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Angela Merkel: Das private Porträt einer nicht privaten Frau

Das Magazin Forbes wählte sie gerade zum vierten Mal hintereinander zur "Mächtigsten Frau der Welt". Doch wer ist Angela Merkel wirklich? Für ihr Porträt hat BRIGITTE-Autorin Franziska Wolffheim die Bundeskanzlerin ein halbes Jahr lang immer wieder getroffen und begleitet.

Fotoshow: Angela Merkels Leben in Bildern

Januar 2009: Merkel für alle

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Die Kanzlerin spricht. Sie hält die Hände vor der Brust, die Fingerspitzen berühren sich. Dann klappen die Hände auseinander, gehen wieder zusammen. Am Anfang bangt man, ob sich die Fingerspitzen auch wieder treffen, aber sie schafft es jedes Mal, reibungslos. Immer dieselbe Geste, Hände auseinander, wieder zusammen, Merkel als Merkelomat. Sie sieht ernst und seriös aus. Sachlichkeit, Reibungslosigkeit als Markenzeichen. Nur am Ende huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, das fast schüchtern wirkt, wie das eines Schulmädchens. Ihre Rede über Frauen in der Politik, zwei Minuten und 30 Sekunden lang, ist nicht mitreißend, aber klar aufgebaut. Jeder kann sie aus dem Internet herunterladen, sie gehört zu Merkels wöchentlichen Video-Podcasts. Die Kanzlerin für alle.

Merkwürdig ist nur, dass ihre Halskette die ganze Zeit schief hängt. Warum hat ihr das keiner gesagt? Angela Merkel ist ein Typ, der möglichst wenig dem Zufall überlässt, schon gar nicht ihr öffentliches Bild. Sie hat eine Stylistin, die sich jeden Morgen um ihr Äußeres kümmert. Und sie hat jemanden, der akribisch kontrolliert, dass möglichst wenig von ihrem Privatleben nach außen dringt. Und das ist sie selbst.

Frauenbewegt

Angela Merkel hat ins Foyer des Kanzleramts eingeladen: 26. Januar, der Anlass: 90 Jahre Frauenwahlrecht. Eine lockere Veranstaltung mit Reden, Musikeinlagen und anschließendem Empfang. Unter den Gästen Bürgermeisterinnen aus ganz Deutschland, Landrätinnen, Schulsprecherinnen. Merkel durchquert das Foyer, flankiert von Alice Schwarzer und Ursula von der Leyen. Sie ist gut gelaunt. Während die Familienministerin ihre Rede hält, wendet sich die Kanzlerin immer wieder Alice Schwarzer zu, die neben ihr sitzt, die beiden kungeln fast freundschaftlich miteinander.

Angela Merkels Gesichtsausdruck kann sich in Sekundenschnelle ändern.

Schließlich geht die Kanzlerin zum Mikro, die Schultern leicht hochgezogen. Sie spricht ihren Redetext und sieht etwas lustlos aus. Dann schaut sie hoch, improvisiert, macht ein paar launige Bemerkungen und sagt: "Als es in der Diskussion war, dass ich Parteivorsitzende werden sollte, sagte ein Kollege zu mir: Du musst das machen. Dann guckte ich ihn an und sagte: Ich weiß nicht, ob ich konservativ genug bin."

Solche persönlichen Anekdoten hört man selten von der Kanzlerin. Eben wirkte sie noch unterkühlt, jetzt ist sie vollkommen präsent und geht in die Charme-Offensive. Diese Wechselbäder erlebt man bei Angela Merkel immer wieder, ihr Gesichtsausdruck kann sich in Sekundenschnelle verändern. Was bedeutet das? In welchen Momenten ist sie wirklich bei sich? Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie ihre Gesprächspartner allein lässt, weil sie in Wahrheit schon einen oder zwei Gedanken weiter ist als sie. Dass sie, selbst wenn sie in großer Runde ein Volkslied aus Mecklenburg- Vorpommern singt, bei den letzten Takten schon auf Autopilot geschaltet hat.

