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"Wenn du mich liebst, dann machst du das" Die Loverboy-Methode oder: wie Männer Minderjährige prostituieren

Junges Mädchen guckt in die Nacht
© Diakonisches Werk Hamburg
Junger Mann trifft junges Mädchen. Sie schreiben, treffen, verlieben sich. Irgendwann geht sie für ihn anschaffen – und er wird ihr Zuhälter. Die Loverboy-Methode ist ein Problem, das Familien aller gesellschaftlichen Schichten betrifft.

Die Tochter bringt zum ersten Mal ihren neuen Freund mit nach Hause. Verliebt ist sie, nett scheint er. So geht es einige Monate. Bis sie anfängt, sich zu verändern. Und er anfängt, sie zu prostituieren.

Was überzogen klingt, ist kein Einzelfall und trägt einen eigenen Namen: die Loverboy-Methode. Wir haben mit Alina Prophet vom Präventionsprojekt Fairlove über das perfide Geschäft mit der jungen Liebe gesprochen.

BRIGITTE: Liebe Alina, ihr habt euch mit eurem Projekt der Diakonie Hamburg auf die Loverboy-Methode spezialisiert. Hol mich mal ab – wer sind denn die Loverboys und wie gehen sie vor?

Alina Prophet: "Das sind meist relativ junge Männer zwischen 18 und Ende 30, die gezielt Mädchen anschreiben und ansprechen. Und da auch nicht nur eine, sondern meist viele. Das passiert auf Social Media, auf Dating Apps, aber auch über Schulen, wo sie Teil der Clique werden oder Mädchen an öffentlichen Plätzen kennenlernen."

Und dann startet das normale Dating-Prozedere?

"Also die Mädchen denken: Wow, das ist ein total toller, aufmerksamer Mann, der interessiert sich für mich, der ist lustig, macht mir Komplimente, der hört mir zu und versteht mich! Dann verlieben sie sich und gehen eine Beziehung mit den Männern ein, die dann auch die Eltern kennenlernen und da ein und aus gehen. Alles wirkt auf den ersten Blick wie eine normale Beziehung zwischen zwei Menschen. Das läuft dann über Wochen oder Monate."

Wenn du einmal mit dem schlafen würdest, wären meine Schulden weg.

Monate sind eine ganz schön lange Zeit. Was passiert dann?

"Nach ein paar Monaten gibt es dann den ersten Bruch. Dann kommt vom Partner: Ich habe Schulden, ich habe mich mit dem Falschen angelegt, wir sind in Gefahr, ich habe Probleme. Dann kommt er irgendwann auf die Idee: Wenn du einmal mit wem schlafen würdest, wären meine Schulden weg. Mit dem Versprechen: Danach ist alles wieder gut.

Ja, und die Mädchen haben Angst und wollen helfen – und wenn nicht, wird ihnen gesagt: Guck mal, was ich alles für dich gemacht habe, jetzt musst du auch mal für mich da sein. Wenn du mich liebst, dann machst du das. Und dann findet das erste Mal statt, dass sie mit einem fremden Mann schlafen muss und er Geld dafür bekommt. Und das mündet dann darin, dass es nicht einmalig, sondern Standard ist ­– den Mädchen wird gesagt: wir wollen uns was aufbauen, das kostet alles Geld."

Ich bin so sprachlos. Da muss doch schon vorher in der Beziehung etwas passiert sein, dass die beiden in so einem abhängigen Verhältnis zueinanderstehen. Gibt es bereits in den Wochen vorher Merkmale, dass die Beziehung in diese Richtung driftet?

"Es gibt oft ein Schema: Anfangs läuft die Beziehung toll. Es fangen da aber schon Mechanismen der Macht und Gewalt an. Das muss nicht körperliche Gewalt sein, oft eher psychische, was die Mädchen gar nicht als solche wahrnehmen. Das sind z.B. extreme Eifersucht, Kontrolle, Verbote. Dann fängt die soziale Isolation an. Die Freunde werden schlecht gemacht, die Eltern sind sowieso blöd und verstehen ja gar nichts.

Bis das Mädchen nur noch auf ihn fokussiert ist, Hobbys und die Schule vernachlässigt und immer abhängiger von ihm wird. Das ist eine Form der Manipulation. Trotzdem geht es immer mit extremer Zuneigung einher, extremer Liebe, Komplimenten, Geschenken. Er holt sie mit dem Auto ab, sie gehen essen. Es fallen ganz viele tolle Worte, die dem Mädchen suggerieren: das mit uns ist etwas ganz Besonderes, wir bauen uns zusammen etwas auf. Es wird eine gemeinsame Zukunft versprochen: wir bekommen Kinder, kaufen ein Haus. Es ist wie eine Achterbahnfahrt.“

Das klingt wie eine toxische Beziehung. Wie kommt es dazu, dass es dann noch einen Schritt weiter geht, Richtung Prostitution?

"Zu diesem Zeitpunkt ist die emotionale Abhängigkeit schon so stark. Dann kommen die ganzen Scham- und Schuldgefühle dazu. Das Mädchen denkt: Mir kann niemand helfen, der Einzige, der für mich da ist, ist dieser Mann, der mich liebt und ich ihn auch. Und er versichert mir, dass alles vorbei sein wird, wenn wir genug Geld haben.

