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Einsatz in Afghanistan: Papa ist im Krieg

Seit 2001 verteidigt die Bundeswehr die Heimat am Hindukusch. Was bedeutet es für eine Familie, wenn der Mann und Vater in Afghanistan Dienst tut - und ständig in Gefahr ist? Besuch bei den Habermanns.

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Robert Habermanns Rückkehr aus dem Krieg kam gerade noch rechtzeitig. "Merkst du eigentlich, dass du nur noch Anweisungen gibst?", fragte ihn seine Frau Anke bei einem ihrer letzten Telefonate. Ja, tat er, aber nicht sofort. Nach einem halben Jahr Afghanistan, einem halben Jahr in einem Militärcamp, einem halben Jahr ohne Privatsphäre und Wochenenden, dafür mit einem Funkgerät am Gürtel, das 24 Stunden am Tag vor sich hinknarzt, blieb nicht mehr viel Kraft übrig für Außerdienstliches wie lange Gespräche um die halbe Welt. "Die ganze Zeit volle Konzentration, da fragt und diskutiert man nicht mehr so gerne", sagt der Major. "Denn da unten geht es nur um eines: Funktionieren." Einerseits. Anderseits: "Eigentlich kann so ein Einsatz nicht lange genug gehen. Nach ein paar Monaten ist man doch erst so richtig drin", sagt der Soldat.

Nun ist er fürs Erste wieder raus. Raus aus dem beige-olivfarbenen Flecktarn, der nun undiszipliniert an der Garderobe hängt, raus aus Masar-i-Scharif, wo es zuletzt bis zu 50 Grad heiß war und wo im letzten halben Jahr vier Bundeswehrsoldaten ums Leben kamen. Zurück im Leben. Zurück im Leben der anderen: seiner Frau Anke, 41, Augenärztin, und der Töchter Augusta, 8, und Charlotte, 7.

Es ist Tag drei nach Habermanns Rückflug. Zu Hause, auf der Terrasse seines denkmalgeschützten Hauses in Weißenfels bei Halle an der Saale, tut die Sonne noch einmal so, als wäre es tatsächlich Sommer. "Papa, bist du an meinem Geburtstag da?", fragt Augusta mit blinzelnden Augen. "Ja." - "Aber der ist mitten in der Woche." - "Ich weiß, ich komme nachmittags." Die Antwort reicht dem Kind, zufrieden steckt es seine Gabel in das letzte Stück Schokoladentorte - ein verspäteter Geburtstagskuchen für den Vater.

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Als die kleine Schwester Charlotte neulich sieben Jahre alt wurde, war Papa nicht da. So wie er auch zu seinem eigenen Geburtstag nicht da war und als die Große ihr erstes Zeugnis bekam. Ohnehin ist Vater Robert selten da - wenn er nicht gerade in Afghanistan ist, arbeitet er unter der Woche im 250 Kilometer entfernten Strausberg bei Berlin. Er ist ein Wochenend-Papa. Denn Berufssoldaten sind Verfügungsmasse, sie werden dort hingeschickt, wo sie gebraucht werden.

Nach dem 11. September 2001 wurde die Bundeswehr in Afghanistan gebraucht. Im Rahmen des Isaf-Einsatzes der Nato sind deutsche Soldaten seither am Hindukusch stationiert. Und für Offizier Habermann war es immer richtig, dass sich die Bundesregierung auch militärisch mit den damals vom Terror betroffenen USA solidarisch zeigte - "nach allem, was sie für Deutschland getan haben", sagt er.

Masar-i-Scharif war nicht Habermanns erste Auslandsstation und Strausberg wird nicht seine letzte Station in Deutschland sein. "Gemeinsam frühstücken, zusammen Einkaufen gehen, abends alle an einem Tisch - so ein klassisches Familienleben hatten wir nie", sagt Ehefrau Anke. Schön wäre es natürlich, aber eben auch nicht zu ändern. Zumal sie selbst eine Augenklinik mit 15 Angestellten betreibt - auch kein Nine-to-five-Job.

