Anzeige

"Vögeln fürs Vaterland? Nein danke!"

Die Journalistin Kerstin Herrnkind ist es leid, als kinderlose Frau an den Pranger gestellt zu werden - und hat ein wütendes Buch geschrieben.

Die Reporterin und Buchautorin Kerstin Herrnkind (51) ist verheiratet und kinderlos. Schon lange empört sie sich darüber, dass Kinderlose zu Sündenböcken einer verfehlten Politik gemacht werden. In ihrem Buch "Vögeln fürs Vaterland? Nein danke!" stellt sie klar, was schiefläuft in Deutschland - für Frauen ohne Kinder genauso wie für Mütter.

BRIGITTE.de: Rund 20 Prozent der Babyboomer haben keine Kinder. Ist es heute wirklich noch etwas Besonderes, wenn eine Frau kinderlos bleibt?

Kerstin Herrnkind: Besonders ist vor allem der Umgang mit Kinderlosen. Ob man Kinder hat oder nicht, ist in diesem Land keine Privatsache mehr. Es ist zum Politikum geworden. Kinderlose müssen sich rechtfertigen. Das ist wirklich besonders. Und gefährlich. Kinderlose wie ich und Eltern werden in diesem Land systematisch gegeneinander ausgespielt.

Sie schreiben, dass man Sie als „Sozialschmarotzerin“ beschimpft, als „karrieregeil, egoistisch, scham- und gefühllos“. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?

Übertrieben? Ganz und gar nicht. Eine kinderlose Frau, die ich für mein Buch interviewt habe, bekam von einem Kollegen zu hören, sie sei ein ,bevölkerungspolitischer Blindgänger'. Auch in der Öffentlichkeit werden Kinderlose oft diskreditiert. Der Papst nennt Kinderlose „egoistisch“. Auf den Seiten des Pfarrerverbandes lese ich, ein "kostenloses Menschenrecht auf gewollte Kinderlosigkeit“ könne es nicht geben. Als wenn man für Menschenrechte bezahlen müsste. Kinderlose hätten „den Generationenvertrag aufgekündigt“, heißt es weiter. Sie seien für den Ruin der Sozialsysteme verantwortlich. Politiker schlagen in die gleiche Kerbe. Besonders populär sind Forderungen, Kinderlosen die Rente zu kürzen oder ganz zu streichen, weil sie keine Beitragszahler geboren oder gezeugt haben.

Das Private ist politisch?

Absolut! Es ist ein Menschenrecht zu entscheiden, ob man Kinder haben möchte oder nicht. Festgezurrt auf der Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1968. Doch in Deutschland muss man sich neuerdings wieder dafür rechtfertigen, wenn man keine Kinder bekommt. Die 68er haben nichts gebracht. Mein Bauch gehört mir nicht. Das Genöle gegen Kinderlose könnte ich ja sogar noch ertragen. Aber wir sind soweit, dass man Kinderlosen elementare Rechte streitig machen will.

Welche Rechte meinen Sie?

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) würde Eltern gern eine zusätzliche Wählerstimme pro Kind zuschanzen. Die Anhänger des Familienwahlrechts sitzen in fast allen Parteien. Schon zweimal schaffte es der Vorschlag in den Bundestag: Ein Familienrecht würde bedeuten, dass die Stimme einer Frau von der Zahl ihrer Kinder abhängen soll. Das ist ein Gau für die Emanzipation der Frau. Davon mal abgesehen, dass ein Familienwahlrecht verfassungswidrig ist, degradiert es Kinderlose zu Wählern zweiter Klasse.

Kinderlose sind Ihrer Ansicht nach die "Sündenböcke der Nation". Wofür genau müssen sie büßen?

