Anzeige

Leben mit Beinamputationen Influencerin erlitt schweren Autounfall: "Mein Vater sagte, es wäre besser gewesen, wenn ich gestorben wäre"

Angie Berbuer
© Future Image / imago images
Seit einem Autounfall 2019 hat Angie Berbuer keine Beine mehr. Heute ist die 23-Jährige eine erfolgreiche Influencerin. Im stern-Interview sagt sie: "Ich versuche einfach, mein Glück in allem zu finden."

Gut zweieinhalb Jahre ist es her, dass sich das Leben von Angie Berbuer von einem Tag auf den anderen schlagartig veränderte: Im November 2019 verlor sie bei einem Verkehrsunfall beide Beine. Doch die junge Frau ließ sich davon nicht unterkriegen. Ganz im Gegenteil: Heute ist die 23-Jährige aus Köln eine erfolgreiche Influencerin – auf Instagram hat sie mehr als 150.000 Follower, auf TikTok verfolgen sogar deutlich mehr als 450.000 Menschen ihre Updates. 

Auch analog erzählt Berbuer ihre Geschichte: Sie hat in diesem Jahr ihre Autobiografie "Mein Glück ist meine Entscheidung" veröffentlicht. Im stern-Interview spricht Angie Berbuer über ihr Leben ohne Beine, Phantomschmerzen und die Kunst, trotz Rückschlägen positiv zu bleiben.

Angie Berbuer: "Ich bin viel dankbarer geworden"

Angie, was genau ist an diesem November-Tag passiert? Angie Berbuer: Ich war mit einem Kumpel unterwegs und wir haben sein neues Auto abgeholt. Auf der Autobahn kam uns dann ein Lkw sehr nahe, weil der Fahrer uns im toten Winkel nicht gesehen hat – und dann kam es zum ersten Unfall. Das ging alles sehr schnell.

Ich bin direkt zum Kofferraum und wollte das Warndreieck suchen, um die Unfallstelle abzusichern. Was dann passiert ist, kann ich selbst kaum glauben: ein italienischer Krankentransport kam von hinten angefahren – aus irgendwelchen Gründen war der Fahrer unaufmerksam und hat mich nicht gesehen – dann kam es zum Crash.

Der Wagen ist direkt in mich reingefahren, hat mich eingequetscht und meine Beine waren am Unfallort direkt abgetrennt. Normalerweise wäre ich zerdrückt worden und verblutet. Zwei Faktoren die mein Glück im Unglück waren: Erstens, ich hatte keinen Gang drin und die Handbremse nicht angezogen. Dadurch wurde das Auto etwas nach vorne geschoben. Zweitens: Material meine Beine abzubinden war direkt am Unfallort und somit bin ich nicht direkt verblutet.

Danach hast du dich im Krankenhaus wiedergefunden. Was war die erste Reaktion, als die Ärzte dir mitgeteilt haben, dass du keine Beine mehr hast? Die Ärzte haben mir gesagt, dass mir beide Beine fehlen, und ich habe einen Moment innegehalten und gesagt: 'Ich spüre die doch noch.' Darauf hin habe ich drei Fragen gestellt: Kann ich noch Sport machen? Kann ich noch Sex haben? Kann ich noch Kinder bekommen? Alle drei wurden mit Ja beantwortet. Da wusste ich: Mein Leben wird anders, aber mein Leben bleibt trotzdem völlig lebenswert. Die Ziele, die ich hatte, waren immer noch zu erreichen.

Kann man beschreiben, wie sich diese Phantomschmerzen anfühlen? Es ist ein bisschen so, als würden deine Beine einschlafen. Oder wie Muskelkater. Man kann es sich so vorstellen, als wären die Blutbahnen in meinem Körper alle Kabel. Die Kabel sind jetzt abgeschnitten an der Stelle, wo meine Beine enden. Es ist wie im Computer, dass du ein Signal bekommst, aber das Signal kommt nicht an, das kommt zurück und dadurch bekommt der Kopf die Rückmeldung, dass irgendwas nicht stimmt.

