfe, der zweite traf ihn im Zusammensinken im Bereich des rechten Hinterhaupts. Halit Yozgat starb noch am Tatort an den erlittenen Schädel-Hirn-Verletzungen."

Auch Beate Zschäpes Rolle arbeitet Herbert Diemer plastisch heraus. Dass sie die freundliche Nachbarin war, immer zu einem Tratsch bereit - die kleinbürgerliche Fassade, die ihre beiden Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt brauchten, um ihre Morde, Überfälle und Sprengstoffanschläge zu begehen. Genau in der Abwesenheit vom Tatort, so Diemer liegt ihr Beitrag: "Sie wollte somit nicht nur den Bestand der Gruppe sichern, sondern zugleich zu jeder einzelnen Tötung und zu jedem einzelnen Raubüberfall einen eigenen, sich in das Gesamtgeschehen arbeitsteilig einfügenden und gleichwertigen Beitrag leisten."

Obwohl sie nur an einem Tatort gewesen sein soll, klagt Diemer sie an wegen Mittäterschaft bei zehn Morden, 15 bewaffneten Banküberfällen, zwei Sprengstoffanschlägen, versuchtem Mord und besonders schwerer Brandstiftung.

Mit der Beschreibung von Zschäpe treten auch die Leihidentitäten in den Gerichtssaal: der Gerri, die Liese, der Max, Namen die das Trio im Untergrund benutzte. Und die wiederum die Verbindung herstellen zu den Mitangeklagten André E., der Wohnmobile angemietet haben soll, die Mundlos und Böhnhardt bei ihren Mordfahrten benutzten, und Holger G. der laut Anlage seinen Führerschein und Reisepass zur Verfügung stellte und Zschäpe eine Krankenkassenkarte besorgte. Der auch eine Waffe lieferte, ebenso wie Carsten S. und Ralf Wohlleben, die die Tatwaffe organisiert haben sollen.

Beate Zschäpe verfolgt die Verlesung ihres Untergrundlebens regungslos. Stoisch starrt sie vor sich hin, als hätte das alles nichts mit ihr zu tun.

Zwei Besetzungsrügen beenden den Tag, gestellt von der Verteidigung Wohlleben und Zschäpe. Über die wird am Mittwoch entschieden. Ebenso wie über die Ankündigung des taktisch agierenden Vorsitzenden Richters, den Komplex des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße abzutrennen.

Denn sollte die Zahl der Nebenkläger, also der Geschädigten und potentiell Geschädigten noch wachsen, dann könnte der Saal letztlich doch zu klein werden.

Der Nebenklagevertreter der Familie Yozgat, Thomas Bliwier, schaltet sich ein. Er hatte bereits bei der Feststellung der Anwesenheit einen Antrag angekündigt. Jetzt will er erreichen, dass alle Anträge der Verteidigung zurückgestellt werden, man solle direkt mit der Verlesung der Anklageschrift beginnen. An Götzl gerichtet sagt er: "Wenn Sie dem Kollegen das Wort erteilen sollten, würde ich das beanstanden." Er tut es, darf seinen Antrag verlesen, wird noch zweimal von Wolfgang Heer unterbrochen. Olaf Klemke, der Verteidiger des mutmaßlichen Mordhelfers Wohlleben, findet den Antrag vom Nebenklägervertreter Bliwier "schwachsinnig", bittet um Unterbrechung. Vor der Pause kommentiert dann noch Bundesanwalt Herbert Diemer das Gezeter: "Der Einfallsreichtum der Verteidigung ist unerschöpflich" und erinnert an den "Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen."

Das Gericht beschließt, dass der Aussetzungsantrag jetzt gestellt werden soll, weil eventuell Teile der Hauptverhandlung wiederholt werden müssen. Dann sollte sie noch nicht so weit fortgeschritten sein, auch das gehört zum Beschleunigungsgrundsatz.

Text: Lena Kampf

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