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Angela Merkel Sie konnte Kanzlerin

Angela Merkel: Angela Merkels Hände
© Pool / Getty Images
Angela Merkel wurde am Anfang ihrer Karriere ständig unterschätzt – was ihr nicht geschadet hat. Die Kanzlerin bleibt vage, was ihre Zukunftspläne betrifft – recht hat sie, nach 16 Jahren Weltbühne.

Als Angela Merkel 2005 als Kanzlerin kandidierte, fragte sich die Presse ernsthaft, ob sie das könne. Schließlich habe sie noch nie eine Parade abgenommen (keine Erfahrung als Landeschefin!) oder Oberhäupter fremder Staaten begrüßt – was solle sie da überhaupt anziehen, und müsse sie jetzt beim Staatsempfang wie Schröder herzhafte Umarmungen mit Putin oder lieber Knickse austauschen?

Ihre Lieblingsrolle ist "Stilles Mäuschen"

Angela Merkel ist mittlerweile in einen Status aufgerückt, in dem sie irgendwo jenseits jeglicher Geschlechter- und Parteigrenzen platziert ist, aber wenn man die Berichterstattung über ihre politischen Anfänge betrachtet, dann fühlt es sich so an, als stiege man bei Madame Tussauds in die Kammer des sexistischen Schreckens.

Als Merkel 1991 – nur ein Jahr nachdem sie das erste Mal überhaupt für den Bundestag kandidiert hatte – im Alter von 37 Jahren und in damals sogenannter wilder Ehe lebend Ministerin für Frauen und Jugend wurde, übertrafen die Kommentare einander mit Überschriften wie "Sie wird rot wie ein junges Mädchen", ihre Lieblingsrolle sei "Stilles Mäuschen" ("Bild am Sonntag"). Ha, ha, möchte man da im Nachhinein sagen, das Mäuschen hat dann hinterher ein paar fette Kater erledigt, inklusive Helmut Kohl, dessen "Mädchen" sie doch einmal war. Oder dessen "junge Frau", wie die "Zeit" etwas vornehmer, aber genauso altherrenmäßig schrieb.

Was Merkel wirklich dachte, bleibt im Dunkeln, sie hat stoisch alles weggelächelt und einfach stetig Karriere gemacht. Annalena Baerbock, der die politische Gegenseite übergroßen Ehrgeiz nachsagt, ist in der Hinsicht ein Waisenkind im Vergleich zur promovierten Wissenschaftlerin Angela Merkel, deren rasanter Polit-Aufstieg 1989 am Ende der DDR in der Partei "Demokratischer Aufbau" begann und rapide an Fahrt aufnahm: zwei Ministerien, Generalsekretärin, Parteivorsitzende, alles innerhalb von weniger als zehn Jahren.

Am meisten werden sie die Menschen vermissen, die sie gar nicht wählten

Die erste Partei, für die sich Angela Merkel Ende der 80er-Jahre interessiert hatte, war übrigens die SPD, aber sie wollte nicht – wie verlangt – zuerst einem Ortsverein beitreten. Schade für die SPD. Obwohl man vermuten könnte: Am meisten vermissen werden Angela Merkel vor allem die Menschen links der Mitte, die sie gar nicht gewählt haben. (Meike Schnitzler) 

Eine Pause einlegen will sie und nachdenken, "was mich so eigentlich interessiert", bisschen schlafen, lesen, "und dann schauen wir mal, wo ich auftauche". Mehr, als sie im Juli vor Studierenden in Baltimore preisgab, werden wir wohl erst mal nicht erfahren über die Pläne Angela Merkels. Trotz Corona und der Flut, den großen Krisen der letzten zwei Jahre: Ihre Kanzlerschaft schleicht sich aus wie eine Ehe kurz vor der Trennung – noch ist der andere da, aber man spürt ihn schon nicht mehr.

Liebe war bei den Wahlentscheidungen für Angela Merkel seit 2005 wohl ohnehin nie das entscheidende Kriterium. Sie ist keine, die Nähe über Emotionen herstellt; wohl aber über das Gefühl, sich auf sie verlassen zu können, als eine geerdete, uneitle, diskrete, sehr intelligente Person; die schlichte Aussage "Sie kennen mich" reichte für ihre dritte Wiederwahl. Was man dafür bekam? Langstrecken-Politik, zupackend in der Krise, aber reaktiv im Kern inklusive etlicher Aussitz-Themen, siehe Rente, Armut, Digitales, Klima.

Eine Frau, die Weltpolitik kann

Geschrammt hat das ihr Ansehen erst auf den letzten Metern; dagegen stand immer das Gefühl, trotz allem in guten Händen zu sein, bei einer, die Weltpolitik kann, hellwach ist, souverän, respektiert, und zugleich auf sympathische Weise lesbar, etwa mit ihrer ganz eigenen Art des beredten Lächelns – unvergesslich ihr Blick, als Donald Trump ihr 2017 die Hand nicht reichte. Dazu die Überraschungsmomente, wenn ihr Humor aufblitzt, auch bei den beiden BRIGITTE Live-Gesprächen, als sie 2017 zum Beispiel auf die Frage, ob sie unter Perfektionismus leide, erklärte: "Na, wenn ich mal Gäste einlade, halte ich die Gläser auch gegen das Licht."

Sie geht geräuschlos, wie sie als Kanzlerin gekommen ist, 2005, als in der Berliner Runde Gerhard Schröder in Feierlaune verkündete, er sehe keine Veranlassung, sein Amt zu räumen, und sie schwieg und genoss. Schröder, der alsbald in den Dienst russischer Konzerne wechselte, postet inzwischen Blumensträuße, die seine Ehefrau arrangiert; bei Merkel ist nicht mal sicher, ob sie je die große politische Biografie schreiben wird, die wohl redlichste Variante des post-kanzleresken Geldverdienens. Wohl aus Diskretionsgründen: Jeder Verlag würde wollen, dass sie auch ein paar private Momente preisgibt. (Meike Dinklage)

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19/ 2021 Brigitte

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