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Auswandern - und dann?

Wenn der Traum vom Auswandern Realität geworden ist: Mit welchen Problemen haben Frauen im Ausland zu kämpfen und wie lassen sie sich lösen? Für ihr Buch "Ich wollte immer schon mal weg!" hat unsere Weblog-Autorin Irene Mayer mit Cross-Cultural-Psychologin Mary Ann Bellini gesprochen.

Mary Ann Bellini arbeitet als Psychologin mit eigener Praxis in Florenz. Sie ist Beraterin der Auslandstudien-Programme an der Georgetown University, der California State University und der New York University. Die gebürtige Amerikanerin mit italienischer Staatsbürgerschaft ist spezialisiert auf "Cross-Cultural"-Psychologie. Sie arbeitet schwerpunktmäßig mit Leuten, die ihr Heimatland verlassen haben, um anderswo zu studieren, arbeiten oder zu leben. Seit Jahren forscht Mary Ann Bellini zum Thema "Kulturschock und seine Folgen".

Irene Mayer: Mit welchen Problemen kommen Frauen, die sich für ein Leben im Ausland entschieden haben, am häufigsten zu Ihnen?

Mary Ann Bellini: Ein Problem für Frauen, die permanent im Ausland leben, ist das Fehlen eines Netzwerkes. Und natürlich die erhöhte Schwierigkeit, eine adäquate Arbeit zu finden. Am Anfang herrschen Euphorie, Neugierde und "Honeymoon"-Gefühle, erst später können Kommunikationsprobleme mit dem Partner oder auch am Arbeitsplatz hinzukommen. Ein kritischer Moment ist die Geburt eines Kindes. Danach gibt es oft eine Phase, in der sich die Frau besonders sensibel und alleine fühlt. Vor allem dann, wenn sie nicht über ein entsprechendes soziales Netz verfügt.

Irene Mayer: Heimat ist vor allem für die ein Thema, die ihre Heimat verlassen haben ...

Mary Ann Bellini: Oft passiert es, dass Frauen, die wegen einer Beziehung ins Ausland übersiedeln, meist unbewusst für alles, was nicht funktioniert, den Partner verantwortlich machen. Da können dann zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel, die zu spät fahren, oder eine nicht eingehaltene Verabredung schnell zu einem Konfliktpunkt werden. Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Nach dem Motto: 'In diesem Land funktioniert nichts.' Da der Ehemann oder Lebensgefährte als Teil des Systems gesehen wird, das abgelehnt wird, kann sich das negativ auf die Partnerschaft auswirken. Aber es ist wichtig, zwischen dem Land und seinem Partner zu unterscheiden, da es ja zwei verschiedene Dinge sind. Und wenn du keine Freunde oder guten Kontakte hast, kann es noch schwieriger sein, weil du nur den Partner hast. Das führt dazu, dass du von ihm alles erwartest. Das soziale Netz beschränkt sich auf seine Kontakte - seine Freunde, seine Eltern, seine Kollegen, seine Verwandten. Aber dabei läuft man Gefahr, etwas von seiner Identität zu verlieren. Es passiert immer wieder, dass Frauen in meine Praxis kommen und feststellen: Ich erkenne mich nicht wieder, ich habe mich total verändert. In meinem Land arbeitete ich, fuhr überall mit dem Auto hin. Hier mache ich nichts mehr. Das formt eine andere Identität.

Irene Mayer: Können Sie Schutzmechanismen für Geist und Seele empfehlen, um einen Kulturschock zu vermeiden und sich leichter im Ausland zurechtfinden?

Mary Ann Bellini: Wir sind in der Lage, uns ständig zu verändern. Neue Studien widerlegen die These, dass älteren Menschen Veränderungen schwerer fallen. Das stimmt nicht. Sicher hilft eine gute Vorbereitung, sich vorab via Bücher und Internet über die neue Wahlheimat zu informieren. Je mehr Informationen, desto besser. Eine Kontaktquelle vor Ort sind dann internationale Frauengruppen, als Netzwerk und Unterstützung. Auch ich gehe nach wie vor zu solchen Veranstaltungen. Unterstützung ist wichtig und diese Gruppen gibt es in allen größeren Städten. Das kann den Start sehr erleichtern.

