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Warum wird die Abtreibungsdebatte wieder schärfer?

Abtreibungsdebatte: Sind Abtreibungen immer noch ein Tabu?
© fizkes / Shutterstock
Die Abtreibungsdebatte ist in vollem Gange. Plötzlich wird wieder über Schwangerschaftsabbrüche gestritten - und die Gegner werden lauter.

Was ist da eigentlich los und warum wird der Protest der Abtreibungsgegner massiver? Ein Interview mit Ulrike Busch, Deutschlands erster Professorin für Familienplanung.

BRIGITTE: Ende November wurde die Fachärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel zu einer Strafe von 6000 Euro verurteilt, weil sie Schwangerschaftsabbrüche anbietet und darüber auf ihrer Homepage informiert. Seither nimmt die Abtreibungsdebatte auch in Deutschland wieder an Fahrt auf. Wieso kochen die Emotionen bei diesem Thema so schnell hoch?


Ulrike Busch: Weil Abtreibung nach wie vor ein Tabu ist, moralisch und juristisch sanktioniert. In Deutschland ist eine Abtreibung eine Straftat gegen das Leben, sie steht im Strafgesetzbuch - nach Delikten wie Mord oder Totschlag.


Es gibt aber doch klare Richtlinien; innerhalb der Zwölf-Wochen-Frist ist eine Abtreibung legal. Spielt die rechtliche Seite in der Wahrnehmung der Frauen heute wirklich noch so eine Rolle?


Der Straftatbestand kann das Gefühl, etwas gesellschaftlich Missbilligendes zu tun, verstärken. Es macht schon etwas mit einem zu wissen: Was ich tue, ist nicht rechtmäßig, auch wenn ich straffrei bleibe.

Auch die Abtreibungsgegner scheinen wieder sehr aktiv, sonst wäre Hänel nicht angezeigt worden.

Verstummt sind sie eigentlich nie - auch nach der Gesetzesreform von 1995 nicht, ein Kompromiss, dem schon damals harte Diskussionen vorausgegangen waren. Aber es stimmt: Der Protest wird massiver. In Berlin gibt es immer mehr, die beim "Marsch fürs Leben" gegen Abtreibung demonstrieren. Auch die Zahl der Anzeigen gegen Ärztinnen steigt.

Warum?


Das Spektrum der Abtreibungsgegner ist heute breiter. Neben denen, die wie damals mit ihrem christlichen Glauben argumentieren, gibt es jetzt auch viele, die der sogenannten Neuen Rechten angehören. Die AfD greift das Thema explizit auf, teils mit christlichen Argumenten, teils indem man auf die Notwendigkeit eines höheren Geburtenniveaus verweist, und macht politisch Druck. Andere verunsichert, dass durch den medizinischen Fortschritt heute beispielsweise gut sichtbar ist, wie weit acht Wochen alte Embryos entwickelt sind, und wie schützenswert sie dadurch wirken. An diese moralischen Besorgnisse knüpfen Abtreibungsgegner an.

Nicht nur in Deutschland.


Ja, der Einfluss der sogenannten Anti-Choice-Bewegungen steigt weltweit, auch weil diese eng mit der Politik vernetzt sind. Mit Donald Trump regiert in den USA ein offener Abtreibungsgegner, in El Salvador sitzen Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten, wegen unterstellter Abtreibung im Gefängnis. Auch in Europa drohen Verschärfungen, etwa in Polen.

Der Einfluss der Anti-Choice-Bewegungen steigt weltweit.

Gab es überhaupt schon mal Epochen, in denen Abtreibungen toleriert wurden und Frauen ganz selbstverständlich allein entschieden?

Tatsächlich war Abtreibung lange weitgehend toleriert, etwa in der griechischen Antike. Man nutzte Brech- oder Abführmittel oder mit scharfen Substanzen getränkte Tampons. Es war aber eine patriarchale Welt, die Entscheidungsgewalt hatte nicht die Frau, sondern der Herr des Hauses.


Veränderte sich das mit dem Christentum?

Das Christentum hat das Verfügungsrecht über das Leben neu definiert: Gott gibt und nimmt das Leben. Abtreibungen wurden nun hart bestraft, waren aber weiterhin Realität. Die Frauen wurden exkommuniziert, ledige Mütter sozial geächtet, auf Kindstötung stand die Todesstrafe. Die heutige Debatte um die Selbstbestimmung der Frau in der Abtreibungsfrage ist also sehr jung, sie begann vor 100 Jahren mit dem Aufkommen einer frauenpolitischen Bewegung.

Auch jetzt gehen wieder viele Frauen für ihr Recht auf Selbstbestimmung auf die Straße - trotz oder gerade wegen der Anti-Choice-Bewegungen. Eine Petition für das Informationsrecht beim Schwangerschaftsabbruch haben rund 150 000 unterschrieben.

Ja, und diese Frauen agieren nicht im luftleeren Raum. Es gibt immerhin das international anerkannte Recht auf reproduktive Gesundheit, das etwa der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vor zwei Jahren noch mal bekräftigt hat. Solche Erklärungen sind zwar nicht bindend, sie bieten aber eine bedeutsame Orientierung. Vor dem Hänel-Prozess hatten viele junge Frauen nicht mehr das Gefühl, sich wehren zu müssen, das ist nun anders. Wir führen derzeit eine Debatte, die längst überfällig war, und wir sollten sie nicht isoliert betrachten. 2017 wurde in Deutschland das Sexualstrafrecht verschärft, seither gilt "Nein heißt Nein", in der Debatte um #Metoo wird über Belästigungen und Missbrauch von Frauen diskutiert. Immer geht es dabei auch um die Frage: Wie sehen wir Frauen?

Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Das Recht auf Information und freie Entscheidung in persönlichen Lebensfragen ist ein Grundrecht, für mich schließt es den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft ein. Der Paragraf 219a, auf dessen Basis Kristina Hänel verurteilt wurde, bevormundet Frauen und Ärzte, er sollte daher gestrichen werden. Auch weil ihn Abtreibungsgegner als Hebel nutzen, um Ärztinnen zu verunsichern. Mancherorts, etwa in Teilen Bayerns, sinkt bereits die Zahl der Mediziner, die Abtreibungen durchführen. Das in 219a festgeschriebene Werbeverbot führt zudem dazu, dass die Frau weitgehend auf die Informationen angewiesen ist, die ihr ihre Beratungsstelle nennt.

Reichen die denn nicht aus?

Nein. Sie basieren auf dem, was Ärzte an die Beratungsstelle weitergeben, oder auf aktiver Recherche der Beraterinnen. Manche Beratungsstellen holen aber keine Infos ein, sie nennen den Frauen auch nur umliegende Mediziner, andere kennen sie schlicht selbst nicht. Das torpediert das Recht auf rasche und freie Arztwahl in dieser so besonderen Situation.

Ulrike Busch,  Jahrgang 1952, ist Professorin für Familienplanung an der Hochschule Merseburg. Sie studierte Philosophie, arbeitete als Beraterin bei Pro Familia und war Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Familienplanungszentrums Berlin e. V. Ihre Forschungsschwerpunkte sind sozialwissenschaftliche Aspekte von Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung.

BRIGITTE 06 / 2018

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