Wie soll man das anders nennen als Krieg?

"Die Kinder kennen es nicht anders", sagt Robert Habermann nachdenklich. "Aber vielleicht ist es auch ein Vorteil, denn so vermissen sie nicht so viel." Seine letzten Einsätze in den Jahren 2003 und 2004 in Afghanistan und ein paar Jahre später im Kosovo haben die Töchter so gut wie nicht mitbekommen. Diesmal war es etwas anderes für die Familie. Nicht nur wegen der Dauer und nicht nur, weil die Kinder plötzlich angefangen haben, Fragen zu stellen. Es war die bürokratische Professionalität, mit der der Arbeitgeber die Familie auf den Ernstfall vorbereitet und Anke Habermann Angst und Schrecken eingejagt hat. Ein Testament habe es schon vorher gegeben, sagt sie. "Aber dann ging es um Beerdigungen, wer wen im Fall von Roberts Tod oder einer schweren Verletzung informiert. Was zu tun ist, was zu beachten, welche Formulare es auszufüllen gilt, all diese Dinge", sagt die 41-Jährige. Plötzlich war der "bewaffnete Konflikt" genannte Krieg im fernen Hindukusch ganz nah im schönen Altbau im beschaulichen Weißenfels. "Ich zucke auch immer zusammen, wenn in den Nachrichten diese fürchterlichen Meldungen aus Afghanistan kommen", sagt Anke Habermann. "Deswegen haben wir vereinbart, dass er mir eine SMS schickt, wenn wieder etwas passiert ist." 'Bin ok' steht dann darin, die SMS kommt meistens früher als die News im Radio.

53 Deutsche sind in den zehn Jahren des Isaf-Einsatzes gestorben. Das sind 53 zuviel, aber angesichts von fast 100.000 deutsche Soldaten, die dort bislang eingesetzt wurden, auch verhältnismäßig wenig - zumindest im Vergleich zu den Opfern der Amerikaner oder Briten. "Allein in meiner Zeit sind vier Kameraden ums Leben gekommen, dann die Verletzten, über die schon lange niemand mehr berichtet, dazu die Trauerfeiern, nicht nur unsere. Wie soll man es anders nennen als Krieg?", fragt Robert Habermann in die Runde. Er selbst - auf die Feststellung legt er Wert, "um keinen falschen Eindruck zu erwecken" - wurde nie beschossen oder musste selbst schießen. Aber seitdem sein Kollege aus der Stube gegenüber ebenfalls gefechtslos im Einsatz bei einem Anschlag getötet wurde, weiß der Presseoffizier, wie schnell der Tod kommen kann. "Es gibt wohl keinen anderen Beruf, bei dem das Lebensrisiko fester Bestandteil des Jobs ist. Wer damit nicht zurecht kommt, darf nicht zur Armee gehen", sagt Major Habermann.

Wie soll man einer Achtjährigen erklären, dass ihr Vater womöglich nicht mehr zurückkommt?

Seine beiden Kinder Charlotte und Augusta wissen zwar, dass ihr Papa Soldat ist, aber wie gefährlich der Krieg in Afghanistan wirklich werden kann, haben ihnen die Eltern bislang verschwiegen. "Wie soll man einer Achtjährigen vernünftig erklären, dass ihr Vater womöglich nicht mehr zurückkommt?", sagt Mutter Anke. Um die Neugier der Töchter zu stillen, hat ihnen der Papa jede Wochen einen "Sonntagsbrief" geschrieben. Zuerst erklärte er darin, was er den ganzen Tag macht, wie das mit der Post funktioniert, dem Essen, der Wäscherei, wie heiß 50 Grad Celsius sind (Stell' Dir vor, Du hältst Dir einen Fön ins Gesicht"). In zwei Monaten haben die beiden so einen besseren Eindruck vom Soldatenleben am Hindukusch bekommen als manch ein Verteidigungsminister auf eilig anberaumtem Truppenbesuch. Doch irgendwann war der Alltag auserzählt. Habermann begann, ein Fortsetzungsmärchen zu schreiben, bei dem er und die Kinder die Geschichte abwechselnd weitergesponnen haben.