Irene Mayer: Ihre Aufzählungen betreffen den organisatorischen und praktischen Aspekt, aber wie kann man sich auf psychischer Ebene für einen Neustart in einem fremden Land rüsten?

Mary Ann Bellini: Was die psychische Seite betrifft, ist die Sache sicher schwieriger. Unser Verhalten ist in unserem tiefsten Inneren kulturell geprägt und entzieht sich unserem Bewusstsein. Es lässt sich daher bewusst nicht unbedingt steuern oder kontrollieren. Unsere Werte, Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die uns in unserer Herkunftsgesellschaft Sicherheit geben, lassen sich nicht einfach auf die neue Gesellschaft übertragen. Daraus ergeben sich Probleme.

Ich denke, es ist für jede Frau wichtig, unabhängig vom Ort, an dem sie lebt, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Auch sich zeitlich bestimmte Ziele zu setzen ist hilfreich, wie zum Beispiel der Plan: in drei Monaten beginne ich einen Sprachkurs. Gerade mit kleinen Kindern ist es nötig, Zeitinseln für sich zu schaffen. In der eigenen Wohnung einen Raum für sich zu gestalten, auch wenn die Wohnung klein ist, einen Ort zu finden, wo ich mich zum lesen, schreiben oder telefonieren zurückziehen kann.

Irene Mayer: Ist das Beherrschen der Sprache unerlässlich, um sich in der Wahlheimat wohl zu fühlen?

Mary Ann Bellini: Eine neue Sprache zu lernen, bedeutet eine neue Kultur zu lernen. Du musst vieles im Alltagsleben neu definieren, zum Beispiel wie verhalte ich mich im Geschäft oder am Telefon. Man kann es mit einem Kind vergleichen, das gehen und sprechen lernt. Das trifft klarerweise nicht auf alle zu. Ich hielt kürzlich einen Workshop für internationale Wirtschaftsleute. Jemand, der im internationalen Umfeld tätig ist und bereits in verschiedenen Ländern gelebt hat, kann zwar vielleicht die Sprache noch nicht, weiß sich aber zu organisieren. Er hat natürlich einen Erfahrungsvorsprung gegenüber jemanden, der zum ersten Mal im Ausland lebt. Es gibt selbstverständlich auch viele positive Seiten, die erst durch Veränderung und durch Lernen einer neuen Sprache möglich werden. Neue Erfahrungen können sehr belebend und euphorisierend sein. Doch es kann auch Angst vor Versagen auftauchen. Wichtig dabei ist, seine eigene Identität nicht aufzugeben.

Irene Mayer: Vor welche Herausforderungen wird eine Partnerschaft durch das Abenteuer Ausland gestellt?

Mary Ann Bellini: Der arbeitende Partner ist natürlich im Vorteil, weil er sein Arbeitsgebiet meistens schon kennt. Während der nicht arbeitende Teil den Alltag im Ausland organisieren muss, wie zum Beispiel die Schulwahl für die Kinder treffen. Weiterhin muss man sich als Neuankömmling mit der ungewohnten Situation zurechtfinden, erstmal ohne bekannte Kollegen und Freunde auszukommen. Leichter ist es, wenn ein Paar gemeinsam einen Umzug beschließt - sei es aus Neugier oder aus Lust an Veränderung. Immer mehr Menschen können dank Internet ja mittlerweile überall arbeiten. Wenn die Entscheidung gemeinsam getroffen wurde, beiderseitiges, großes Interesse an Veränderung besteht, wirkt sich die neue Erfahrung meist sehr positiv und verbindend auf die Beziehung aus.

Buch-Info

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Irene Mayer, "Ich wollte immer schon mal weg!, 187 Seiten, 16,90 Euro, Orac, Wien, September 2007

Foto: photocase.de

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