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Andrea Ypsilanti: "Die SPD-Frauen poltern nicht so herum"

Die hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti über die Rolle der Frauen im SPD-Führungsstreit und ihre Hoffnungen für den Parteitag.

Seit Wochen gärt es in der SPD. Wie sozial soll ihre Politik sein? Darf man vom Kurs der Agenda 2010 abweichen? Muss man die Reformen reformieren? Die Streitlust ist groß, vor allem bei Parteichef Kurt Beck und Vize-Kanzler Franz Müntefering. Zwar sprach Beck am Wochenende bei der SPD-Vorstandssitzung ein Machtwort und rief zum Waffenstillstand auf. Doch schon wenige Tage später muckten die Parteikollegen auf, Müntefering zweifelte an der Finanzierbarkeit des Arbeitslosengeldes für Ältere, Finanzminister Steinbrück warnte vor zu vielen Änderungen an der Agenda 2010. Alle politischen Schwergewichte der SPD melden sich zu Wort - nur von den SPD-Frauen hört man, mit wenigen Ausnahmen, sehr wenig. Brigitte.de hat mit der hessischen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti über die Zurückhaltung der Politikerinnen in ihrer Partei gesprochen.

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BRIGITTE.de: Warum nutzen die Politikerinnen den Führungsstreit in der SPD nicht, um sich zu positionieren - so wie die männlichen Kollegen?

Andrea Ypsilanti: Nun, ganz so wenig, wie Sie sagen, hört man von den SPD-Frauen ja nicht. Ich zum Beispiel war in den letzten Tagen eine sehr gefragte Interviewpartnerin. Aber generell muss man schon sagen, dass Frauen in der Politik immer noch zurückhaltender sind als die Männer. Sie sind sehr sachorientiert, wägen ab, versuchen, Kompromisse zu finden. Männer hingegen streiten viel und heftig, wiederholen sich auch gerne mal und neigen so zum Beispiel dazu, Sitzungen in die Länge zu ziehen - was zu einem großen Problem werden kann, wenn zu Hause die Kinder warten.

BRIGITTE.de: Besteht da nicht die Gefahr, dass die Frauen mit ihrer bescheidenen Art gegenüber den Platzhirschen am Ende das Nachsehen haben?

Andrea Ypsilanti: Es gibt ja mittlerweile einige Frauen, die in der Politik ganz oben mitmischen, Angela Merkel zum Beispiel, oder Andrea Nahles, die wir am Freitag in die SPD-Spitze wählen werden. Aber allgemein ist es tatsächlich so, dass die oberste Führungsebene noch sehr von Männern und von dem männlichen Politikstil geprägt ist, den ich eben beschrieben habe. Meiner Erfahrung nach ist es für die Frauen sehr schwer, sich mit ihrer Art zu arbeiten, durchzusetzen.

BRIGITTE.de: Bei der CDU/CSU machen die Frauen zurzeit viel mehr von sich reden. Hinkt die SPD da hinterher?

Andrea Ypsilanti: Bei der CDU sind es ja gerade mal zwei Frauen, Frau Merkel und Frau von der Leyen, die sich hervortun. Und dass die CSU nun mit Christine Haderthauer eine Frau als Generalsekretärin hat - nun ja, das wurde auch höchste Zeit! In der SPD sind wir da doch viel weiter: Wir haben schon lange eine Frauenquote, sehr viel mehr Frauen in den Parlamenten und mittlerweile auch einige herausragende weibliche Führungskräfte. Nehmen wir zum Beispiel unsere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul: Die macht eine hervorragende Arbeit, davon kann man nur schwärmen! Aber auch sie ist eher zurückhaltend und poltert nicht herum wie andere Politiker. Es ist schade, dass die Frauen dadurch weniger wahrgenommen werden. Hier muss sich noch einiges verändern - auch vonseiten der Medien.

BRIGITTE.de: Ist der Parteitag eine Gelegenheit für die SPD-Frauen, sich zu positionieren? Oder wird er nur wieder eine Bühne für Selbstdarsteller wie Kurt Beck sein?

Andrea Ypsilanti: Leider muss man auch hier sagen, dass sich bei solchen Aussprachen immer noch mehr Männer zu Wort melden als Frauen. Frauen reden anders als Männer, das ist ja auch wissenschaftlich erwiesen. Es ist gar nicht so leicht, sich mit diesem anderen Redestil ans Mikrofon zu stellen und vor vielen Menschen zu sprechen.

BRIGITTE.de: Was erhoffen Sie sich persönlich vom Parteitag?

Andrea Ypsilanti: Ich gehe davon aus, dass wir gute Beschlüsse fassen, etwa zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und zu einer ökologischen Wirtschaftspolitik, und dass wir gute Diskussionen führen. Die SPD ist eine streitbare Partei, und das finde ich gut. Ich möchte nicht zu einer Partei gehören, wo einfach alles abgenickt wird. Außerdem werden wir unseren Parteivorsitzenden und einen neuen Vorstand wählen, für den ich auch kandidieren werde. Ich denke dieser Parteitag wird eine Aufbruchsstimmung erzeugen, die uns gut tun wird, gerade im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr.

BRIGITTE.de: Wie ist Ihre Meinung zum Beschluss, die Zahlung des Arbeitslosengeldes für Ältere zu verlängern? Steuert die SPD da nicht gegen einen positiven Effekt der Agenda 2010, nämlich dass ältere Arbeitnehmer wieder mehr Jobs kriegen?

Andrea Ypsilanti: Also diese Debatte konnte ich noch nie nachvollziehen. Es glaubt doch wohl niemand, dass es sich negativ auf die Konjunktur auswirkt, wenn ein paar ältere Arbeitslose ein halbes Jahr länger das Arbeitslosengeld I bekommen. Es kann mir auch keiner erzählen, dass ein älterer Mensch aus diesem Grund freiwillig einen Job ablehnt. Gerade die Älteren wissen ganz genau, dass jeder einzelne Monat in der Arbeitslosigkeit für sie ein Verlust ist. Es ist für mich einfach eine Frage der Gerechtigkeit, dass diese Menschen, die so lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, auch entsprechend abgesichert sind.

Zur Person

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Sie will den hessischen CDU-Landesfürsten Roland Koch herausfordern und die Macht für die SPD in Hessen zurückerobern: Andrea Ypsilanti ist die SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2008.

Die Politik der 50-Jährigen: links und sozial engagiert. Überregional bekannt wurde Ypsilanti 2003, als sie Gerhard Schröders Agenda 2010 öffentlich kritisierte. Sie setzt sich ein für mehr Ganztagsschulen, mehr Geld für die Kleinkinderbetreuung und will die Studiengebühren in Hessen wieder abschaffen.

Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit sind ihre Kernthemen - kein Wunder: Ypsilanti stammt aus einer Arbeiterfamilie, ihr Vater arbeitete bei Opel in Rüsselsheim. Sie kämpfte sich nach oben, arbeitete zunächst als Stewardess, studierte dann Soziologie und wurde Referatsleiterin in der Hessischen Staatskanzlei.

Heute lebt sie selbst ein modernes Patchwork-Leben, wie sie es mit ihrer Politik stärkt und fördert: Sie ist geschieden und lebt mit Sohn Konstantin und neuem Freund in einer Mehr-Familien-WG.

Interview: Michèle Rothenberg Infos: Angelika Unger Fotos: SPD

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