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Armutsfalle Hartz4 Kinder können nur schwer aufsteigen

Armutsfalle Hartz4: 2 Kinder schauen durchs Fenster nach draußen
© Fedulova.photo / Shutterstock
Nina* und ihre Mutter leben seit Jahren von Hartz IV. Die heute 19-Jährige findet es unfair, dass sie nichts dazu beitragen kann, die Situation zu verbessern.

"In meiner Klasse war ich fast immer die Einzige, bei der die Klassenreise vom Amt übernommen wurde. Ich musste mich dann melden, um vom Lehrer das entsprechende Formular zu bekommen. Peinlich war mir das nie. Ich bin immer offen mit unserer Situation umgegangen. Meine Mutter aber schämt sich dafür. Es ist ihr unangenehm, abhängig zu sein und mir so wenig bieten zu können.

Meine Eltern haben sich getrennt, als ich vier war. Seitdem lebe ich bei meiner Mutter. Mein Vater kauft mir zwar ab und zu Sachen, Klamotten zum Beispiel oder ein Laptop zum Geburtstag, aber Unterhalt hat er nie bezahlt. Auf Hartz IV sind wir, seit meine Mutter vor fünf Jahren ihren Job als Kellnerin verloren hat. Sie hat dann auch Depressionen bekommen und konnte eine Weile gar nicht arbeiten. Nun sucht sie wieder eine Stelle, aber Corona-bedingt ist das natürlich schwer. Sie hat ja keine Ausbildung, sondern musste in ihrer Heimat Albanien die Schule verlassen, als sie mit 14 zwangsverheiratet wurde und dann mit ihrem ersten Mann nach Deutschland gegangen ist.

Meine Mutter versucht immer, irgendwie das Beste daraus zu machen.

Meine Mutter kann gut mit Geld umgehen, trotzdem wird es am Ende des Monats manchmal knapp. Aber sie versucht immer, irgendwie das Beste daraus zu machen. Wir kaufen dann zum Beispiel ganz viele Kartoffeln oder Linsen, und es gibt Suppe oder Eintopf, sie kocht sehr gut, und wir haben auf jeden Fall immer eine warme Mahlzeit am Tag. ,Bitte iss nicht draußen‘, sagt meine Mutter dann – also woanders als zu Hause, wie es meine Freundinnen manchmal spontan machen. Und sie ermahnt mich, keine Süßigkeiten oder so was zu kaufen, sondern nur das, was wirklich wichtig ist.

Wenn ich neue Patronen für meinen Drucker – ein Geschenk meines erwachsenen Halbbruders – brauche, muss ich das meiner Mutter zwei Wochen vorher sagen. Und das Rezept für meine Asthmamedikamente lag mal drei Wochen rum, bis ich die 15 Euro für die Apotheke hatte. Neulich habe ich mir zwei Bücher gekauft, um mich aufs Abi vorzubereiten. Ich weiß, dass die 20 Euro eine gute Investition sind, aber trotzdem war es schade, als das Geld weg war.

Urlaub oder Schwimmbad? Selten drin

Ich würde gern mal mit meiner Mutter Urlaub machen. Mit meinem Vater fahre ich manchmal weg, aber mit meiner Mutter höchstens 30 Stunden im Bus zu ihrer Familie in Albanien. Wir unternehmen auch sonst fast nichts. Wenn andere erzählen, dass sie mit ihren Eltern im ,Hansa-Park‘ waren, im Schwimmbad oder im Kino, kann ich nicht mitreden. Es ist bedrückend, aber ich habe mich daran gewöhnt, dann einfach still zu sein.

Unfair finde ich, dass ich nichts dazu beitragen kann, unsere Situation zu verbessern. Alle paar Monate müssen wir unsere Kontoauszüge abgeben und zu jeder Zahlung Stellung nehmen, die wir überweisen oder bekommen – und seien es 20 Euro Kleingeld, die sich durch die Rückgabe von Pfandflaschen angesammelt haben. Schon das ist demütigend. Und als ich einmal durch einen Job bei einer Messe knapp 300 Euro verdient habe, wurde das meiner Mutter eine Weile später wieder abgezogen. Ich war richtig sauer! Unser Geld fließt doch nur in Lebens-mittel und das, was wir wirklich brauchen. Aber meine Mutter wollte nicht, dass ich beim Amt anrufe und mich beschwere. Sie hat Angst vor Behörden, den Kontakt mit offiziellen Stellen verbindet sie mit Stress. Sie kriegt dort auch oft blöde Kommentare, neulich hat die Frau vom Amt gesagt: ,Na, so arm sehen sie ja gar nicht aus!‘

Den Lehrer:innen das Gegenteil beweisen

Meine große Halbschwester hat nur den mittleren Schulabschluss. Sie musste damals mit der Schule aufhören, um meine Mutter finanziell zu unterstützen. Sie hat morgens von vier bis sieben gearbeitet und dann wieder direkt nach Schulschluss am Nachmittag – irgendwann ging das nicht mehr. Zu mir haben die Lehrer:innen immer gesagt: ,Such dir eine Ausbildung, du machst eh kein Abi.‘ Ich war bei denen von Anfang an in einer Schublade.

Eine Weile war ich auch ein echtes Katastrophen-Kind. Ich war sehr unruhig, und alle meinten, ich hätte ADHS. Aber irgendwann habe ich die Kurve gekriegt. Meine Mutter konnte mich in der Schule nicht unterstützen, aber mit meinem Vater konnte ich reden. Er hat mir geholfen, und so habe ich nach und nach gelernt, mich auf Sachen zu konzentrieren, meine Arbeit zu organisieren und zu strukturieren. In der Oberstufe haben mir dann auch meine Freundinnen geholfen, mich motiviert und mir das gegeben, was ich zu Hause nicht hatte.

Und nun mache ich tatsächlich mein Abitur! Ich merke, dass das meine Mutter schon glücklich macht, aber sie sagt es nicht. Sie fragt auch nie nach Noten. Ihr ist das ganze System fremd. Im Herbst möchte ich ein duales Studium beginnen, Immobilienmanagement. Ich habe mir genau ausgerechnet, dass mit dem Bafög, das ich beantrage, auch alles hinkommt.

Für eine bessere Zukunft

Natürlich habe ich früher auch oft von Sachen geträumt, die wir uns nicht leisten konnten, oder mir vorgestellt, ich würde leben wie meine Freundinnen: in einem Haus mit Garten, mit Eltern, die studiert haben und mir bei den Hausaufgaben helfen können, mit einem Auslandsjahr. Aber eigentlich war ich immer zufrieden mit dem, was ich hatte. Trotzdem möchte ich später auf keinen Fall so leben wie meine Mutter. Meine Kinder sollen es anders haben als ich. Das ist auf jeden Fall eine große Motivation."

* Der Name wurde von der Redaktion geändert

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13/2021 Brigitte

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