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Brigitte Böhnhardt und die Schuld der Mutter

Brigitte Böhnhardt ist die einzige Mutter, die noch Kontakt zum Terrortrio im Untergrund hatte. Aus Liebe zu ihrem Sohn Uwe hat sie ihn nicht auffliegen lassen. Heute ist sie Zeugin im NSU-Prozess.
keine Bildunterschrift
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© Michael Reichel/dpa

Einmal hat sie ihn noch im Arm gehalten; Uwe, den Sohn, den Mörder. 2002 war das, im Juni. Brigitte Böhnhardt und ihr Mann Jürgen hatten wieder einen Zettel im Briefkasten gefunden. Ein Treffpunkt stand darauf, ein Park in Chemnitz. Mit ihrem eigenen Auto durften sie dort nicht hinfahren. Uwe hatte am Telefon gesagt, sie sollten sich ein Auto mieten, damit ihnen der Verfassungsschutz nicht folgt. Und eine Bitte hatte er: Sie sollten Fotos von seiner Nichte N. mitbringen, die Tochter seines Bruders, die er vergötterte. Beate Zschäpe hatte sich außerdem Backrezepte für Plätzchen gewünscht, Brigitte Böhnhardt daraufhin einige aus ihrem Kochbuch abgeschrieben.

Die Eltern Böhnhardt hatten sich an die konspirativen Umstände gewöhnt. Sie mussten sich darauf einlassen, es war der einzige Weg, mit ihrem Nesthäkchen Kontakt haben zu können. Auch die halbjährlichen Telefonate liefen nach dem Muster ab: ein Zettel im Briefkasten, mit Zeitpunkt und einer Telefonzelle, die Uwe dann anrief. Bereits zweimal hatten sie ihn und seine Freunde Uwe Mundlos und Beate Zschäpe getroffen, nachdem sie am 26. Januar 1998 untergetaucht waren. Dieses würde das letzte Mal sein.

"Wie konnte sie mich umarmen?"

"Wie konnten sie mich umarmen?!"

"Ich sehe den immer noch", hat Brigitte Böhnhardt 2012 NDR-Journalisten erzählt. "Ich merke auch immer noch die Umarmung von Uwe Mundlos, der mir auftrug, seine Mutter zu grüßen." Er solle als Ältester auf ihren Uwe aufpassen, habe sie ihm gesagt. Und Beate Zschäpe riet sie: "Mädchen, überleg dir das doch. Du bist eine Frau, was willst du denn machen?"

Die drei Neonazis wurden zu diesem Zeitpunkt immer noch gesucht, bei der Razzia im Januar 1998 hatte man zündfähige Rohrbomben in einer Garage gefunden, die Beate Zschäpe angemietet hatte. Die drei "Bombenbauer aus Jena" waren bundesweit zur Fahndung ausgeschrieben. Jetzt, vier Jahre später, wollten sie ins Ausland fliehen, erzählten sie den Eltern Böhnhardt. "Wir stellen uns nicht."

Unter Tränen verabschiedeten sie die beiden Uwes und ihre Quasi-Schwiegertochter Beate Zschäpe. Was Brigitte und Jürgen Böhnhardt nicht wussten: Ihr Sohn hatte da schon vier Menschen erschossen, wohl einen Bombenanschlag in Nürnberg verübt. Ihr Sohn war Terrorist geworden. "Ich verstehe nicht, wie sie mich umarmen konnten und bereits viermal getötet haben sollen", hat Brigitte Böhnhardt einmal verzweifelt gesagt. "Mir geht das nicht in den Kopf."

Kleine Anzeichen nicht ernst genug genommen

Brigitte Böhnhardt, die Mutter, ringt mit ihrer Schuld. Als Sonderpädagogin hat sie nach der Wende viele schwierige Kinder erzogen. Ausgerechnet ihr entgleitet der eigene Sohn.

Vielleicht war es der Tod des Bruders Peter, 1988 fand die Familie ihn erkaltet vor der Haustür. Beim Klettern war er abgestürzt, seine Freunde legten ihn aus Angst tot vor dem Haus der Familie ab. "Uwe hat das sehr getroffen, danach begannen die ersten Probleme mit ihm in der Schule", erzählte Brigitte Böhnhardt in einer Vernehmung den Ermittlern des BKA. Eine Karriere als Kleinkrimineller folgte, Uwe Böhnhardt klaute Autos und am Kiosk. 1993 oder 1994 lernte er rechte Freunde kennen. Uwe Mundlos kam zum ersten Mal 1994 in die Wohnung der Böhnhardts, später brachte Uwe Beate Zschäpe mit nach Hause. Sie wurde seine Freundin. Brigitte Böhnhardt fand sie nett. "Nie hätte ich gedacht, dass die auch zu den Rechten gehört", sagt Brigitte Böhnhardt heute. Sie berichtet auch, dass ihr Sohn zu Hause keine Nazi-Musik hören, seine Messer nicht mit aufs Zimmer nehmen durfte. Dass sie mit ihm über seine Meinungen diskutiert habe, den arbeitslosen Waffennarr aber nicht dem Rechtsextremismus entreißen konnte. "Unser Fehler war es, dass wir die kleinen Anzeichen nicht ernst genug genommen haben", sagt Brigitte Böhnhardt. "Wir dachten immer, sobald der Arbeit hat, wird das wieder."