Wohl auch wegen dieses kreativen Mailverkehrs haben die Kinder das halbe Jahr Abwesenheit erstaunlich gut weggesteckt, wie Anke Habermann sagt und dabei erleichtert lacht. "Aber die sechs Monate waren schon eine verdammt lange Zeit. Auch weil so viel passiert ist": Geburtstage, Urlaub und dann gab es zum ersten Mal Zeugnisse - alles wurde dokumentiert - auf Bildern, Videos, in Briefen und E-Mails. Aber, so die Ärztin, "das ist nicht dasselbe, solche Momente will man als Familie natürlich gemeinsam erleben". Dass die Trennung ihrer persönlichen Zweisamkeit nicht geschadet hat, hat beide am meisten überrascht. Anke: "Irgendwann habe ich ihm einen Liebesbrief geschrieben. Handschriftlich. Wann macht man so was denn schon? Wenn man sich täglich sieht, jedenfalls nicht." Robert: "Das ist schon etwas anderes, als wenn man jeden Tag zu Hause ist. Wir haben unsere Beziehung in dieser Zeit völlig neu erlebt."

Natürlich gibt es unzählige Paare in diesem Land, die solche oder ähnliche Ehen und Beziehungen führen: Vertreter, Monteure, Lkw-Fahrer. Und auch wenn ihr Job mutmaßlich ungefährlicher ist - tauschen würde Robert Habermann mit ihnen nicht. "Ich will ehrlich sein: Ich verdanke der Bundeswehr viel, sie bezahlt nicht schlecht. Ein wenig Abenteuer bietet sie auch." Und außerdem habe er das große Glück, eine Frau zu haben, die seinen Beruf voll und ganz akzeptiert - auch wenn ihr der Preis oft sehr hoch vorkommt, wie sie selbst sagt: "Was habt ihr da unten eigentlich verloren? Ihr wollt helfen, doch die Afghanen wollen euch nicht. Und wir Angehörige sitzen hier und sorgen uns. Mich macht das wütend."

Solche Zweifel hegt Robert Habermann nicht. Jedenfalls nicht nach außen hin. Der 40-Jährige mit der randlosen Brille, deren eines Glas etwas dicker ist als das andere, ist einer dieser typischen Absolventen der Bundeswehruniversität: Kultiviert, aber nicht manieriert, gebildet, aber kein Intellektueller, im Grundgesetz verankert, aber kein Hurra-Patriot. Ein Soldat, dem beigebracht wurde, dass Soldaten nicht zwingend Tod und Verderben bringen müssen. Seine Frau sagt über ihn, er neige dazu, sich die Dinge schön zu reden. Er sagt: "In Afghanistan gibt es noch so viel zu tun. Aber jetzt will ich meine Kinder zur Schule bringen und ihnen abends etwas vorlesen. Dinge, von denen man denkt, sie seien normal. Aber das sind sie nicht für jeden." Weder hier noch am Hindukusch.

Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan

Die International Security Assistance Force (Isaf) ist seit den Anschlägen vom 11. September 2001 unter der Führung der Nato in Afghanistan im Einsatz. Soldaten aus fast 50 Staaten sollen dort für innere Sicherheit, die Wahrung der Menschenrechte und den Wiederaufbau sorgen. Insgesamt leiten fünf Regionalkommandos den Einsatz, die Bundeswehr ist für den Norden des Landes zuständig. Rund 5000 deutsche Soldaten sind regelmäßig am Hindukusch stationiert.

Text und Fotos: Niels Kruse, ein Artikel von <a class="link--external" href="http://www.stern.de/" target="_blank" rel="noopener">stern.de</a>

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