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Zeugin belastet Beate Zschäpe: "Das ist die Frau, die auch dabei war"

Im NSU-Prozess hat eine Zeugin geschildert, wie sie Beate Zschäpe kurz vor einem NSU-Mord gesehen haben will. Unsere Mitarbeiterin Lena Kampf hat sie im Gerichtssaal beobachtet.
Zeugin belastet Beate Zschäpe: "Das ist die Frau, die auch dabei war"
© Peter Kneffel/dpa

"Das sind die Männer, die auf ich auf dem Grundstück gesehen habe", hat Frau A. im November 2011 zu ihrem Mann gesagt, als die ersten Bilder von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Fernsehen zu sehen waren. Als dann Zschäpe zum ersten Mal gezeigt wurde, war Frau A. sich sicher: "Und das ist die Frau, die auch dabei war."

Ob sich ihr Eindruck, jetzt, wo sie Frau Zschäpe gegenüber sitze, geändert habe, will der Vorsitzende Richter Manfred Götzl von ihr am 40. Verhandlungstag im NSU-Prozess wissen. Frau A. ist sich immer noch sicher: "Also wenn Sie nicht ein perfektes Double haben, Frau Zschäpe, dann muss ich sagen, doch, das waren Sie."

Beate Zschäpe grinst. Dabei hätte diese Zeugenaussage durchaus gefährlich für sie werden können. Schließlich will Frau A. sie in zeitlicher und räumlicher Nähe zu den Morden in Dortmund und Kassel gesehen haben, Ende März oder Anfang April, in Dortmund auf dem Nachbargrundstück. Ein starkes Indiz für Zschäpes Mittäterschaft? Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass es Zschäpes Rolle im Trio war, die bürgerliche Fassade zu schaffen, indem sie gerade nicht mit zum Morden fuhr. Bislang ist nur eine einzige Zeugin in der Anklageschrift genannt, die Zschäpe am Tatort in Nürnberg gesehen haben will. Der einzige von vielen Hinweisen, die die Ermittler für glaubwürdig halten: Im November 2011 meldeten sich jede Menge Zeugen, die meinten, Zschäpe, Mundlos oder Böhnhardt irgendwo gesehen zu haben, die allermeisten jedoch verpufften schnell wieder.

Nur eine meldete sich nicht. Warum Frau A. nicht zur Polizei gegangen ist, begründet sie schlüssig: Nach dem Versagen der Sicherheitsbehörden, die Ceska-Mordserie auzuklären und der unrühmlichen Rolle, die die Polizei dabei gespielt hat, sei sie sehr verunsichert gewesen. Und die Bundesanwaltschaft sei ihr zu hoch angesiedelt gewesen. Bis der Nebenklageanwalt Thomas Bliwier in der Hauptverhandlung Zschäpes Verbindungen nach Dortmund thematisierte, habe Frau A. keinen Impuls verspürt, mit ihrem "ernsten Wissen" an die Öffentlichkeit zu gehen. Lediglich einem investigativen Journalisten der WAZ habe sie sich anvertrauen wollen, damit er die Namen der Dortmunder Unterstützer des NSU überprüft, vielleicht wäre ihre Nachbar darunter gewesen, so hoffte Frau A. Doch der Journalist meldete sich nicht wieder, vermutlich waren ihm die Hinweise der Zeugin zu vage.

In Saal A101 jedenfalls schildert Frau A. ihre Beobachtungen ausführlich, sie ist eine gute Zeugin, die erklären kann, warum sie sich an bestimmte Dinge so genau erinnert: Sie nennt für die Beobachtung einen emotionalen "Erinnerungsanker", den Umzug ihrer Tochter. Und dass ihr die Szene im Garten des Nachbargrundstücks, auf dem sie vier oder fünf Personen, also Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und einen bulligen Skinhead, drei bis fünf Minuten fast regungslos hat herumstehen sehen, "bedrohlich" vorkam. Und selbst absurde Details, wie zum Beispiel das Fernglas, das griffbereit am Fenster lag, kann sie erklären: Es gehörte ihrer Mutter, die es für "Naturbeobachtungen" nutzte.

Die Ausführungen der 62-Jährigen wirken manchmal perfekt, vielleicht zu perfekt.