Jetzt steht sie unten an der großen Treppe, die in den ersten Stock des Kanzleramts führt. Merkel geht nach oben, ein kräftiger Schritt, die Füße immer mittig auf den Stufen. Beim Empfang isst sie ein Hähnchen-Saté, eilt zielstrebig von Stehtisch zu Stehtisch, posiert fürs Foto, schaut auf die Uhr und sagt: "Wir müssen jetzt los." Anders als ihr Rivale, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der sich gern mal festplaudert, braucht Angela Merkel niemanden, der sie an den nächsten Termin erinnert. Sie ist ihre eigene Antreiberin. Später bekommen die Teilnehmerinnen mit der Post ein großes Foto von der Veranstaltung. Unter dem Bild die Unterschrift der Kanzlerin, rund und ausgewogen. Nur der Buchstabe "g" in ihrem Vornamen wirkt seltsam zaghaft, es fehlt die Unterlänge.

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Februar: Aschermittwoch

Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Eine kleine, verschlafene Hansestadt, in der die CDU seit Jahren mit viel Pomp den Aschermittwoch feiert. Parteimitglieder aus dem gesamten Bundesland und sogar aus Bayern sind gekommen, um Angela Merkel zu sehen - ein Heimspiel für die Kanzlerin. Viele Kamerateams sind vor Ort. Die Luft im Saal ist aufgeheizt, mehr als 2000 Zuschauer. Ein Korridor hat sich gebildet, alle schauen aufgeregt Richtung Tür. Merkel kommt herein, Tusch, Applaus, ihr rechter Arm steht steif in der Luft. Dann schüttelt sie geschäftsmäßig Hände, nimmt Blumensträuße entgegen, lächelt angestrengt. Die Menge will ihren Popstar, nur Merkel will nicht. Sie wirkt so, als habe sie in ihrem Kopf die CD eingelegt: "Ich muss jetzt in der Menge baden."

In ihrer Rede ist sie ungewöhnlich kämpferisch. Sie spricht über die Finanzkrise, kritisiert überhöhte Bonuszahlungen für Manager und verbreitet schließlich Optimismus: "Wir werden gestärkt aus der Krise hervorgehen." Die Stimme wird immer lauter, fast ein bisschen heiser, und am Ende lächelt die Kanzlerin zum ersten Mal. Die Kapelle spielt "Hoch soll sie leben!", Angela Merkel reckt beide Arme in die Luft, was hölzern wirkt, als folge sie einer geheimen Regieanweisung, die da lautet: "triumphierende Geste". Später sitzt sie am langen Tisch und unterschreibt bergeweise Autogrammkarten. Im Ablaufplan heißt dieser Programmpunkt "gemütliches Beisammensein". Obwohl es jetzt fast unerträglich heiß ist im Saal, hat sie ihren roten Blazer immer noch zugeknöpft. Eigentlich ist dieser Abend ihr Fest, aber vielleicht ist sie diejenige im Saal, die am wenigsten mitfeiert. Sie hat zu tun.

März: Bei Anne Will

Merkel trägt einen weißen Blazer und wirkt am Anfang ziemlich nervös, ihre Mimik ist unstet, was selten vorkommt, das macht sie sympathisch, aber auch angreifbar. Es geht um die alte Frage, die der Kanzlerin immer wieder gestellt wird: Wofür steht sie eigentlich? Merkel, die Machtpolitikerin, heißt es, habe die geniale Fähigkeit, abzuwarten, Stimmungen einzufangen, bevor sie sich selbst äußert, um sich schließlich zur Anführerin einer Mehrheitsmeinung zu machen. Zum Beispiel hat sie lange gezögert, ein zweites großes Konjunkturprogramm auf den Weg zu bringen, bis irgendwann der Druck von Wirtschaftsexperten und aus dem Ausland immer größer wurde. Dann machte sie das Paket vehement zu ihrer Sache. Die Merkel-Strategie.

Auch die schärfsten Attacken prallen an ihr ab.

Anne Will nimmt die Kanzlerin in die Zange. "Frau Bundeskanzlerin, sind Sie für diese Krise die Richtige?" - "Ja, ich glaube schon", sagt Merkel, und es klingt nicht ganz überzeugend. "Was muss noch passieren, damit Sie mal richtig zurückschlagen?" - "Jeder hat seine Art zurückzuschlagen . . . Es kann auch mal das Schweigen sein", kontert sie aus der Defensive.

