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Angela Merkel Warum wir ihr danken – und nicht die Vertrauensfrage fordern sollten

Angela Merkel
© imago images
Angela Merkel rudert zurück. Nachdem beschlossen wurde, dass das gesamte Land über die Ostertage herunterfahren soll, entscheidet die Regierung keine zwei Tage später, dass es eine fehlerhafte Maßnahme sei. Merkel nimmt die komplette Schuld auf sich. In meinen Augen ein Abbild von Größe.

Es war eine Entscheidung, die viele – auch mich – überraschte. Anfang der Woche erklärte die Bundesregierung, dass es verlängerte Ruhetage über Ostern geben soll. Auch am Gründonnerstag und Karsamstag sollten die Menschen zu Hause bleiben: Ein Schritt, um das Coronavirus weiterhin einzudämmen. Doch nur wenige Stunden später zerspringt das Vorhaben wie ein heruntergefallenes Osterei. Aufwand und Nutzen stünden in einem schlechten Verhältnis. Angela Merkel räumt ein, es sei "einzig und allein" ihr Fehler.

Der Aufruhr über unsinnige Ruhetage verwandelt sich schlagartig in allgemeines Missfallen. Merkel sei unfähig, es sei "eine Blamage erster Güte" und auch der "Vertrauensverlust von Angela Merkel" wird thematisiert. In meinen Augen eine reproduzierte Wut, die seit einem Jahr in den Menschen kocht. Nein, sogar brodelt und nun durch Kommentare, Artikel und Social-media-Beiträge geballt an die Oberfläche kommt. Für mich zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt.

Angela Merkel: Wut und Missfallen trifft auf Respekt und Größe

Die "Tagesschau" beschreibt Merkels Entscheidung der Ruhetage als einen Fehler, der "nach einem Jahr Krisenmanagement in der Pandemie" nicht passieren sollte. Und ja, ganz Deutschland wünscht sich nach über 12 Monaten des Wartens, des Ausharrens und des Geduldigseins endlich klare Maßnahmen. Keine Ideen, Vorschläge oder lediglich gut gemeinte Konzepte, die allerdings nicht ausgearbeitet sind. Merkel habe sich nicht gut genug vorbereitet; ein No-Go nach einem Jahr der Pandemie.

Auch ich wünsche mir eine klare Regelung und Umsetzungen, die endlich Erfolge zeigen. Ich will die Fehlentscheidungen des vergangenen Jahres nicht gutheißen oder gar verteidigen. Dennoch bin ich der Meinung, dass Angela Merkel mit ihrem offenen Eingeständnis nicht nur den richtigen Weg gewählt hat, sondern dafür Respekt verdient. 

Warum suchen Menschen immer nach der Unmenschlichkeit?

In den Medien habe ich seit Merkels Eingeständnis vor allem eines gelesen: Es sei ein Schachzug und das Resultat schlechter Führung. Eine Umschreibung, die hinterfragt werden muss. Gibt es in einer Situation, die auch Angela Merkel so noch nie durchlebt habt, einen Schachzug? Vor allem einen, den wir in 16 Jahren nicht von der Kanzlerin erlebt haben? Weshalb suchen wir Menschen immer wieder nach der Unmenschlichkeit? Wieso versuchen wir in den sozialen Medien in einer Revidierung der Fehlentscheidung, die als solche ganz klar benannt wurde, erneut den Fehler zu suchen?

Ja, auch ich habe den Plan der Osterruhetage als absurd erachtet, auch ich habe es hinterfragt – dass solch eine "Idee" durchgeboxt wird, ohne über alle möglichen Konsequenzen, rechtliche Maßnahmen und Aufwand nachzudenken, ist töricht – in einem Land, das unter Strom steht, sogar fahrlässig. Doch welche Alternative hatte Angela Merkel, als zurückzurudern? Es gibt nur eine: Was sich die Menschen derzeit wünschen, ist ein Zeitumkehrer. Man kann sich sicher sein, die Bundesregierung wünscht sich das sicherlich auch. Soll ich nun Groll hegen, weil eine Entscheidung, die auch mir nicht sinnig erschien, korrigiert wurde? Einen Fehler auf sich zu nehmen und öffentlich einzugestehen, zeugt von Größe. 

Die Größe des Annehmens

Was mir fehlt? Die Größe des Annehmens. Denn eine solche Revidierung der Bundesregierung anzunehmen, zeugt ebenfalls von Größe. Und was wäre denn die Alternative? Weiter in den Strudel der Verzweiflung abzudriften? Ruhetage umzusetzen, nur weil man zu stolz ist, einen Fehler einzugestehen? Viele fordern, dass Merkel die Vertrauensfrage stellt – sie lehnt es entschieden ab. Auch ich habe das Vertrauen in sie nicht verloren.

Ja, im Großen und Ganzen betrachtet ist das Krisenmanagement der Bundesregierung fehlerhaft, wirkt unkoordiniert, oftmals wie ein "unzulängliches Management", wie es die "Tagesschau" beschreibt. Natürlich können wir Stunden über das vergangene Jahr diskutieren, fehlende oder zu harte Maßnahmen kritisieren. Doch hier geht es mir um den medialen Angriff auf eine Frau, die Größe bewiesen hat. Diesen als "unzulängliches Management" abzuspeisen, weil es nicht in das Schema der Kanzlerin passt oder nicht typisch für die Politik ist, sehe ich als einen Angriff auf die Menschlichkeit von Angela Merkel. Denn wir haben hier nicht nur die Bundeskanzlerin vor uns stehen; sondern eine Frau. Eine starke Frau, die eingestanden hat, dass Fehlentscheidungen getroffen wurden. Und eine Frau, die beweist, dass auch in der Politik eine Entschuldigung öffentlich angebracht sein kann. Für mich eine Ausnahme, die ich zu schätzen weiß.

Lass uns die Entschuldigung annehmen als das, was es war

Meine Hoffnung: Ein solcher Fehler darf nicht wieder passieren. Er darf aber auch nicht allein auf den Schultern der Kanzlerin abgeladen werden. Die "Zeit"-Redakteurin Katharina Schuler, die alles andere als meine Meinung teilt, umschreibt meinen Wunsch nach Nachsichtigkeit dennoch treffend: "Auch wir Medien müssen den Politikerinnen und Politikern die Chance geben, wirklich verantwortungsvolle Politik zu machen. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir die Akteure nicht unter einen Handlungsdruck setzen, der Nachdenklichkeit und Gründlichkeit kaum noch ermöglicht, oder – wenn eine nächtliche Sitzung mal kein Ergebnis bringt – das gleich als Komplettversagen bewerten." Geben wir Frau Merkel diese Chance und nehmen wir ihre Entschuldigung als das an, was sie war: menschlich.

Brigitteonline

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