Mit schöner Regelmäßigkeit werden Kinderlose für den angeblich drohenden Untergang des Rentensystems verantwortlich gemacht. Der Ökonom Hans-Werner Sinn, 17 Jahre Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, sagt: "Die Babyboomer wollen eine Rente von Kindern, die sie nicht bekommen haben." Und der inzwischen verstorbene Johann Eekhoff, einst Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, beklagte: "Kinderlose hätten nie in das Rentensystem aufgenommen werden dürfen, weil es nur funktioniert, wenn es von nachfolgenden Generationen finanziert wird". Mit Verlaub, es ist Bullshit, dass Kinderlose für den Zusammenbruch des Rentensystems verantwortlich sind. Es ist das System, das sich selbst zerstört, weil die deutsche Rentenversicherung nichts anderes ist als ein »sittenwidriges Schneeballsystem«, wie der Historiker Götz Aly sie in der Berliner Zeitung einmal treffend genannt hat. „Kinder kriegen die Leute immer“, hatte Adenauer geglaubt. Die Pille machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Doch anstatt diesen Jahrzehnte alten Rechenfehler endlich zu korrigieren, werden Kinderlose zu Sündenböcken gemacht.

Haben Sie eine Idee, wie man es besser machen könnte?

Indem man endlich eine solidarische Rentenversicherung schafft. In Deutschland zahlt nur ein Teil der arbeitenden Bevölkerung in die Rentenkasse ein. Abgeordnete und Beamte, die Kinderlosen besonders gerne vorhalten, sie würden das Rentensystem ruinieren, zahlen keinen Cent ein. Genau wie viele Selbstständige. Außerdem plündern Politiker die Rentenkasse, die ja von Kinderlosen und Eltern gleichermaßen gefüllt wird, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, um Dinge zu zahlen, die alle Steuerzahler gemeinsam berappten müssten - etwa die Mütterrente oder die Angleichung der Renten von Ruheständlern in Ost und West. Und damit das nicht auffällt, geht man auf Kinderlose los und will ihnen die Rente kürzen.

Sie behaupten auch, dass Kinderlose vom Arbeitsmarkt verdrängt werden sollen. Gilt das nicht viel eher für die Mütter?

Leute wie Paul Kirchhof wollen junge Eltern "von Rechts wegen" bei der Bewerbung um Arbeitsplätze "vorrangig" berücksichtigt wissen. Der Mann ist Bundesverdienstkreuzträger, Universitätsprofessor und Verfassungsrechtler. Er fordert nichts anderes als die Abschaffung der Berufsfreiheit, die im Grundgesetz steht. Wieder trifft diese Forderung Frauen besonders hart: Sie sollen sich erstmal im Kreißsaal qualifizieren, bevor alle Schranken zum Arbeitsmarkt fallen. Eine ungeheuerliche Forderung.

Inzwischen gibt es aber auch eine Bewegung gegen Kinder aus ökologischen Gründen. Der renommierte "Club of Rome" regte sogar an, kinderlose Frauen mit einer Prämie von 80.000 Dollar zu belohnen, um Ressourcen zu schonen. Sind am Ende doch die Mütter die Bösen?

Eine sehr kluge Frage, die zeigt, wie willkürlich die Debatte geführt wird. Wenn ich Kinder brauche für meine Sozialsysteme, müssen Kinderlose als Sündenböcke herhalten, weil sie das System angeblich ruinieren. Dann machen Politiker Kinderlose zu den Bösen. Und wenn ich die Überbevölkerung kritisieren will, schiebe ich den Eltern die Schuld zu, die Kinder in die Welt gesetzt haben. Anstatt sich um die wirklichen Bedürfnisse der Menschen zu kümmern, werden Feindbilder geschaffen.

Was wünschen Sie sich?

Ich möchte, dass wir alle zusammenhalten und für ein gerechteres Land streiten. Es muss in diesem Land möglich sein, sich für Kinder zu entscheiden, ohne seine Existenz aufs Spiel zu setzen. Es muss in diesem Land für Eltern leichter werden, Familie und Beruf zu vereinbaren. Für Mütter. Und Väter. Es muss möglich sein, kinderlos zu bleiben, ohne sich zu rechtfertigen - oder gar elementarer Grundrechte beraubt zu werden.

Weiterlesen?

"Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! Bekenntnisse einer Kinderlosen" von Kerstin Herrnkind (Westend Verlag, 18 Euro, Amazon.de).

Videoempfehlung:

Fallback-Bild

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel