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Autofreie Innenstadt: "Städte sind für Menschen gemacht!"

Autofreie Innenstadt: "Städte sind für Menschen gemacht!": Menschen auf Straße
© travelview / Shutterstock
Immer mehr Kommunen sperren Straßen und machen Platz für Fußgänger*innen und Fahrrad. Verkehrsforscherin Philine Gaffron über den Trend zur autofreien City.

Hannover will bis 2030 den Individualverkehr aus der City verbannen, Bremen ebenfalls. Selbst eine Metropole wie Paris arbeitet daran. Ist die autofreie Stadt die Stadt der Zukunft?

Dr. Philine Gaffron: In den Innenstadtbereichen schon. Wobei ich es immer besser finde, von "autoarm" zu sprechen. Der Begriff "autofrei" weckt oft eine reflexartige Widerstandshaltung oder aber Erwartungen, die dann gar nicht erfüllt werden können. Selbst die klassische Fußgängerzone ist ja nicht komplett autofrei, denn es gibt dort Lieferverkehr und andere Ausnahmen.

Wieso ist der Wunsch zur innerstädtischen Verkehrswende gerade jetzt so groß?

Wir haben unter anderem schlicht ein Platzproblem. Die großen deutschen Städte wachsen immer mehr. Mehr Menschen pendeln und der Verkehr nimmt generell zu. Autos, die fahren, und mehr noch, die die stehen – was sie im Durchschnitt 23 Stunden am Tag tun –, brauchen Platz. Noch dazu werden die Fahrzeuge immer größer, Stichwort SUV. Öffentlicher Raum ist aber extrem wichtig für das gesellschaftliche Leben. Städte sind ja für Menschen gemacht. Wer sie gesund und attraktiv gestalten will, muss Lärm reduzieren und die Luftqualität verbessern.

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Sind es meistens die Städte selbst bzw. deren Politiker*innen, die autofreie Zonen wollen, oder sind es eher Initiativen aus der Bevölkerung?

Das ist durchaus unterschiedlich. Hier in Hamburg gab es im vergangenen Jahr zum Beispiel zwei solcher Projekte. Eines entstand aus zivilgesellschaftlicher Initiative, das andere war das Resultat einer politischen Entscheidung.

In anderen Ländern ist man schon deutlich weiter als bei uns. Gibt es für Sie eine Vorzeigestadt?

Nein, aber viele interessante Beispiele. Für den Fahrradverkehr ist das natürlich vor allem Kopenhagen mit baulich getrennten Radspuren, Radschnellwegen und Brücken nur für Fuß- und Radverkehr. In Oslo wird in der autoarmen Innenstadt verstärkt auf Leihmöglichkeiten für E-Bikes und die Förderung von Lastenrädern sowie entsprechende Stellplätze gesetzt. Und in Gent gibt es Elektrobusse, die in Schrittgeschwindigkeit durch die Fußgängerzone fahren und mobilitätseingeschränkte Menschen kostenfrei mitnehmen.

Wäre das überall realistisch?

Es gibt nicht das eine Maßnahmenpaket, das für alle sinnvoll ist. Und klar ist auch, dass es nicht reicht, ein paar Schilder auszutauschen. Man muss miteinander diskutieren, die Menschen beteiligen.

Ist der Widerstand gegen entsprechende Projekte im Autoland Deutschland besonders groß?

Ja. Außerdem ist für viele das Auto die teuerste Anschaffung, die sie tätigen. Es wurde jahrelang suggeriert, dass wir uns weiter welche kaufen sollten – es gab die Abwrackprämie und jetzt die Kaufprämie fürs E-Auto – und vor allem, dass wir mit anderen Technologien insgesamt so weitermachen können wie bisher. Das stimmt nicht. Aber es ist schon nachvollziehbar, dass es zu Verunsicherung führt, wenn nun der Ruf nach weniger Autos in der Stadt lauter wird.

Ist dieser Widerstand nur vorübergehend?

Meiner Erfahrung nach ja. In München wurde vor drei Jahren ein zunächst zeitlich befristeter Versuch mit einer Fußgängerzone durchgeführt; nach der Evaluation waren 70 Prozent dafür, diese beizubehalten. In Wien hatte die Beruhigung der Haupteinkaufsstraße nach einem Jahr die gleiche Zustimmungsrate. Mir ist kein vergleichbares Projekt bekannt, das fehlgeschlagen ist.

In einem der Hamburger Projekte, nämlich im Stadtteil Ottensen, gibt es lauten Protest. Manche Läden klagen über Umsatzeinbußen.

Das ist ein wichtiges Thema, wobei der Einzelhandel gerade eh einen Strukturwandel durchmacht, der vom Autoverkehr völlig unabhängig ist. Aber natürlich gibt es Gewerbe, die mit Dingen handeln, die Menschen nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad transportieren, und es hat auch nicht jeder ein Lastenrad zu Hause. Sharing-Modelle, auch für Handkarren, sind da eine Möglichkeit, zusammen mit Ladezonen in zumutbarer Entfernung. Für ältere Menschen könnte es Fahrradrikschas geben. Das meiste lässt sich lösen; dazu muss es intelligente Ausnahmegenehmigungen geben. Wir müssen aber auch unsere Gewohnheiten hinterfragen.

Was meinen Sie damit?

Wir gehen davon aus, wir hätten ein Recht, unser Auto kostenfrei im öffentlichen Raum abzustellen. Dem ist aber nicht so. Und der Anspruch, zu jeder Zeit mit dem Auto bei jedem Laden vorfahren zu können, ist nun mal auf Dauer nicht mit dem Umstrukturieren der Städte vereinbar.

In Ottensen scheinen die Fronten ziemlich verhärtet. Auch die Befürworter*innen reagieren extrem, angeblich wurden schon Autofahrer beschimpft.

Dabei handelt es sich wohl leider um ein allgemeines Phänomen. Die Aggressivität im Straßenverkehr nimmt zu und das manifestiert sich dann eben auch in diesem Kontext. Mobilität ist ein sehr emotionales Thema. Aber auch in der Berichterstattung werden oft Fronten aufgebaut: Fußgänger*innen gegen Auto, Auto gegen Fahrrad, Fahrrad gegen Lkw. Dabei ist vieles einfacher, wenn wir einander mit Wohlwollen begegnen.

Und wie sind Sie selbst unterwegs?

Zu Fuß, mit dem Touren- bzw. Faltrad oder dem öffentlichen Nahverkehr. Ein Auto habe ich schon lange nicht mehr. Autofahren in der Stadt empfinde ich als Zumutung und Zeitverschwendung. Und stadtverträglich ist es eben auch nicht.

Dr. Philine Gaffron, 49, ist Oberingenieurin an der TU Hamburg. Sie forscht zu Themen wie Umweltgerechtigkeit, nachhaltige Mobilität und ökologische Stadtentwicklung. Aktuell leitet sie die Evaluation des Verkehrsversuchs "Ottensen macht Platz" in Hamburg.

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