In einem kurzen Einspielfilm werden Bürger befragt, was ihnen zu Angela Merkel, Gerhard Schröder und Helmut Kohl einfällt. Zu Merkel fällt ihnen so gut wie gar nichts ein, zu Schröder oder Kohl dagegen schon. Auch ein CDU-Ortsverband wird befragt und weiß nicht so recht, wofür die Chefin steht. Die Kanzlerin reagiert ziemlich gelassen, nein, sie habe deshalb keine Bauchschmerzen. Angela Merkel hat die erstaunliche Fähigkeit, auch die schärfsten Attacken an sich abprallen zu lassen. Wie weit sie tatsächlich getroffen ist, zeigt sie nicht. Am Ende möchte Will ihr eine Prognose für die Wahlen abtrotzen. Und verlangt beharrlich eine Antwort, sie lasse Merkel da jetzt nicht raus. Merkel entgegnet: "Das hängt ja von mir ab, ob ich da rauskomme." Und lächelt Will in die Defensive.

April: Eine Stunde Fragen

Hintergrundgespräch mit ausländischen Journalisten im Kanzleramt. Eine Stunde dürfen sie die Kanzlerin befragen, es geht um Europa, die Wirtschafts- und Finanzkrise. Neben mir sitzt ein älterer Kollege einer niederländischen Zeitung. Was hält er von Angela Merkel? "Sie ist sehr clever", sagt er, "ich bewundere ihre Intelligenz. Dass sie ihre Weiblichkeit zurücknimmt, macht die Zusammenarbeit mit ihr bestimmt leichter, bodenständiger." Frau Merkel würde dieses Statement vermutlich unterschreiben.

Auf Fragen antwortet Merkel schnell und konzentriert.

Die Kanzlerin antwortet schnell und konzentriert, hat viele Zahlen parat, die sie souverän einstreut. Die Stunde nähert sich dem Ende, ein britischer Journalist stellt gleich drei Fragen auf einmal. Merkel ruft ihn streng zur Ordnung. Ein bisschen klingt das, als würde sie sagen: "Schüler, setzen!"

Mai: Ein anderes Bild

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Ein neuer Bildband über Merkel ist erschienen, die Fotografin Laurence Chaperon hat sie seit Jahren begleitet. Die Kanzlerin sieht fast immer sehr gelackt aus. Nur ein paar Fotos fallen aus dem Rahmen. Zum Beispiel Merkel, windzerzaust, 2007 am Kap der Guten Hoffnung. Ich muss daran denken, dass sie mal über sich gesagt hat: "Ich wollte immer wissen, was auf mich zukommt, auch wenn das womöglich ein wenig auf Kosten der Spontaneität gegangen ist. Mein Leben zu strukturieren und Chaos zu vermeiden war mir wichtiger." Private Planwirtschaft sozusagen. Auf dem Foto hat sie sich ganz dem Wind überlassen.

Kanzleramt

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Ich warte im siebten Stock des Kanzleramtes, in dem Merkel ihr Büro hat. Im ersten Stock hängt eine Galerie von Bildern, die deutschen Kanzler, in Öl gemalt. Als ich mit engen Mitarbeitern über Merkel spreche, sagen sie immer wieder "die Kanzlerin", und das klingt ein bisschen ehrfürchtig. Immer wieder bekomme ich zu hören, wie viele Informationen die Chefin aufnehmen und abrufen kann. Merkel, die Detailversessene. Ihr Kopf muss eine Speicherkapazität von einigen hundert Gigabyte haben. Mehrere Mitarbeiter versichern, sie könne auch ausgesprochen witzig sein. Ich wundere mich, dass das immer wieder betont wird, so als würde man der Kanzlerin diese Eigenschaft nicht zutrauen. Eine Tür geht auf, Frau Merkel kommt mir entgegen und führt mich in ihr Büro, 140 Quadratmeter groß. Gleich am Anfang stellt sie klar: "Wir haben nicht viel Zeit." Sie zeigt auf einen langen Tisch in der Nähe der Tür, an dem sie meistens arbeitet, an ihrem großen Schreibtisch sitzt sie nur selten. Durch das Fenster sieht man den Reichstag, ein großartiger Blick.