Die Ausführungen der 62-Jährigen in grauem Kleid, grauen Stiefeln und weißer Wollstola wirken manchmal perfekt, vielleicht zu perfekt. Sie habe sich immer wieder selbst hinterfragt, sagt sie dem Richter, der wohl merkt, dass Frau A. kritische Fragen mit Verständnis für diese und weiteren Erklärungen einfängt. Sie ist sich sicher, das betont sie. Die Frau auf dem Foto, das ihr vorgelegt wird, will sie noch nie gesehen haben. Es ist die Ehefrau des Vermieters, den sie als "bulligen Skinhead" bezeichnet. Der hatte in seiner Vernehmung von einer Verwechslung gesprochen, schließlich bestehe eine gewisse Ähnlichkeit zwischen seiner Frau und Zschäpe.

Die Verteidigung der Angeklagten Zschäpe und Wohlleben setzen in ihrer Befragung nun alles daran, die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu erschüttern. Wohlleben-Anwalt Olaf Klemke zielt dabei auf die vermeintliche Ideologie der Zeugin: Ob es stimme, dass sie ein Buch mit dem Bundesvorstand der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" herausgegeben habe, will er von ihr wissen. Frau A. geht in die Offensive: Ja, sie sei im Bundesvorstand gewesen, und um es abzukürzen: 1989 sei sie aus der Deutschen Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden, weil sie sich kritisch mit dem Stalinismus auseinandergesetzt habe.

Hat nun ihre politische Haltung die Beobachtungen im Nachbargarten eingefärbt? So rigoros wie ihr Mann, ein Historiker und ehemaliger Direktor des Dortmunder Stadtarchivs, sei sie jedenfalls nicht gewesen. Der habe die nächtlichen Umbauarbeiten im Nachbargarten mit den Worten kommentiert: "Das sind Neonazis, die hier was vergraben."

Der Nachbar legte wohl lediglich einen Gartenteich an, doch das war Herrn und Frau A. nicht geheuer. Hat Frau A. also aus ihrem Hausverwalter einen "bulligen Skinhead" gemacht hat, weil es sich in ihr Weltbild einfügt, wie manche Prozessbeobachter nun vermuten? Oder hat sie einfach besonders sensibel reagiert auf Rechtsextreme in ihrer Nachbarschaft? Sie berichtet schließlich auch, dass sich einige in der Kneipe gegenüber trafen und Spielerfolge mit Hitlergruß feierten – eine Aussage, die selbst diejenigen bestätigen, die ihre anderen Angaben für zu vage hielten. Dass die Kinder des Hausverwalters nach germanischen Göttern benannt sind, könnte tatsächlich ein Indiz für seine rechte Gesinnung sein. Warum die Kinder der türkischen Familie im zweiten Stock nicht im Garten spielen dürfen, muss damit allerdings noch lange nicht erklärt werden.

Die Angaben der Zeugin A. in Bezug auf Zschäpe verblassen an diesem Montag im Münchner Gericht vorallem durch die 178-Seiten Nachermittlungen, die die Bundesanwaltschaft in kürzester Zeit vorgelegt hat: Ein Wohnmobil habe gar nicht auf die Einfahrt gepasst, haben die Ermittler festgestellt. Und einen VW-Passat, eines der Autos, die die NSU-Terroristen im fraglichen Zeitraum nachweislich anmieteten, hat Frau A. nicht gesehen.

Aber unglaubwürdig macht der antifaschistische Blick Frau A. nicht. Im Gegenteil – sie scheint dadurch eine zu sein, die besonders aufmerksam ihre Umwelt betrachtet. Die die NPD-Plakate an der Straßenecke wahrnimmt, die sich bedroht fühlt von Neonazi-Kameradschaften, die sich erdreisten, dem amtierenden Bürgermeister der Stadt vor seinem Privathaus "Weihnachtsgeschenke" zu überbringen. Und letztlich hat Frau A.s Einvernahme dazu geführt, dass am 40. Verhandlungstag im Prozess gegen die brutalste rechtsterroristische Mordserie der Bundesrepublik wieder das Wort "Faschismus" gefallen ist.

Für die BRIGITTE beim NSU-Prozess vor Ort ist Lena Kampf. Sie berichtet aktuell für BRIGITTE.de und stern.de. Dort schreibt sie auch ein Blog über die Verhandlungen in München.

Text: Lena Kampf

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