Wie haben deine Familie und deine Freunde auf deinen Unfall reagiert? Das Umfeld hat für mich den Unfall eigentlich noch schlimmer gemacht. Die Rollen waren total vertauscht: Es war schön, dass die Leute da waren, aber ich musste die Leute trösten. Ständig musste ich den anderen beweisen, dass es mir gut geht. Ich war körperlich im Arsch, aber psychisch ging es mir gut. Und das hat mir keiner geglaubt. Das war das Schlimmste für mich.

Es scheint so, als hättest du ziemlich schnell deinen Frieden mit dem Unfall gemacht. Gab es auch Tiefpunkte? Es gab drei Situationen, die für mich schlimm waren. Zum einen hat mein Vater gesagt, dass es besser für mich gewesen wäre, wenn ich bei dem Unfall gestorben wäre.

Dann gab es eine Situation mit meiner Mama, die bei der Entlassung aus dem Krankenhaus meinte, dass ich mir eine Decke über die Beine legen soll, weil die Menschen so gucken. Das war sehr verletzend.

Und dann stellte sich für mich die große Frage: Wird mich noch mal ein Mensch lieben können? Weil ich ja nicht mehr vollständig bin. Ich habe meinen Wert nicht mehr gesehen.

Wie denkst du heute darüber? Ich bin vollwertig, ich bin ein ganzer Mensch, auch wenn mir beide Unterschenkel fehlen. Ich bin absolut eigenständig, ich kann immer noch einen Haushalt führen. Klar, ich bekomme hin und wieder Unterstützung. Aber das steht mir auch zu. Und man muss man sich nicht dafür schämen, das anzunehmen oder danach zu fragen. Nach dem Krankenhaus habe ich diesen Wert in mir nicht gesehen. Da dachte ich, dass ich jetzt ein Mensch bin, der sich unterordnen muss.

Jetzt bist du auf Prothesen unterwegs. Wie funktioniert das? Die Prothesen werden über Mikroprozessoren gesteuert, da ist ein kleiner Computer drin. Die muss ich einmal die Woche aufladen, was ich auch regelmäßig vergesse. Wenn ich sie eine halbe Stunde lang auflade, halten sie wieder drei Stunden. Mein Bein wurde eingegipst und aus der Form wurde mein Schaft gebaut, also der obere Teil der Prothese. Mein Oberschenkel steckt dann in einer Hülle, und die Prothesen reagieren darauf, wie ich mein Gewicht verlagere.

Wie teuer sind die Teile? Ich habe da schon ein teures Sportfahrzeug an meinen Beinen ... ich glaube, es sind zwischen 60.000 und 80.000 Euro.

Du hast deinem Buch den Titel gegeben: "Mein Glück ist meine Entscheidung“. Klingt womöglich etwas einfach, aber genau damit hadern ja viele Menschen auch bei vergleichsweise kleineren Problemen: Dass es ihnen schwerfällt, unabhängig von Umständen glücklich zu sein. Was ist dein Geheimnis dahinter? "Mein Glück ist meine Entscheidung“ steht zunächst einmal für mich. Ich will nicht sagen, dass jeder das für sich entscheiden kann, allein schon aufgrund von psychischen Erkrankungen. Und auch ich spreche über Probleme und Grenzen.

Aber ich versuche, in den Situationen, wo ich wirklich Scheiße erlebe, immer das Positive zu sehen. Ich habe schon im Krankenhaus gesagt: Ich bin die Frau, die ihr Lächeln nie verliert. Oder wenn ich mir die große Frage stelle: Warum ich? Dann denke ich mir: Deswegen, weil ich damit klarkommen konnte. Ich versuche einfach, mein Glück in allem zu finden – sowohl im Positiven als auch im Negativen. Warum sollte ich mit meinem Unglück hadern? Ich nehme es einfach an.