Schritt für Schritt gehen sie so über jegliche Grenzen. Die Männer organisieren immer mehr Treffen, kassieren das Geld und sagen dem Mädchen, was sie mit wem machen müssen."

Wir können aus unserer Arbeit sagen, dass Mädchen aus allen gesellschaftlichen Schichten betroffen sind.

Wieso ist externe Hilfe so wichtig, um sich aus dieser kriminellen Beziehung wieder zu befreien?

"Die Mädchen sind zu diesem Zeitpunkt bereits isoliert und stark traumatisiert. Sie befinden sich in einer Situation, die sie erschüttert und verletzt, erleben sich aber nicht als selbstwirksam genug, um sich zu befreien. Dadurch, dass ausgerechnet der Partner derjenige ist, der sie immer wieder in solche Situationen bringt, der selbst Gewalt ausübt, wird das ganze Selbstbild erschüttert. Dann passiert etwas, was wir aus sexualisierter Gewalt im Kindesalter kennen: Es gibt eine traumatische Bindung an den Täter. Wenn er wegbricht, ist alles weg. Angehörige kriegen das meist gar nicht mit.“

Was sind denn Warnzeichen, auf die Eltern achten können?

"Jegliche Veränderungen, die das Mädchen durchlebt, wenn sie diesen neuen Freund kennenlernt. Vielleicht fällt extreme Müdigkeit auf, sie ist ständig nur am Handy und nicht ansprechbar. Wenn plötzlich den Eltern nichts mehr erzählt und alles andere vernachlässigt wird. Ein Merkmal kann auch Gewichtsverlust sein oder wenn die Mädchen sich zu Hause nur noch zurückziehen, zum Beispiel extrem lange duschen. Wenn sie Zeichen von körperlicher Gewalt zeigen, Verletzungen, blaue Flecken. Manche Eltern finden ein zweites Handy, Sextoys, Wäsche, Bargeld – oder teure Klamotten, die sie sich eigentlich gar nicht leisten können.“

Viele Eltern denken: Das kann uns doch nicht treffen. Wie gefährlich ist dieser Irrglaube?

"Wir können aus unserer Arbeit sagen, dass Mädchen aus allen gesellschaftlichen Schichten betroffen sind.Hoher sozioökonomischer Status schützt nicht. Es kann wirklich jedes Mädchen treffen. Viele Mädchen sind auch gar nicht richtig aufgeklärt – auch über Grenzen und Gewalt. Wo fängt Gewalt an? Wenn ich das nicht weiß, kann ich mich ja auch gar nicht schützen.“

Die Mädchen spüren zwar, es geht ihnen schlecht – aber sie sehen sich nicht als Betroffene von Menschenhandel.

Und dann gibt es ja auch noch euch. Wenn es eine Anlaufstelle gibt, trauen sich Betroffene ja vielleicht auch eher, auf euch zuzukommen, aber können sich auch Angehörige bei euch melden?

"Der Kontakt entsteht meist über Dritte. Das kann über Angehörige oder die Polizei oder Betreuer:innen sein. Gerade minderjährige Mädchen oder junge Frauen, die durch ihren Partner gezwungen werden, suchen selten alleine und proaktiv die Hilfe. Deswegen ist es so wichtig, das ganze System drumherum zu sensibilisieren!

Das Thema Scham ist riesig. Auch bei den Angehörigen. Manchmal wird eine Art Doppelleben geführt, sie reden mit niemandem darüber, denken, sie hätten versagt und haben wahnsinnige Schuldgefühle. Die Mädchen haben oft überhaupt kein Opferbewusstsein. Sie spüren zwar, es geht ihnen schlecht, die Beziehung tut ihnen nicht gut, aber sie sehen sich nicht als Betroffene von Menschenhandel.“

Wie können Eltern dazu beitragen, ihre Kinder zu schützen?

"Das Wichtigste ist ein vertrauensvolles Verhältnis. Und dass man ganz klar frühzeitig über verschiedene Themen spricht. Das sind nicht nur Aufklärung zur Verhütung, sondern auch Gespräche über Beziehungen, Konsens und Gewalt. Man kann über die Loverboy-Methode aufklären, über Gefahren im Internet sprechen.

Wenn ich als Elternteil eine offene Atmosphäre schaffe, ist das Risiko geringer, dass mein Kind überhaupt in so eine Beziehung gerät. Weil es viel klarer seine Grenzen kennt und von sich aus sagt: Moment, wenn der mich anschreit oder kontrolliert, dann ist das nicht in Ordnung. Das, was am meisten schützt, ist, dass man sein Kind zu einem selbstbewussten und selbstbestimmten Menschen erzieht."

Fairlove ist ein Präventionsprojekt der Diakonie Hamburg. Angehörige und Betroffene können sich anonym und kostenlos, online und telefonisch beraten lassen unter: fairlove.sperrgebiet-hamburg.de. 

Brigitte

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