Zunächst wirkt Merkel ein wenig misstrauisch. Sie beobachtet mich, wie ich meine Kopfhörer aufsetze, um zu prüfen, ob das Aufnahmegerät läuft. Häufig wird über die Kanzlerin gesagt, sie sei im Umgang mit anderen eher distanziert. Fühlt sie sich in dieser Einschätzung missverstanden? "So wie mir die Menschen begegnen, kann ich von Distanz nicht viel spüren. Ich bedauere nur, dass ich nicht die Zeit habe, mit jedem in ein vertieftes Gespräch zu kommen." Wie sieht sie sich selbst? "Ich bin ein recht fröhlicher Mensch und freue mich, wenn in einem harten, eng verplanten Alltag Zeit für eine lustige Anekdote oder einen Witz bleibt." Und wie hält sie ihren Knochenjob aus? "Ich achte darauf, ausreichend zu schlafen, gehe gern spazieren in der Natur, koche, wenn ich Zeit habe. Ich versuche, möglichst viel Regelmäßigkeit in die Unregelmäßigkeit zu bringen." Mit ihrem Mann rede sie nicht so viel über Politik und möglichst über andere Themen. "Dadurch habe ich eine Tür in ein normales Leben."

Erst als es um ihren Garten geht, taut Merkel auf.

Sie sagt das alles eher emotionslos, es sind die Sätze, die man von ihr erwartet. Themenwechsel. Ich frage Merkel nach ihrem Wochenendhaus in der Uckermark, und plötzlich wirkt sie nicht mehr wie hinter Glas. "Ich bin sehr gern in meinem Garten. Aber die Fläche der umgegrabenen Quadratmeter wird in einem Wahljahr natürlich auch nicht größer." Merkel lacht. Lehnt sich zurück. Der Garten als Türöffner.

Macht Merkel die Arbeit als Bundeskanzlerin zufrieden? Ex-Kanzler Helmut Schmidt nannte diesen Posten vor Jahren ein "schlimmes Amt", die "Last der Verantwortung" sei an der "Grenze dessen, was man auf Dauer ertragen" könne. "Schlimmes Amt - das würde ich anders ausdrücken", antwortet Merkel. "Es ist ein schönes, zum Teil auch sehr ernstes Amt, weil man schwierige Entscheidungen treffen muss. Aber es ist ausfüllend und spannend." Hat sie je bedauert, keine Kinder zu haben? "Es hat sich nicht ergeben. Und dann wäre ich heute keine Politikerin." Angela Merkel sagt das sehr sachlich, ohne Bedauern. Als würde sie, die Naturwissenschaftlerin, eine Versuchsanordnung kommentieren.

Eine letzte Frage nach ihrer Kindheit. Merkel ist in Templin groß geworden, einem kleinen Ort in Brandenburg. Wie war es für sie, in einer Pfarrersfamilie aufzuwachsen? "Wir waren verstärkt unter Beobachtung, die Vertreter des Systems haben auf uns geschaut, weil natürlich auch der SED-Apparat wusste, dass Pfarrer Anlaufpunkte für viele Menschen sind", sagt Merkel. "Deshalb hat unsere Mutter immer gesagt, meine Geschwister und ich müssten im Zweifel besser sein als die anderen Kinder, um nicht angreifbar zu sein. Das ist mir manchmal auch gelungen." Der letzte Satz ist ein perfektes Understatement. Merkel erzielte in vielen Fächern, etwa Mathematik und Russisch, Spitzenleistungen. Sie war nicht nur besser, sie war die Beste.

Der Mathelehrer

Ich rufe Hans-Ulrich Beeskow an, er war der Mathelehrer von Angela Merkel und lebt noch heute in Templin. Ich frage ihn nach seiner ehemaligen Schülerin, die er bis zur achten Klasse unterrichtet hat. Angela sei ungewöhnlich begabt gewesen, sagt Beeskow, dabei freundlich und offen, nicht verbissen, kein Streber- Typ, der sein Wissen lieber für sich behält. "In Physik hat sie sogar mal eine Fünf gefangen, damit konnte sie aber umgehen." Mit Jungs, sagt Hans- Ulrich Beeskow, sei sie eher zurückhaltend gewesen, habe sich aber auch nicht in der Ecke verkrochen.

Es gibt die Geschichte, Angela habe sogar an der Haltestelle, beim Warten auf den Bus, Russisch-Vokabeln gepaukt. Stimmt das? "Ich denke, das ist keine Legende. Angela ist so ein Typ, der sagt: Wenn ich nun schon längere Zeit warten muss, dann lerne ich doch ein paar Vokabeln, ehe ich mich langweile." Effizienz gegen den Leerlauf. Andere würden vielleicht einfach nur in den Himmel schauen. Später hat sie Physik studiert - "ich wollte etwas schaffen, was mir nicht von vornherein leichtfiel", so Merkel. Andere studieren das, was ihnen zufällt.