Sehr bald nach dem Unfall, noch aus dem Krankenhaus, hast du angefangen, auf Social Media Updates aus deinem Leben zu posten. Wie kam es dazu, dass du diesen Weg gegangen bist? Als ich im Krankenhaus mein Handy wieder angemacht habe, kamen so viele Nachrichten rein, dass ich sie gar nicht lesen konnte. Von Freunden, Familie, Bekannten, von Leuten, die meine Freunde kennen, einfach viel zu viel.

Dann habe ich angefangen, auf Instagram zu posten – eher mit dem Gedanken, die Leute zu informieren und nicht so sehr, Menschen zu motivieren. Das kam später. Ich hatte zum Zeitpunkt des Unfalls etwa 800 Follower – und das hat dann relativ schnell Fahrt aufgenommen, auf einmal waren es 4000 Follower. Und dann habe ich irgendwann mehr und mehr erzählt und jeden Tag meine Fortschritte geteilt.

Wie bist du mit dieser plötzlichen Aufmerksamkeit umgegangen? Das war für mich total schön. Ich habe von meinen Eltern nie groß Aufmerksamkeit bekommen, und wenn du die dann erhältst, ist das schon ein geiles Gefühl.

Die vielen Rückmeldungen bedeuten mir wirklich die Welt, aber egal wie viele Follower ich habe, egal wie viele Nachrichten ich bekomme, das kann nie die Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge von Eltern ersetzen. Ich habe es akzeptiert, aber trotzdem ist da noch dieses kleine Kind in mir, das sich das wünscht.

Welche Reaktionen bekommst du heute auf deine fehlenden Beine? Die sind zu 99 Prozent positiv. Die schönsten Reaktionen kommen von Kindern, die sagen: Guck mal Mama, das ist ein Transformers-Mädchen. Viele Menschen müssen erst zweimal hingucken, denn ist ja von außen total stimmig, es sieht so aus, als würden die zwei Prothesen zu mir gehören. Und das sieht nicht nur so aus – es ist auch so.

Gibt’s auch mal unangenehme Situationen? Manchmal. Zum Beispiel wenn jemand auf mich zukommt und sagt: Respekt, dass du dich raustraust. Was soll ich denn machen, im Keller auf den Tod warten? Ich habe gelernt, damit umzugehen, aber das sind Reaktionen, die ich nicht schön finde.

Was für einen Umgang wünschst du dir denn? Einen offeneren Umgang, deshalb rede ich ja auch darüber. Ich möchte, dass Leute aufmerksam durchs Leben gehen. Vor allem das Thema Barrierefreiheit liegt mir sehr am Herzen.

Meine Wohnung ist für mich komplett barrierefrei, aber für jemanden, der eingeschränkt in seinem Sehen ist, vielleicht nicht. Barrierefreiheit bedeutet für jeden etwas anderes: Wie soll zum Beispiel jemand, der gelähmt ist oder nur einen Arm hat, einen Seifenspender bedienen, wo man oben draufdrücken und eine Hand drunterhalten muss? Oder Mülleimer, wo man drauftreten muss. Wie soll das jemand im Rollstuhl machen?

In deinem Buch schreibst du: "Ich bin nicht glücklich trotz meiner fehlenden Beine, sondern wegen meiner fehlenden Beine." Bedeutet das, dass dein Leben heute besser ist als vor dem Unfall? Hätte ich nach dem Unfall 30 Sekunden länger dagelegen, ohne dass mir jemand hilft, wäre ich verblutet. Wenn du mal so nah am Tod warst, nimmst du das Leben ganz anders wahr.

Deswegen würde ich schon sagen, dass ich jetzt glücklicher bin. Mein Leben war vor dem Unfall nicht schlechter, es war einfach anders – aber ich bin viel dankbarer geworden. Dankbar für alles Positive und Negative, was ich im Leben erleben darf, weil mich das zu dem Menschen geformt hat, der ich heute bin. Und diese Dankbarkeit macht mich glücklich.

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei stern.de.

epp/stern

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel