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Alena Schröder Warum wir alle viel mehr Karaoke brauchen

Alena Schröder: zwei junge Frauen singen zusammen in ein Mikrofon
© Jacob Lund / Shutterstock
Was unsere Gesellschaft braucht ist: mehr Karaoke! Ich glaube an die heilende Kraft des hemmungslosen Singens.

In jedem Freundeskreis gibt es die eine nervige Person, die auf alle Fragen des Lebens eine Universalantwort hat, und diese Person bin in meinem Fall ich. Andere Menschen entdecken Yoga, vegane Ernährung oder Schüßlersalze und fangen an zu missionieren, ich aber greife zum Mikrofon. Wenn mir Freund:innen abgespannt und freudlos vorkommen, stelle ich ihnen eine Tasse Tee hin, schaue sie mütterlich-sorgenvoll an und sage: "Meinst du nicht, ein wenig Karaoke würde dir guttun? Ich habe wirklich so gute Erfahrungen damit gemacht!"

Ich bin überzeugt: Wir alle brauchen mehr Karaoke

Seit ich vor ein paar Jahren entdeckt habe, wie rundum glücklich es mich macht, gemeinsam mit anderen die größten Hits der letzten vier Jahrzehnte zu singen, bin ich der festen Überzeugung, dass wir alle mehr Karaoke brauchen. Wenn es nach mir ginge, wäre eine wöchentliche Karaoke-Session längst Kassenleistung, vielleicht sogar allgemeine Bürger:innenpflicht. "Ja, das alles und noch viel mehr würd ich machen, wenn ich Königin von Deutschland wär": Karaokepflicht für alle, und zwar nicht auf einer großen Bühne vor lauter fremden Menschen – das ist nur was für Besoffene und Vollprofis. Sondern in schalldichten Kabinen, in denen eine kleine oder auch größere Gruppe unter sich sein kann, wie es sie zum Glück inzwischen in immer mehr Karaokebars gibt. Hier blamiert sich niemand allein, sondern immer alle zusammen.

Es liegt ein besonderer Zauber darin, wenn man etwas nicht gut kann und es dann trotzdem tut. Selten habe ich mich anderen Menschen so nah gefühlt wie beim gemeinsamen Absingen von "Never Gonna Give You Up".

Bei der Partnersuche würde ich nicht auf Sternzeichen achten oder dem Algorithmus von Dating-Apps vertrauen; aber wenn ER bereit ist, sich gemeinsam mit mir durch "Total Eclipse Of The Heart" zu knödeln, sehe ich Potenzial. Und wäre ich Chefin von irgendwas, ich würde mein Team zu After-Work-Karaoke drängen, und dann wollen wir doch mal sehen, ob die ewig unterschätzte, schüchterne Kollegin nicht doch plötzlich eine Whitney-Houston-Powerballade rausdonnert und die üblichen Wichtigtuer nicht beim Refrain von "Take On Me" ein bisschen Demut lernen, weil sich eben nicht jede Stimme über drei Oktaven peitschen lässt.

Ist Singen die Lösung?

Gerade jetzt, wo doch so viel von der Spaltung der Gesellschaft die Rede ist, könnte Karaoke einen wichtigen Beitrag zur Versöhnung leisten. Eltern könnten sich gemeinsam in Death-Metal-Sessions den Pandemiefrust von der Seele brüllen, entzweite Freund:innen sich über ein Frank-und-Nancy-Sinatra-Duett versöhnen. Eine Karaokekabine im Bundestag wäre der Ort, wo sich Abgeordnete über Parteigrenzen hinweg nach hitzigen Debatten bei "Quit Playing Games With My Heart" wieder annähern könnten, ungestört von den Querulant:innen vom rechten Rand, denen fehlt ja ohnehin die Herzensbildung, die für gemeinschaftliches Singen notwendig ist. Und wie viel bewegender und eindrücklicher wäre der Große Zapfenstreich für die scheidende Kanzlerin gewesen, hätte der Generalinspekteur der Bundeswehr Frau Merkel feierlich ein goldenes Mikrofon auf einem roten Samtkissen gereicht und sie hätte begleitet vom Stabsmusikkorps "Du hast den Farbfilm vergessen" und "Für mich soll’s rote Rosen regnen" gesungen?

Ich ahne schon, dass eine Karaokepflicht zu Protesten führen würde, vielleicht kann man nicht alle Menschen zu ihrem Glück zwingen. Aber ich missioniere weiter, ich glaube an die einende und heilende Kraft des Popsongs. Immer wenn es mir gelungen ist, eine Freundin, die keine, nein, wirklich gar keine Lust hat und angeblich gar nicht singen kann, mit zum Karaoke zu schleppen, wo sie dann spätestens bei "Bohemian Rhapsody" doch aus vollem Herzen "Galileo Figaro Magnifico-ho-ho!" mitsingt, weiß ich, dass ich damit richtigliege.

Bestsellerautorin Alena Schröder ("Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid") schreibt im Wechsel mit Anja Rützel für die BRIGITTE

Brigitte

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