Juni: Merkel in Washington

Im Ausland wirkt Angela Merkel häufig wie befreit.

Es ist ihr erster Besuch in den USA, seit Barack Obama Präsident ist. "Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin schlau und praktisch veranlagt ist", lobt Obama, "und ich traue ihr, wenn sie etwas sagt." Merkel lächelt zufrieden. Bei ihren Auslandsreisen hat man häufig das Gefühl, dass sie in der Fremde plötzlich den Glamour entdeckt. Daheim zerren der Koalitionspartner, die Opposition und gelegentlich stichelnde Ministerpräsidenten aus dem eigenen Lager an ihr. Im Ausland hat sie keine Konkurrenz zu befürchten, da ist keiner, der auf ihren Posten scharf ist. Und ständig den Neigungsgrad ihrer Mundwinkel kommentiert. Vielleicht ist das der Grund, warum sie bei ihren Besuchen in Washington, Paris oder London häufig wie befreit wirkt.

Jüdisches Museum

70 Jungredakteure aus mehreren europäischen Ländern sind im Glashof des Berliner Museums versammelt. Sie haben eine Zeitung herausgebracht, Titel: "Weiße Flecken", auf der ersten Seite ein Grußwort der Kanzlerin. Ziel ist die Aufarbeitung der NS-Zeit, die Jungredakteure wollen journalistische Lücken füllen. Ein beeindruckendes Projekt. Angela Merkel geht aufs Podium und nimmt ein druckfrisches Exemplar entgegen. Sie ist sichtlich angetan, spricht mit den Jugendlichen, locker, spontan. "Ich werde das gern lesen und auch weiterempfehlen", sagt sie, und das meint sie offenbar auch so. Immerhin eine Stunde hat sie für die Jugendlichen Zeit, in Wahlkampfzeiten eine Menge. Hier muss sie nicht taktieren und mit Milliarden jonglieren, die sie nicht hat. Hier kann sie die Angela Merkel sein, die sie wahrscheinlich gern häufiger wäre.

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Juli: G8-Gipfel in L' Aquila

Die versammelten Staatschefs demonstrieren Harmonie. Gastgeber Berlusconi und Kollege Sarkozy stolzieren herum, der Italiener strahlt, er herzt Obama, tätschelt Sarkozy, umarmt Medvedev. Für "La Merkel" hat er sich ein besonders breites Grinsen aufgehoben, einen Moment lang sieht er aus, als beglückwünsche er sie zum Kauf eines neuen Alfa. Merkel lächelt zurück, angetan und reserviert zugleich, was ein ziemliches Kunststück ist. Sie steht eng neben Berlusconi, seine Hand hält ihre fest, gleichzeitig scheint Merkel zurückzuweichen. Sie beherrscht die hohe Kunst der Diplomatie, ihre Körpersprache hat sie, die manchmal wie ein Polit-Roboter wirkt, jedoch nicht völlig im Griff. Anderenfalls müsste sie einem unheimlich sein.

Info: Das Leben der Angela Merkel

Angela Merkel, 1954 in Hamburg geboren, ist im brandenburgischen Templin aufgewachsen, ihr Vater war Pfarrer. Nach dem Physik-Studium in Leipzig arbeitete sie an der Berliner Akademie der Wissenschaften. 1989 trat sie dem Demokratischen Aufbruch bei, 1990 wurde sie Mitglied der CDU. Helmut Kohl machte sie zur Ministerin für Frauen und Jugend (1991-1994), danach wurde sie Umweltministerin (bis 1998). 1998 wählte die CDU Merkel zur Generalsekretärin.

Fotoshow: Angela Merkels Leben in Bildern

Nach dem Spendenskandal Ende 1999 forderte Merkel ihre Partei öffentlich auf, sich von Helmut Kohl zu lösen, 2000 wurde sie Parteichefin. 2002 überließ sie in der "K-Frage" CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt, 2005 trat sie gegen Gerhard Schröder an. Seitdem regiert eine Große Koalition mit Merkel als erster deutscher Bundeskanzlerin. Am 27. September stellt sie sich zur Wiederwahl. Sie ist in zweiter Ehe mit dem Chemieprofessor Joachim Sauer verheiratet und hat keine Kinder.

Text: Franziska Wolffheim Fotos: Laurence Chaperon, ullstein bild; Jens Passoth Ein Artikel aus der BRIGITTE 18/09

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