Die Schuld der anderen

Brigitte Böhnhardt ringt aber auch mit der Schuld der anderen. Der Polizei macht sie schwere Vorwürfe. Beamte hätten ihren Sohn gewarnt. Bei der Razzia 1998 habe ein Polizist ihm zugeflüstert: "Jetzt biste fällig, der Haftbefehl ist unterwegs", so habe es ihr Sohn ihr später erzählt. Uwe Böhnhardt, der 1995 für einige Tage im Gefängnis gewesen war, hatte damals geschworen: nie wieder in den Knast!

Aber auch dem Verfassungsschutz misstraut Brigitte Böhnhardt mittlerweile zutiefst. Zunächst koalierte sie noch mit ihnen: 1998 führten Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz Thüringen sogenannte Aussteigergespräche mit ihr – Brigitte Böhnhardt sollte mit ihrem Sohn über eine Rückkehr in die Legalität verhandeln. Die Staatsanwaltschaft jedoch hielt sich nicht an die Absprachen – aus der Zusage, den Haftbefehl gegen die drei Flüchtigen sofort fallen zu lassen, wurde das Angebot, nach zwei Wochen Haft und umfassenden Aussagen die Strafverfolgung zu beenden.

Die Gespräche scheiterten. "Eine Fortführung der Verhandlungen ist nicht vorgesehen", steht nüchtern in einem Vermerk, der stern.de vorliegt. Obwohl das Landesamt für Verfassungsschutz offenbar wusste, dass Kontakt zwischen den Eltern und den Untergetauchten bestand, befindet sich die Wohnung in Jena-Lobeda nicht auf der "Objektliste" der Observationsmaßnahmen.

Verzweiflung, Versagen, Trauer

Brigitte Böhnhardt hat sich öffentlich den Fragen von Jugendlichen, von Journalisten, von Abgeordneten des Thüringer Untersuchungsausschusses gestellt. Sie ist die einzige Mutter der Terroristen, die spricht, meist sitzt ihr Mann Jürgen daneben, ein wortkarger Ingenieur. Dabei changiert sie zwischen Verzweiflung über das eigene Versagen, Trauer um ihren Sohn und Schuldzuweisungen gegen die Behörden.

An diesem Dienstag steht sie im Münchner Gerichtssal Rede und Antwort. Dabei wird sie auch das erste Mal Beate Zschäpe wiedersehen, ihre Quasi-Schwiegertochter. Im Herbst 1996 hatte Zschäpe mehrere Monate bei ihnen gewohnt, weil ihre Mutter ihre Wohnung verloren hatte. Brigitte Böhnhardt hatte sogar einen Rechtsanwalt für Zschäpe bezahlt nach dem Untertauchen, rund 800 D-Mark Bearbeitungsgebühr bezahlt, damit sie sich stellen könne. Und von ihr erfuhr sie am 5. November 2011, dass ihr Sohn tot ist. Um sieben Uhr morgens klingelte das Telefon. "Uwe kommt nicht mehr", sagte Zschäpe.

"Ich kann mich nicht entschuldigen, weil ich nichts getan habe."

Nicht in Südafrika oder Australien hat sich der Sohn seit dem Abschied im Park in Chemnitz aufgehalten. Er hat neun Jahre lang nur 150 Kilometer von ihr entfernt gelebt. Brigitte Böhnhardt erfährt, dass er zehn Menschen getötet hat, Unzählige lebensgefährlich verletzt. Die rechtsextreme Gesinnung, die sie ihm versucht hat auszureden, hat er bis in letzte Konsequenz ausgelebt.

Der Schmerz der Hinterbliebenen der NSU-Opfer - Brigitte Böhnhardt geht er sichtlich nahe. Sie hat einmal gesagt: "Ich kann mich nicht entschuldigen, weil ich nichts getan habe." Doch Brigitte Böhnhardt hätte etwas tun können. Wenn sie gewusst hätte, dass die Hände, die sie im Juni 2002 so fest umfassten, auch die Ceska gehalten hatten, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Wenn sie das alles früher gewusst hätte, sagt sie heute, dann hätte sie ihren Sohn verraten.

Lena Kampf

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